Bis Montag müssen die letzten Bewohner ausgezogen sein, sonst droht ihnen die Räumung. Die meisten kündigten an, freiwillig zu gehen.

Lüneburg. Marcus Päsch und seine Mitbewohner haben keine Lust auf Ärger. Sie packen Möbel, Bücher und Kleidung zusammen, tragen die Kartons nach und nach aus ihrer Wohnung in der Frommestraße 5. Der Umweltwissenschaftler, 29, zieht am Ende der Woche zu Freunden. Gegen ihn und seine mehr als 20 Nachbarn läuft ein Räumungsbescheid wegen Einsturzgefahr des Hauses.

Wie berichtet, planen Marcus Päsch und einige seiner Mitbewohner mit dem Verein "Inicio" ein generationenübergreifendes Wohnprojekt. Doch bislang haben sie keine Bleibe dafür gefunden. "Wir sind nach wie vor auf der Suche, um unsere Idee umsetzen zu können. Doch erst mal kommen wir bei Freunden unter", sagte Päsch gestern dem Abendblatt. "Für unsere Sachen hat uns die Stadt einen kleinen Container zu Verfügung gestellt. Da passt zwar nicht alles hinein, ist aber besser als nichts."

Wenn nicht alle Mieter des Hauses so denken wie Päsch und seine Freunde, könnte sich am Montag ein Szenario wiederholen, das bereits aus dem vergangenen Jahr bekannt ist: Polizisten sorgen dafür, dass Menschen ein Haus in der Frommestraße verlassen. Das erste Mal war es das ehemalige Einfamilienhaus auf dem Grundstück Nummer 2, jetzt ist es der Gründerzeitbau Nummer 5. Bis Ende der Woche müssen die Mieter ausziehen. Was am Montag passiert, wenn das nicht der Fall sein sollte, ist noch unklar.

Für das "Frommeviertel" kritisiert Vivian Roth jetzt noch einmal die Stadtverwaltung in der Angelegenheit: "Während der Termin des Auszugs aus der Frommestraße 5 am 18. Juni immer näher rückt, mehren sich auf unserer Seite die Zweifel an der Aufrichtigkeit der Stadtvertretung. Die zugesicherten ,Ersatzwohnungen' sind nicht in ausreichendem Maße verfügbar, sodass es für viele Mieterinnen trotz der warmen Versprechen des Oberbürgermeisters nur für den Einzug in die kalte Turnhalle reichen wird."

Zudem vermutet Vivian Roth eine Strategie hinter dem Verhalten: "Auch die Verhandlungen um vergleichbare Ersatzobjekte lassen zunehmend einen taktischen Hintergrund vermuten, bis das Haus schlussendlich leer steht. Dass durch diesen Leerstand ganze Existenzen in die andauernde Obdachlosigkeit bei offenkundiger Wohnungsnot gedrängt werden, wird hierbei von verantwortlicher Seite ignoriert."

Auch den festgesetzten Termin des Räumungsbescheids am 18. Juni kann die Kritikerin nicht nachvollziehen: Vivian Roth nennt ihn "völlig widersinnig", eine "akute Einsturzgefahr" sei "nicht gegeben". Die Bewohner hätten Statiker und Handwerker befragt. Deren Einschätzung nach sei die Standsicherheit für einen "längeren Zeitraum" gewährleistet, würden "kostengünstige Maßnahmen" umgesetzt. Warum dafür kein Geld da sei, versteht sie nicht: Für einen möglichen Polizeieinsatz sowie Versiegelungsmaßnahmen sei schließlich auch Geld vorhanden. 25 Menschen würden stattdessen "grundlos auf die Straße gesetzt".

Roth schließt: "Wir können uns nur wünschen, dass es diesen Freitag beim Treffen zwischen einigen Mieterinnen der Frommestraße 5 und dem Oberbürgermeister nun endlich zu einer Lösung kommen wird. Die derzeitige Situation gestaltet sich für viele von uns als sehr belastend. Wir fordern die Stadtvertretung auf, endlich ihren Versprechungen Taten folgen zu lassen oder den Räumungsbescheid umgehend aufzuheben, bis ein für beide Seiten zufrieden stellendes Ergebnis vorzuweisen ist."

Die Stadt habe den Termin als Bauaufsichtsbehörde setzen müssen, erwidert Pressesprecherin Suzanne Moenck auf die Kritik. Um den Vorwürfen der Bewohner den Wind aus den Segeln zu nehmen, hat sie zusammengetragen, was die Verwaltung bislang für die Mieter getan hat und wie der derzeitige Stand der Dinge ist.

13 Interessenten für Ersatzwohnungen seien bisher bei Lüwobau und dem Bereich Soziale Dienste vorstellig geworden. Auf diese beiden Ansprechpartner habe die Verwaltung bei der Bürgerversammlung am 20. April im Glockenhaus verwiesen.

Bei Uwe Wendlandt von der Stadt hätten sich seit der Bürgerversammlung sechs Interessenten gemeldet: "Vier Leute wollten eine Wohngemeinschaft gründen und haben dafür meines Wissens auf eigene Faust eine Wohnung zwischen Bahnhof und dem Stadtteil Hagen gefunden. Denen hat die Stadt, gemeinsam mit dem Guten Nachbarn, finanziell geholfen, Kaution und Courtage aufzubringen." Mit einem weiteren Mieter sei er noch im Gespräch über ein Wohnungsangebot. Außerdem habe er zwei Interessenten, die ursprünglich zusammenziehen wollten, an die Lüwobau verwiesen.

Klaus Schachtschneider, Abteilungsleiter der Mieterbetreuung, sagt für die Lüwobau: "Wir hatten für die beiden Interessenten ein Wohnungsangebot in Hagen, dem einen war es allerdings nicht citynah genug. Der andere Interessent wollte daraufhin gern auch allein eine Wohnung bei uns mieten. Das hat er inzwischen getan." Ein weiterer Interessent sei nur an einem unbefristeten Mietverhältnis interessiert und habe ihm mitgeteilt, er komme vorerst privat unter. "Am Montag kamen ein weiterer Frommestraßen-Mieter sowie zwei Interessenten, die sich nicht vorgestellt haben, vorbei und haben sich zusammen zwei von drei angebotenen Wohnungen angesehen, hier warten wir noch auf eine Entscheidung, ob er etwas anmieten möchte."

Möglich sei das alles, weil die Lüwobau die Wohnungssuchenden aus der Frommestraße 5 als Notfälle behandelt. "Wir haben seit April freigehalten, was geht", sagt Klaus Schachtschneider. Üblicherweise warten Interessenten bei der Lüwobau nach seinen Angaben zwei bis drei Monate, rund 400 Interessentenbogen liegen in der Warteschleife.

Und gerade gestern Morgen um 8.45 Uhr habe es bei Schachschneider noch zwei Meldungen gegeben, und bereits um 9 Uhr stand fest: Die beiden können in eine gemeinsame Wohnung der Lüwobau ziehen - sofern sie den Vertrag unterschreiben. Suzanne Moenck hebt hervor: "Das Unterstützungsangebot der Hansestadt Lüneburg für die Bewohner der Frommestraße 5 gilt nach wie vor." Interessenten mögen sich bei Uwe Wendlandt melden unter Telefon 30 95 29 oder bei der Lüwobau unter 24 44 60.