Harburg. Er kämpfte im 2. Weltkrieg, überlebte, wurde alleinerziehender Vater und heiratete neu – die unglaubliche Geschichte eines Harburgers.

1924 wurde in Italien die weltweit erste Autobahn eingeweiht, von New York nach London das allererste Fax der Geschichte gesendet und in Berlin mit der Währungsreform die Hyperinflation beendet. In Leversen wurde Arno Grube geboren, ein hübscher Junge und einziger Bruder von fünf Schwestern.

Am Sonntag feiert Arno Grube Geburtstag und blickt auf ein ereignisreiches Leben zurück. Dass es nie langweilig wurde, liegt unter anderem daran, dass es ihn selten auf seinem Hintern hielt und er sich immer vielfältig engagierte. Es liegt sicher auch daran, dass er viele Talente hatte und hat: Grube war stets technisch versiert, sportlich, sprachbegabt, musikalisch und ein Spaßvogel. Nicht zuletzt hat er Schlag bei den Frauen. Immerhin drei konnte er schon zum Standesamt führen.

Das unglaubliche Leben von Arno Grube: 100 Jahre, drei Frauen und sechs Kinder

Der junge Arno musste früh Verantwortung übernehmen. Der Vater hatte seine Mutter, ihn und seine Schwestern irgendwann kurzerhand sitzengelassen. Zu einer Art Ersatzvater wurde seine zwei Jahre ältere Schwester Helga. Die Familie war da bereits nach Harburg gezogen. Die Mutter bekam Geld von der Wohlfahrt, die Kinder, auch Arno, verdienten dazu.

Arno Grube ist glücklich mit seiner Dim.
Arno Grube ist glücklich mit seiner Dim. © HA | Lars Hansen

Arno Gruber ging zur Schule und hinterher in die Lehre. Bei den Werken der Hamburger Flugzeugbau GmbH in Bostelbek lernte er den Beruf des Flugzeugbauers. „Das war eine umfassende handwerkliche Ausbildung, von der ich mein Leben lang profitiert habe, obwohl ich nicht lange als Flugzeugbauer gearbeitet habe“, sagt er.

„Aber die meiste Zeit waren wir in Harburg“

Die Flugzeugwerke in Bostelbek gehörten zu Blohm und Voss. Auf ihrem Gelände befindet sich heute das Harburger Autokomponenten-Werk von Mercedes-Benz. Die Hamburger Flugzeugbau hatte auch einen Standort in Finkenwerder, wo große Flugboote sowohl für den friedlichen Einsatz, als auch mit kriegerischen Hintergedanken entwickelt wurden.

„Ab und an waren wir Lehrjungs auch bei diesen großen Fliegern eingesetzt“, sagt er, „aber die meiste Zeit waren wir in Harburg. So ein Flugboot ist ja auch nichts Besonderes. Es ist das Profil des Flügels, das ein Flugzeug in die Luft bringt, und nicht der Rumpf.“

Arno Grube als Jugendlicher
Arno Grube als Jugendlicher © HA | Grube

Die Ausbildung ermöglichte dem jungen Arno Grube auch ein Hobby, für das man sonst reich oder in der Hitlerjugend sein musste: die Segelfliegerei. „Mit 14 habe ich angefangen, für den Flugschein zu üben und zu lernen, aber erst mit 16 durfte ich zum ersten Mal alleine fliegen, einen Rutscher.“

Um selber fliegen zu können, brauchte Arno die Erlaubnis seiner Eltern

Das waren sehr einfache Segelflugzeugkonstruktionen, die auf Holzkufen über die Graspiste in den Wind gezogen wurden und auch auf diesen landen mussten. Damit er überhaupt in die Luft konnte, musste Arno Grube eine schriftliche Erlaubnis seines Vaters beibringen, aber der und Arno wollten nichts mehr miteinander zu tun haben.

Und die Mutter wollte nicht unterschreiben. Sie hatte Angst um ihren Sohn. Wenn man sich die Segeltuch-und-Spanten-Konstruktion des Rutschers einmal anguckt, kann man fast Verständnis dafür haben. Die große Schwester half, die Mutter zu überzeugen.

Im Zweiten Weltkrieg ist er als Panzermechaniker in der Normandie stationiert

Mit 18 wurde auch Arno Grube zum Kriegsdienst eingezogen. Wegen seines Segelflugscheins und der Flugzeugbauerausbildung begann er bei der Luftwaffe, wurde dann aber als Panzermechaniker in der Normandie stationiert. „Dort brauchten sie dringend Panzermechaniker und haben uns vor die Wahl gestellt: Luftwaffe an der russischen Front oder Panzertruppe in Frankreich“, erinnert sich Grube.

Arno Grube mit seinen fünf Schwestern.
Arno Grube mit seinen fünf Schwestern. © HA | Grube

Da siegte die Vernunft über den Heldenmut, und eventuell haben Mutter und Schwester auch beim Denken geholfen – genauso wie Margot dazu mit beigetragen haben könnte, seine erste große Liebe. Die Truppe hatte dadurch einen Spaßvogel gewonnen: „Mein Spitzname war Panzerschreck, weil ich den Kameraden gerne Streiche spielte.“

Der Krieg kostete Arno Grube zwei Finger, und er geriet in Gefangenschaft. Die verbrachte er in England, wo er schnell die Sprache lernte. Zurück in Harburg heiratete er 1946 seine Margot und trat 1947 eine Stelle als Werksschlosser bei der Phoenix an.

Mit Anfang 30 wurde er alleinerziehender Vater von drei Kindern

Mit Margot hatte er zwei Töchter, Renate und Margot, sowie einen Sohn, Hans-Jürgen. Die hatte er bald aber ohne Margot, denn diese brannte 1955 mit einem anderen Mann durch. Arno Grube musste seine drei Kinder erst einmal allein erziehen. „Wir sind tapfer morgens um fünf in den Kindergarten gegangen, während Papa zur Arbeit ging“, erinnert sich Tochter Renate.

Ein Freund und Kollege wollte sich das nicht lange mit ansehen und warb – ohne dessen Wissen – bei den jungen Frauen in seiner Kirchengemeinde für Arno. So trat Hanna in sein Leben und in das der drei Kinder, denen dann noch drei weitere folgten: Kurt, Brigitta und Arno Michael.

Arno Grube wurde Vater von sechs Kindern. Auf diesem Bild ist das fünfte Kind, Tochter Brigitta, noch das jüngste.
Arno Grube wurde Vater von sechs Kindern. Auf diesem Bild ist das fünfte Kind, Tochter Brigitta, noch das jüngste. © HA | Grube

Außer für seine Kinder war Arno Grube auch immer für seine Freunde und Kollegen da. Seit 76 Jahren ist er in der Gewerkschaft, als Turner, Ringer und Rettungsschwimmer war er Sportsmann und Sportskamerad und im Phoenix-Werksorchester ein unverzichtbares Mitglied an einem scheinbar unscheinbaren Instrument: der Mundharmonika.

Mundharmonika spielte er mit acht Fingern – zwei hatte er im Krieg verloren

Die Leidenschaft für die Mundharmonika geht auf seine Kindheit und auf Schwester Helga zurück. Die spielte Mundharmonika, als sie zehn war, und Arno acht. Das wollte er auch, und Helga wurde seine Lehrerin. „Dass ich ausgerechnet Mundharmonika gelernt habe, stellte sich später als Glücksfall heraus“, sagt Grube. „Ich hatte im Krieg ja zwei Finger verloren, aber bei diesem Instrument machte das nichts aus.“

Im Orchester spielte Grube verschiedene Mundharmonikas, auch große Bassinstrumente. Sein Liebling ist die Chromonica, mit der man alle Halbtöne spielen und mit einem Zughebel die Stimmungen verschieben kann. Am bekanntesten ist er aber für seine Darbietungen an der Minimundharmonika. Die großen Konzerte des Werksorchesters in der Friedrich-Ebert-Halle hatten nämlich immer lustige Intermezzi, in denen Musiker auch mal als Clowns auftraten.

Arno Grube (3. von links) spielte im Werksorchester der Phoenix.
Arno Grube (3. von links) spielte im Werksorchester der Phoenix. © HA | Grube

Mit fast 100 Jahren sang er für seine Kinder ein Musikvideo ein

Arno Grubes Auftritte mit der dreieinhalb Zentimeter großen „Little Lady“, die er auch mal als Anstecknadel trug, sorgten für genug Erheiterung beim Publikum, dass man danach auch wieder hochanspruchsvolle Stücke hören konnte.

Außer der Mundharmonika ist die eigene Stimme Arno Grubes Paradeinstrument. Schon als Junge hatte er Unterricht bei einem Opernsänger und noch mit 99 ¾ sang er für seine Kinder ein privates Musikvideo ein: „Die Uhr“, ein nachdenklich-rückblickendes Lied von Carl Löwe.

Nach dem Krieg zog es Arno Grube nach Frankreich zurück

Nichts ist für ewig: Nach 30 Jahren verließ Arno Grube die Phoenix und heuerte bei der Marmstorfer Werkzeugschmiede Klarhold an. Dort blieb er bis zur Rente. Danach jobbte er noch in Teilzeit bei einem Schlüsseldienst, dessen Inhaber er bei der Phoenix kennengelernt hatte.

Sprachen und Reisen waren lange ebenfalls Leidenschaften von Arno Grube. Nach dem Krieg zog es ihn nach Frankreich. Er wollte die Menschen kennenlernen, mit denen er als Soldat nicht hatte reden dürfen. Dafür lernte er Französisch. „Auch, weil ich den Klang der Sprache so mag“, sagt er. „Auf den Reisen habe ich schöne Freundschaften geschlossen.“

1997 heiratete Arno Grube seine dritte große Liebe Khemtong.
1997 heiratete Arno Grube seine dritte große Liebe Khemtong. © HA | Grube

Am Sonntag feiert Arno Grube mit Freunden, Kindern und seinen Enkeln

Sein Sohn Kurt überredete Arno Grube irgendwann, auch mal nach Thailand zu reisen. Das tat er, und es erwies sich als ein weiterer Glücksfall in seinem Leben: Er lernte Dim kennen, die mittlerweile seine dritte Ehefrau ist. „Ich war völlig begeistert von ihr und bin es immer noch noch“, sagt Arno Grube. Über viele Jahre reiste er immer wieder nach Thailand. Irgendwann kam Dim mit zurück. 1990 heirateten die zwei.

Wie die meiste Zeit seines 100-jährigen Lebens lebt Arno Grube immer noch mitten in Harburg. Am Sonntag feiert er mit Freunden, Kindern und Enkeln.