Ein Maulkorb für die Alten? Auf ihr Engagement, Kenntnisse und Erfahrung verzichten?

OB Ulrich Mädge erklärte am 10. August in einem Interview, "für Pensionäre sei es immer eine gute Übung, sich aus dem aktuellen Geschehen herauszuhalten". Anlass war, dass der frühere, langjährige Leiter der Ratsbücherei, Gerhard Hopf, nachdrücklich Bedenken gegen die Streichung der Leiterstelle und die Übertragung der Aufgaben auf den künftigen Stadtarchivar äußerte. Denn die Anforderungen der Bereiche und die erforderlichen Vorbildungen sind grundlegend verschieden.

Unser Oberbürgermeister sei daran erinnert, dass viele soziale Einrichtungen und Vereine vom Einsatz der Rentner und Pensionäre mitgetragen werden. Sie nehmen aktuelle Aufgaben wahr und lassen sich selbstverständlich nicht die eigene Meinung verbieten, ob diese den "Oberen" nun gefällt oder nicht. Sitzen Angehörige dieser Altersgruppe nicht auch im Rat und Kreistag?

Der Schatzmeister des Freundeskreises der Ratsbücherei hat erhebliche Mittel eingeworben für die Restaurierung des Altbestandes, wofür im städtischen Haushalt das Geld fehlt, ferner u.a. für qualitätsvolle Ausstellungsvitrinen, für die Öffnung der Jugendbücherei an Sonnabenden und für den Wettbewerb der Grundschulen "Unser selbstgemachtes Buch", an dem sich im Vorjahr 450 Schüler beteiligten. Im Verein "Mentor" sind mehr als 70 Rentner und Pensionäre als Vorlesepaten und Leselernhelfer in Kindergärten und Schulen tätig. Im Netzwerk Leseförderung Lüneburg (NLL) organisieren "die Pensionäre" u.a. zusammen mit Kinderärzten die Aktion "Buchstart - Bücher für alle von Anfang an", die Einrichtung von Eltern-Kind-Gruppen "Gedichte für Wichte" und die Aktionswochen "Lüneburg liest!".

Das sind "Eingriffe ins aktuelle Geschehen", freiwillig, unbezahlt und zum Wohl der Allgemeinheit. Der Einsatz von Zeit und Kraft legitimiert wohl auch zu einer Meinungsäußerung mit Unabhängigkeit bei der Urteilsbildung und aus Einsicht in die Verhältnisse. Den Satz des Oberbürgermeisters könnte man als lächerlichen Ausrutscher abtun. Aber leider ist er ernsthaft gemeint. Wir wünschen uns eine offene Diskussion und Meinungsaustausch zum aktuellen Geschehen.

Dr. Muthard Hackbarth ist Vorsitzender des Freundeskreises der Ratsbücherei und des Netzwerks Leseförderung Lüneburg.