Ein Haus, acht Menschen, drei Generationen. “Die jüngste ist vier Jahre alt und ich bin mit 92 Jahren die älteste WG-Bewohnerin“, sagt Sonja Barthel und lächelt. Seit sieben Jahren teilen sich Sonja, Georg Gunkel-Schwaderer (45), seine Frau Nicol (35), Sohn Jurek (10) und Tochter Antka (7) ihr Elf-Zimmer-Haus und den großen Garten im Lüneburger Westen.

Lüneburg. Andere Mitbewohner wechselten über die Jahre immer mal wieder, erst seit einem Monat dabei ist die alleinerziehende Mutter Jasmin Paschkowski (29) mit ihren Kindern Lara (7) und Sina (4). Jasmin, die sich "sofort in die Menschen hier verliebt" hat, bringt die Vorteile der Wohngemeinschaft (WG) auf den Punkt: "Für mich ist immer jemand da, mit dem ich mich austauschen kann. Und die Kinder haben mehrere Bezugspersonen. Und dass es hier eine WG-Oma gibt, genießen sie sichtlich."

Und auch die "WG-Oma" Sonja freut sich über die vielen Kinder im Haus, spielt mit ihnen oder unterstützt bei den Schulaufgaben. Die Seniorin sei eine echte Bereicherung für die Lebensgemeinschaft, betont Georg: "Sonja so geduldig. Sie ist ein wichtiger Bestandteil der Gemeinschaft."

Die 92-Jährige kann sich auf den Rückhalt ihrer Wahlverwandten verlassen. "Wenn es mir mal nicht so gut geht, unterstützen sie mich schon sehr", sagt die Frau, die sich trotz ihres Alters bester Gesundheit zu erfreuen scheint. Und auch für den Fall, dass sich das einmal ändert, hat die Lebensgemeinschaft vorgesorgt: "Wir haben einen Pflegevertrag abgeschlossen", erklärt Georg.

Ganz offensichtlich verbindet die WG viel mehr als das gemeinsame Heim. Dazu zähle auch eine grundsätzlich ähnliche Einstellung in gesellschaftlichen und politischen Fragen und ein positives Menschenbild sagt Georg: "Da stimmen wir alle überein."

Zeugnis dafür findet sich im ganzen Haus: Ein "Nazis raus"-Aufkleber hier, ein Anti-Atomkraft-Plakat dort oder auch das schwarz-gelbe "Aktion Noteingang" Schild in der Eingangstür, das Opfern rassistischer Übergriffe signalisiert: Hier gibt es Schutz.

Wie wichtig solche Signale sind, weiß Sonja nur zu gut. Denn auch die Familie der Halbjüdin wurde von den Nazis verfolgt. Ein weiterer relevanter Punkt im Zusammenleben. "Durch Sonja wird auch für die Kinder die Geschichte greifbarer", sagt Jasmin.

Dieser Aspekt spielt auch für Georg eine wichtige Rolle: "Es ist ja nicht so, dass der Faschismus nach 1945 einfach aufgehört hat zu existieren." Seine Kinder will der 45-Jährige auch dafür sensibilisieren - und Zuhause passiert das ganz nebenbei, durch Sonjas Erzählungen oder auch mal in der abendlichen Vorlesestunde. Die ist ein festes Ritual, dass beide Familie pflegen.

Zusammenleben funktioniert aber auch nur mit Rückzugsmöglichkeiten. Deshalb hat jede Familie einen eigenen Bereiche im Haus. "Wir teilen und den Flur, die Küche und den Garten", sagt Jasmin, deren Zimmer im ersten Stock des Hauses liegen. Sonja nennt drei Zimmer im Erdgeschoss ihr Eigen.

Die Kinder haben gelernt Rückzug zu respektieren. "Sie klopfen immer an", sagt Sonja. Nur sie selbst nehme es nicht ganz so genau, wenn sie beispielsweise Georgs Hilfe benötige. "Das nervt manchmal", sagt der und lacht. Große Konflikte habe es bislang nicht gegeben. Und der "WG-Rat", den Georg seit vier Jahren an jedem letzten Freitag im Monat im Terminkalender stehen hat, wurde noch nie einberufen. Den Grund kennt Sonja: "Wenn es Streit gibt, klären wir das direkt und warten nicht bis zum Freitag."