Die Lüneburger Firma GSR Services spürt Giftstoffe in Schiffen wie Asbest auf. Kühlanlagen, Farbanstriche und Maschinen werden überprüft.

Hamburg. Im Blaumann und mit einem 20 Kilogramm schweren Werkzeugrucksack geht es an Bord. Dann beginnt für Henning Gramann die Suche nach Schadstoffen. Nach Materialien, die heute auf Schiffen nicht mehr verbaut werden dürfen. Mit dem Messer oder einer feinen Pinzette nimmt der Umweltingenieur Fasern oder Materialstückchen auf, die er später in einem Hamburger Labor analysieren lässt. "Meine Mitarbeiter und ich wissen inzwischen genau, wo wir suchen müssen", sagt der Chef der Lüneburger Firma GSR Services, die er im Januar 2011 gegründet hat.

Die Erkenntnisse von durchschnittlich 80 bis 130 Proben aus Maschinen- und Frachträumen sowie den Kabinen fasst der Experte dann zu einem Gefahrkataster zusammen. Für die Auflistung aller Schadstoffe an Bord zahlen Reedereien bei ihm derzeit zwischen 10 000 und 15 000 Euro. "Wir machen dann je nach dem Gefahrpotenzial Vorschläge, wie mit dem Material umgegangen werden kann oder empfehlen, es rasch zu entsorgen", erzählt Gramann.

Schifffahrtsunternehmen, die schon heute ein solches Kataster vorweisen können, kommen damit einer gesetzlichen Regelung zuvor. Denn die Auflistung der Schadstoffe an Bord wird zur Pflicht. Nicht nur, um die Besatzungen zu schützen, sondern auch, um beim Abwracken keine bösen Überraschungen zu erleben. "Der Grundstein für das umweltfreundliche Recycling von Schiffen und für sichere Arbeitsbedingungen auf den Werften wurde mit der Hongkong Convention gelegt", heißt es beim Verband Deutscher Reeder (VDR). Nach der Konvention, die der Verband maßgeblich mit vorangetrieben hat, müssen Stoffe wie Asbest, für die Ozonschicht schädliche Gase aus Kühlanlagen oder giftige Außenhautanstriche erfasst werden. Das Wissen um die Gefahrenstoffe soll dabei vor allem Belegschaften von Abwrackfirmen in Staaten wie Indien, Pakistan oder Bangladesch schützen, in denen die Sicherheitsvorschriften weit weniger ausgeprägt sind als etwa auf Werften in der Türkei oder in China.

Zwar wurde die Konvention bislang noch nicht von den einzelnen Staaten in nationales Recht umgesetzt. Doch auch die EU macht Druck. Sie will innerhalb von zwei Jahren die Gefahrstoffkataster gesetzlich vorschreiben. Spätestens fünf Jahre nachdem der Beschluss gefallen ist, soll jedes Schiff, das einen EU-Hafen anläuft, eine entsprechende Liste vorweisen. Wird ein besonders gefährlicher Stoff gefunden, gilt eine Frist von drei Jahren, bis er von Bord verschwunden sein muss.

Mit der anstehenden Neuregelung steht die Schifffahrt, die sich bereits mit den Vorschriften für saubereren Sprit auseinandersetzen muss, vor einer weiteren weitreichenden Herausforderung. Denn die Hongkong Convention würde weltweit für knapp 50 000 Schiffe gelten. In die Häfen der EU laufen davon 30 000 ein. Entsprächen sie künftig nicht den Vorschriften, würden die Frachter festgesetzt oder dürften die jeweiligen Hoheitsgewässer nicht mehr anlaufen. Damit würden sie für ihre Reeder aber weitgehend nutzlos.

Setzt die EU das Gesetz nun rasch um, dürfte die Schifffahrt zudem unter erheblichen Zeitdruck geraten. "Um die Fünfjahresfrist einzuhalten, müssten für die EU jährlich 6000 Schiffe begutachtet werden", rechnet Gramann vor. Das sei aber von den wenigen, bisher mit der geplanten Neuregelung vertrauten Experten kaum zu schaffen. Das Fazit des Ingenieurs, der als einer der ersten Pioniere Reedereien die Kataster anbietet: "Wer jetzt noch zögert, wird künftig deutlich mehr für die Untersuchungen zahlen müssen."

Dabei ist Gramann davon überzeugt, dass auf den meisten Schiffen, vor allem mit einem älteren Baujahr Gefahrstoffe gefunden werden. Bei seinen eigenen 20 Aufträgen stieß er bei 16 Schiffen auf gesundheitsgefährdendes Material. So sei etwa Asbest, das seit Sommer 2002 nur noch ausnahmsweise verwendet werden durfte und seit dem Jahr 2011 generell verboten ist, noch stark verbreitet. "Wir finden es immer wieder bei unseren Proben", sagt der Ingenieur.

Denn in China dürfen die Fasern noch immer produziert werden. "Die Verwendung wird bisher einfach zu wenig kontrolliert und zudem kann das Material über den Einbau von Ersatzteilen an Bord kommen", weiß Gramann, der sich bereits von 2006 bis 2010 mit dem Recycling von Schiffen befasst hatte. Damals hatte der heute 40 Jahre alte Ingenieur für den Hamburger Schiffs-TÜV Germanischer Lloyd eine entsprechende Abteilung aufgebaut. Die akribische Suche nach verbotenen Stoffen ist aber nicht das einzige Problem vor dem die Prüfer stehen. Beispiel: China. Dort wich der Projektleiter einer Werft dem deutschen Umweltingenieur bei seinem Weg über einen Neubau über Tage hinweg nicht von der Seite. "Er ließ mich keine Proben nehmen, weil er so Gewährleistungsansprüche des Auftraggebers vermeiden wollte" erinnert sich Gramann. Schließlich bat er Mitarbeiter der Reederei vor Ort darum, Material für ihn mitzunehmen. Versteckt am eigenen Körper wurde es vom Firmengelände geschmuggelt. Und weil Gramann fündig wurde, musste die Ablieferung dann doch um einige Tage verschoben werden. Erst als die Chinesen die von ihnen eingebauten Gefahrstoffe wieder entfernt hatten, konnte die Übergabe stattfinden.