Schachmeister Jonathan Carlstedt bringt Kindern in der eigens gegründeten Schachschule Lüneburg Konzentration und Taktik bei.

Lüneburg. Ein kleiner Junge sitzt über ein Schachbrett gebeugt und betrachtet konzentriert die Figuren. Er spielt Tandem, eine Variante des Schachs, bei dem man als Team auf zwei Schachbrettern gegen ein gegnerisches Duo spielt. Wenn er jetzt die Dame seines Gegners schlagen kann, darf er sie seinem Tandem-Partner geben, der sie dann in seinem Spiel einsetzt. Seine Beine baumeln, der Stuhl ist zu groß für ihn. Er überlegt und zieht dann mit seinem Läufer. "Schach."

Der Junge heißt Jeremy, ist gerade sechs Jahre alt geworden und geht seit Dezember 2011 in die Schachschule Lüneburg. Acht Monate ist es her, dass er mit seinem Opa zum ersten Mal Schach gespielt hat. Seitdem kann er an nicht anderes mehr denken. "Wir haben das zwei, drei Monate beobachtet, dann musste etwas passieren", sagt seine Mutter Swetlana Hommer. "Vor dem Kindergarten wollte er schon mit mir Schach spielen und hat gemeckert, wenn dafür keine Zeit war." Am Ende hat er Partien gegen sich selbst gespielt. In der Schachschule ist er genau richtig.

Gegründet wurde die Schule im August vergangenen Jahres von Jonathan Carlstedt - ein ambitioniertes Projekt, das bisher gut angenommen wird. Das liegt zu einem großen Teil an Carlstedt selbst.

Sein Leben hat der 21-jährige gebürtige Itzehoer komplett dem Schach verschrieben. Mit vier Jahren beginnt er zu spielen, mit zehn fährt er mit seinen Eltern auf sein erstes Schachturnier in Bergen (Norwegen). "Meine Mutter sagte vorher zu mir: Entweder du erzielst auf dem Turnier einen Punkt oder wir fangen auf der Reise einen Fisch." Nichts von beidem hat geklappt. Dennoch war es für Carlstedt eine wichtige Erfahrung, und gerade die Niederlage hat ihn angetrieben weiterzumachen. Heute trägt er den Titel Internationaler Meister und hat auf unzähligen Turnieren in ebenso vielen Ländern gespielt. Er war in Spanien, Russland, Tschechien, spielte in Dubai, Viborg und Budapest.

2010 macht er in Hamburg das Abitur. "Sonntags habe ich ein Turnier in der Zweiten Bundesliga gespielt und am Montag hatte ich meine schriftliche Matheprüfung. Die Partie war grauenhaft." Nebenbei schreibt er noch ein Schachbuch über die sogenannte "Englische Eröffnung", das Michael Schönherr von der Schach-Zeitung verlegt. Dieser fragt ihn schließlich, ob er nicht eine Schachschule eröffnen möchte und stellt den Kontakt nach Lüneburg her. Carlstedt arbeitet einen Lehrplan aus und gründet die Schule in den Räumlichkeiten des Institutes für Weiterbildung in der Kranken- und Altenpflege am Schwalbenberg. Mit seinem Angebot möchte sich Carlstedt an Schachinteressierte aller Spielstärken und Altersklassen richten. Neben zwei Schachkursen für "Kids", einem Erwachsenenkurs und Einzeltraining werden auch zahlreiche Wochenendseminare unter anderem zu Taktik, Eröffnung oder Endspiel angeboten.

Neben dem Unterricht in der Schachschule leitet Carlstedt mittlerweile fünf Schach-AGs an verschiedenen Lüneburger Schulen - mit tatkräftiger Unterstützung seines Mitarbeiters Volker Thorn. Wobei er auch das noch für ausbaufähig hält. Denn der Wert, den frühes Schachspielen gerade für Schulkinder besitzt, dürfe seiner Meinung nicht unterschätz werden. "Die Kinder lernen sich besser zu konzentrieren. Das kann sich auch positiv auf die schulischen Leistungen auswirken. Fehlende Konzentration wird beim Schach sofort bestraft."

Besonderen Spaß hat Carlstedt in der Schachschule bei der Arbeit mit Kindern. "Es macht mir Spaß, den Kindern Wissen zu vermitteln und ihnen den Umgang mit Menschen, Siegen und Niederlagen zu beizubringen." Dabei ist für ihn am wichtigsten, dass die Kinder den Spaß am Spiel nicht verlieren. Swetlana Hommer gefällt die lockere Stimmung im Kurs und dass die Kinder nicht unter Druck gesetzt werden. Das hat sie auf Turnieren auch schon anders erlebt. "Jonathan ist begeistert und gibt es an die Kinder weiter."

An dem Kinderkurs am Mittwochnachmittag nimmt auch Julius teil. Er ist zehn Jahre alt und geht in die vierte Klasse der Grundschule Reppenstedt. Der quirlige Junge, der später mal Profifußballer werden möchte, erzählt gleich drauf los. Dass er gerne in die Schachschule geht, am liebsten Tandem-Schach spielt oder Mattaufgaben löst und zu Weihnachten einen Schachcomputer bekommen hat, "einen richtig guten mit 800 Stufen". Seine Lieblingsfigur ist der Springer "wegen der Springergabelung". So nennt man eine Stellung, in der der Springer gleichzeitig den König und zum Beispiel die Dame angreift. Auch der siebenjährige Anton und seine kleine Schwester Annika (sechs Jahre) gehen seit etwa vier Monaten zu Carlstedt in den Unterricht und sind begeistert. Und der zehnjährige Max, der gerade einen Pokal für den zweiten Platz bei einem Turnier in Stade gewonnen hat, sagt stolz: "Es ist ein gutes Gefühl von einem Internationalem Meister trainiert zu werden."

Trotz der lockeren Stimmung wird in der Schachschule leistungsorientiert gearbeitet. Die Kinder lösen selbstständig Taktikaufgaben, sprechen gemeinsam mit Carlstedt aktuelle Partien durch - und spielen viel Schach. Dass sie dabei schon viel gelernt haben, stellen sie bei Turnieren immer wieder unter Beweis. Im März haben zum Beispiel Julius und Jeremy bei einem Grundschulturnier in Egestorf mitgemacht. Julius belegte in seiner Gruppe den zweiten Platz, "aber nur ganz knapp, beinahe wäre ich Erster geworden." Jeremy, der als Kindergartenkind bei der Gruppe der ersten und zweiten Klassen spielen durfte, begeisterte nicht nur seinen Trainer, er gewann alle sieben Partien und belegte den ersten Platz.

Für Swetlana Hommer, die an dem Tag Geburtstag hatte, war der Sieg ihres Sohnes ihr schönstes Geschenk. Woraufhin Jeremy nur antwortete: "Aber Mama, das ist doch mein Pokal!"