Peter Altmaier plädiert bei einem Besuch im maroden Bergwerk für ein Sondergesetz, um den Atommüll schneller herausholen zu können.

Remlingen. Er ist Präsident des Bundesamts für Strahlenschutz, und damit vielleicht Deutschlands bestbezahlter Fremdenführer in einem Gruselkabinett. Am Freitag hat Wolfram König wie so viele Politiker zuvor auch den neuen Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) durch das marode Atomendlager Asse bei Wolfenbüttel geführt und mal wieder ganz genau erklärt, wie alles gekommen ist.

Aber es blieb nicht bei einer Führung und den üblichen Betroffenheitsfloskeln. Altmaier machte klar, dass er die Rückholung wirklich will - mit einem Sondergesetz, der Lex Asse, um das Problem zügiger anzupacken, als es nach geltendem Recht möglich ist.

1967 rollten die ersten Atommüllfässer zur Asse, aber erst 35 Jahre später, als im Jahr 2002 der massive Wassereinbruch bekannt wurde, begann sich die Politik für das Endlager Asse zu interessieren. Seither kommt kein verantwortlicher Politiker mehr an diesem von weiteren unkontrollierbaren Wassereinbrüchen bedrohten und einsturzgefährdeten ehemaligen Salzbergwerk vorbei. Am Freitag stand der neue Bundesumweltminister Altmaier kaum 14 Tage nach Amtsantritt gut 700 Meter unter der Erde vor einer gigantischen roten Bohrmaschine.

Er sah wenige Minuten später per Videoübertragung hinter dem nächsten Knick im Stollen zu, wie die Bergleute im abgeschirmten Strahlenschutzbereich den Bohrer zum ersten Mal in Bewegung setzten. Es wird Wochen dauern, bis der Bohrkopf auf der anderen Seite ankommt. Dann kann das Bundesamt als Betreiber einen ersten Blick in die eine von zwölf Einlagerungskammern mit jeweils Tausenden von Fässern oder dem, was davon noch übrig ist, wagen. Ob da eine radioaktiv verseuchte Suppe wartet wegen durchgerosteter Fässer? Kann die Rückholung der Fässer voller Atommüll gelingen? Wie lange wird sie dauern? Wie viel Geld wird sie kosten? Milliarden Euro auf jeden Fall. Die Geschichte der Asse handelt von Politikern, Bürokraten und Wissenschaftlern, die in den 60er-Jahren allzu euphorisch auf die Kernenergie setzten und glaubten, sie könnten das Problem der Endlagerung schlicht unter einen bis zu 750 Meter tiefen Teppich aus Salz kehren. Seit nunmehr zehn Jahren - damals wurden die Wassereinbrüche bekannt, die es schon seit 1988 gab - betreibt die nächste Generation der Politiker, Bürokraten und Wissenschaftler ein gigantisch teures und für die Menschen in der Region unerträgliches Schwarze-Peter-Spiel.

Die schlechtesten Karten hatte dabei bislang das Bundesamt für Strahlenschutz in Salzgitter unter seinem Präsidenten Wolfram König. Der war der schwarz-gelben Bundesregierung schon deshalb ein Dorn im Auge, weil er vom damaligen grünen Umweltminister Jürgen Trittin eingesetzt wurde und sich seither standhaft weigert, die Probleme kleinzureden. Weil er kein politischer Beamter ist, wäre eine Ablösung schwer zu begründen. Noch einmal alles unter den Teppich zu kehren, diesem Vorwurf mag sich keiner aussetzen. Doch die schwarz-gelben Koalitionsregierungen im Bund und im Land Niedersachsen haben König den Job so schwer wie möglich gemacht. Als Aufsichtsbehörden nach Atomrecht hatten sie dazu Gelegenheit.

Grüne und FDP für gemeinsame Asse-Lösung

Altmaier plant Sondergesetz für Asse-Atommüll

Dies dürfte auch der Hauptgrund dafür sein, dass das Anbohren der ersten Kammer erst jetzt erfolgt, zwei Jahre nach der aufsehenerregenden Grundsatzentscheidung, den Atommüll zurückzuholen, weil die nach Atomrecht vorgeschriebene Langzeitsicherheit in der Asse nicht möglich ist.

Es gibt für diese Rückholung weltweit kein Vorbild, also keine Blaupause dafür, wie man das anstellen könnte. Altmaier immerhin hat in der Asse nicht nur das erwartbare nachdenkliche Gesicht gemacht, sondern angekündigt, es solle eine Lex Asse geben, möglichst parteiübergreifend und noch im kommenden Sommer vor der Bundestagswahl. Das wäre dann eine Grundlage, um die hochkomplexen Bestimmungen des Atomrechts an die traurige Realität des alten Salzbergwerks mit Einsturzgefahr, Wassereinbrüchen und daraus resultierender Zeitnot anzupassen. Den Anwohnern rund um die Asse hat man in den 60er-Jahren vorgegaukelt, es handele sich um ein Versuchsendlager, und nach Abschluss der wissenschaftlichen Arbeiten werde der Atommüll wieder abtransportiert.

Danach blieb den Menschen in der Region nichts anderes übrig, als gute Miene zum ewigen Ankündigungsspiel der immer wieder wechselnden Politiker zu machen. Eine Alternative zum Prinzip Hoffnung gibt es nicht für die Menschen in den vielen kleinen Flecken mit Namen wie Remlingen, Vahlberg, Roklum und Denkte. Sie haben, so kann man sich täuschen, in den 90er-Jahren ihre Samtgemeinde sogar in Asse umgetauft, weil man sich von diesem Höhenzug als Harzausläufer noch touristische Wirkung versprach.

Aus der Sicht der Menschen rund um die Asse war dieser Freitag der beste Tag seit Jahren. Altmaier ging nicht nur auf die Protestierer zu, sondern er präsentierte ihnen bereits mehr konkrete und glaubwürdige Vorhaben als sein Vorgänger Norbert Röttgen (CDU) in zweieinhalb Jahren Amtszeit. Für den neuen Minister gab es sogar Applaus nach seiner Ankündigung, er werde jetzt alle halbe Jahre kommen und wolle sich auch sonst auf dem Laufenden halten.

Und er trat auch gegenüber den Bergleuten betont respektvoll auf, begrüßte den Mann an der Betonmischmaschine mit Handschlag: "Sie tun uns mit Ihrer Arbeit einen großen Gefallen, wir haben hier viele Probleme." Über die eigene massige Statur machte sich der Minister nach einem anstrengenden Fußmarsch bei über 30 Grad unter Tage lustig: "Wenn ich hier immer arbeiten würde, würde ich auch wieder in normale Anzüge passen." Im Moment hat es den Anschein, als sei der Mann in der Lage, der Asse einen maßgeschneiderten Anzug zu verpassen, um Deutschlands größtes Umweltproblem zu lösen.

Und Stil hat der Mann auch: Er sorgte dafür, dass an seiner Seite der frühere Bundesumweltminister Sigmar Gabriel an der Besichtigung teilnahm. Der ist örtlicher Wahlkreisabgeordneter und signalisierte im Gegenzug, bei der Lex Asse wolle die SPD mitmachen. Sein Lob für Altmaier: "Der weiß nach 14 Tagen mehr über das Problem als sein Vorgänger Röttgen nach zwei Jahren."