Viele Frauen und Männer fuhren zum Christopher Street Day nach Hamburg - als Zeichen für mehr Toleranz und zum Spaßhaben.

Hamburg. Zehntausende Menschen feierten am Sonnabend in Hamburg den Christopher Street Day (CSD) - darunter auch um die 200 aus Lüneburg. Auch in der kleinen Hansestadt hatte es von 2000 bis 2003 die Parade der Homosexuellen gegeben, doch das Organisationsteam hat abgedankt, und es fand sich kein neues. Die Lüneburger Rundschau hat einige Lüneburgerinnen bei ihrem Tanz durch Hamburg begleitet - und sprach mit ihnen über Normalität, Toleranz, Gleichstellung und Kritik an der Spaßparade.

Seit 16 Jahren besucht Britta, 42, den CSD an der Alster. "Weil ich die Rechte der Schwulen und Lesben öffentlich vertreten möchte", sagt sie. "Es gibt immer noch Bereiche, in denen Homosexualität nicht selbstverständlich ist. Es ist schön, mit vielen zu feiern, die ähnlich denken und fühlen, und Teil eines Ganzen zu sein." Lüneburg sei zwar eine sehr offene Stadt, Vorurteile gebe es aber dennoch.

Seit sie 16 Jahre alt ist, besucht Julia, 27, die schwul-lesbische Paraden. "Für mich ist es selbstverständlich, mit meinen Freunden auf den CSD zu gehen. Ich glaube, dass das wichtig ist, weil Homosexualität immer noch nicht zur Normalität gehört. Hier spüre ich eine Gemeinschaft, hier bin ich nicht anders." Gabi, 49, hält es mit Ex-Bundespräsident Richard von Weizsäcker: "Es ist normal, verschieden zu sein", sagt sie. "Wir führen ein ganz normales Leben." Ein normaler Umgang mit Schwulen und Lesben aber fehlt ihrer Ansicht nach: "Es gibt Berührungsängste. Das ist schade, denn jeder andere kann normal miteinander umgehen." Lüneburg empfindet sie in dieser Hinsicht als "provinziell", küssend durch die Innenstadt zu laufen, käme für sie nicht in Frage.

Genau das tut Katja, 39, ohne Bedenken. Sie empfindet Lüneburg als "total entspannt". Auch daheim in Scharnebeck sei sie mit ihrer Familie aus zwei Mamis und zwei Söhnen "zu 100 Prozent integriert". Seit sie sich vor fünf Jahren das erste Mal in eine Frau - ihre heutige Partnerin - verliebt hat, geht sie zum CSD. "Es macht Spaß, sich mit Gleichgesinnten zu treffen, endlich mal normal zu sein und nicht aufzufallen. Ich will aber auch Gesicht zeigen und politisch deklarieren, dass es immer noch Unterschiede gibt." Zwar war die Mutter zweier Kinder nie Affronts oder Ressentiments ausgesetzt. "Natürlich gibt es Fragen. Aber im Vergleich zu anderen Staaten aber haben wir hier eine Menge erreicht, und als gleichgeschlechtliches Paar lässt es sich gut leben."

Und trotzdem sieht Katja Dinge im Alltag, die "nerven". So wollte sie ihre Partnerin heiraten, hat sich dann aber dagegen entschieden. "Hätte ich mich verpartnert, hätte ich keinen Unterhaltsvorschuss für meine Kinder mehr bekommen. Einen Steuervorteil aber hätte ich im Gegenzug nicht erhalten. Im Unterhaltsrecht sind Homosexuelle gleich gestellt, steuerrechtlich aber nicht. Das sind ärgerliche Unterschiede, die wirklich unnötig sind."

Auch ihre Namensvetterin Katja, 44, lebt mit Freundin und Sohn, hatte ihr Outing erst mit 42 Jahren. Sie sagt: "Es ist gut, dass es den CSD gibt, um zu zeigen: Es sind so viele. Was ich mir jedoch wünsche, ist mit diesem Trubel nicht zu erreichen, sondern mit normalem Umgang. Indem ich Händchen haltend mit meiner Freundin durch die Lüneburger Fußgängerzone gehe." Sich zeigen will beim CSD auch Rike, 29. "Beim ersten Mal bin ich richtig stolz mitgelaufen. Ich muss mich in Lüneburg zwar nicht verstellen, aber verbreitet ist immer noch die Einstellung: Normal ist hetero."

Dass sie sich "nicht verstecken muss auf irgendeine Art und Weise", genießt auch Sarah, 26, beim Umzug durch Hamburg. "Es ist schön, dass der Tag so offen ist." Angesichts der teils extremen und provokanten Zurschaustellung zahlreicher Teilnehmer fürchtet sie jedoch, "dass das eher zu Ablehnung als zu Akzeptanz bei den Leuten führt". Auch Jana, 31, ist der CSD "zu stark auf Sex ausgerichtet. Es scheint nur darum zu gehen, dass die Menschen die Form des Sex' akzeptieren. Um eine politische Aussage geht es eigentlich überhaupt nicht mehr."

Dabei ist die noch immer bitter nötig, sagt Tanja, 36. Ihre Familie gehört einer stark konservativen christlichen Kirche an, und sie kritisiert die Bewegung der Evangelikalen. "Die denken, Schwule seien vom Teufel besessen. Wir haben hier insgesamt zwar Glück, aber auch unsere heile Welt ist noch nicht so heil, wie man denkt." Als Gesellschaftskritik hält Tanja den CSD aber nicht für den richtigen Weg: "Das muss ernsthafter passieren. Die geouteten Politiker müssen mehr Lobbyarbeit leisten." Der CSD sei eine reine Spaßveranstaltung. "Ich komme nicht her, weil es eine politische Demonstration ist."

Thorsten Warneke schon. Der Lüneburger Koordinator der Kampagne "hin und wech - Schwule lieben in Niedersachsen", der sein Alter mit "zwischen 38 und 43 Jahre" angibt, hat ein Cabriolet für den Hamburger CSD gemietet. Auf dem Rücksitz: der schwule Heidekönig Pièrre I und Adjutant Matthias, mit der Startnummer 10 der Parade. "Wir haben 2500 Postkarten für den CSD und das nächste Kopefest in Lüneburg gedruckt", sagt Thorsten Warneke. Beim Umzug der Sülfmeistertage sind die Schwulen seit 2007 dabei. "Es ist wichtig, gerade in einer Stadt wie Lüneburg Präsenz zu zeigen und das schwule Leben sichtbar zu machen, und zwar auf vernünftige Art und Weise. Fünf Prozent der Bevölkerung sind anders liebend. Aber die breite heterosexuelle Masse kann sich immer noch nicht vorstellen, wie es ist, anders zu sein."

Der CSD bedeutet für ihn Spaß, aber auch Kampf für Respekt, Gleichstellung und Toleranz. "Verpartnerte Homosexuelle werden steuerrechtlich mit Singles gleichgesetzt. Wir haben die gleichen Pflichten, aber nicht die gleichen Rechte. Und solange auf deutschen Schulhöfen ,schwule Sau' das beliebteste Schimpfwort ist, ist noch viel zu tun. Erst, wenn ich als Teil der Gesellschaft so normal bin wie andere auch, brauchen wir keinen CSD mehr."