19 Monate vor tödlichem Unfall schlug Blitz am Bahnübergang ein. Streckenposten sollten Gleis sichern

Rümpel. Am Tag nach dem entsetzlichen Tod einer 56-Jährigen auf den Bahngleisen nahe dem schleswig-holsteinischen Dorf Rümpel (Kreis Stormarn) zeichnet sich ab, dass menschliches Versagen zu dem Unglück geführt hat. Wie berichtet, war der blaue Ford Fiesta der Frau aus der benachbarten Kreisstadt Bad Oldesloe am Dienstagabend um 18.34 Uhr vom Regionalexpress 21429 auf seinem Weg von Hamburg nach Lübeck erfasst und etwa 300 Meter mitgeschleift worden – auf einem nur provisorisch gesicherten Bahnübergang. Der Zug war 100 Kilometer pro Stunde schnell. Für die Autofahrerin kam jede Hilfe zu spät.

„Wir führen nun ein Ermittlungsverfahren gegen den Streckenposten“, sagt Oberstaatsanwalt Günter Möller, Sprecher der zuständigen Anklagebehörde in Lübeck. „Es besteht der Verdacht, dass er sich nicht vollkommen korrekt verhalten hat.“ Möglicherweise habe gleichzeitig die Autofahrerin einen Fehler gemacht, so Möller weiter, ohne konkreter werden zu wollen. War die Frau im dichten Nebel trotz roten Signallichts auf die Gleise gefahren? Zeugen berichteten schon am Dienstagabend an der Unfallstelle, dass die Ampel an dem Bahnübergang an, die Halbschranke aber nicht heruntergelassen gewesen sei.

Der Bahnübergang liegt auf halber Strecke zwischen den kleinen Ortschaften Rümpel und Rohlfshagen, beide Dörfer sind jeweils ungefähr einen Kilometer entfernt. Hier kreuzt die schmale, kurvenreiche Kreisstraße 61 eine der meistbefahrenen Bahnstrecken Deutschlands bei Kilometer 28,1. Auf der nördlichen Seite der Gleise steht ein grauer Bauwagen, rund um die Uhr besetzt, das Revier des diensthabenden Streckenpostens. Bevor ein Zug kommt, klingelt sein Mobiltelefon. Dann läuft er raus ins Freie, schaltet die Ampel ein, lässt die Schranken hinunter. So jedenfalls der Plan. Zigfach innerhalb von 24 Stunden wiederholt sich diese Prozedur an der Behelfsschranke, bis zu 200 Züge passieren die Strecke in dieser Zeit. Direkt daneben verhüllt graue Plastikplane Teile einer echten Schranke, darauf sind große schwarze Buchstaben gedruckt: „Außer Betrieb“.

Es ist der 19. April 2013, als ein Blitz in das Schalthaus am Bahnübergang einschlägt, was später zu dem Provisorium führt. Batteriesäure läuft aus und zerstört die Anlage. Was zunächst für einen kleinen Defekt gehalten wird, erweist sich alsbald als irreparabel. Die Deutsche Bahn verschiebt den Termin für die Wiederinbetriebnahme immer wieder und immer weiter nach hinten. Von November 2013 ist zunächst die Rede, später von September 2014 und Dezember 2014. Aktuell ist Januar 2015 im Gespräch.

Unterdessen beziehen Streckenposten Position bei Rümpel. Zunächst einer, der Absperrgirlanden spannt, wenn ein Zug kommt. Dann zwei, die das Gleiche tun. Alsbald witzeln die Menschen: „Sie halten immer noch Bändchen.“ Im Mai 2014 weichen die Girlanden einer mobilen Halbschranke. Und aus zwei Streckenposten wird wieder einer. Den Rümpelern ist nicht wohl dabei: „Das Vieraugenprinzip halte ich für eine so verantwortungsvolle Position eigentlich für besser“, sagt etwa Torben Schmahl (CDU), Rümpels Bürgermeister. „Zwei Posten sind eigentlich die Regel“, meint Gerhard Stelke, Sprecher der zuständigen Bundespolizei in Kiel. „Es ist nur einer da, das ist erlaubt“, sagt hingegen Bahnsprecher Egbert Meyer-Lovis.

Dass es – nach heutigem Stand – 21Monate gedauert haben wird, einen vom Blitz getroffenen Bahnübergang wieder in vollem Umfang zu ertüchtigen, ist nach den Worten von Bahnsprecher Meyer-Lovis „das normale Prozedere“. Er erklärt: „Weil wir eine neue Schranke bauen müssen, hat die alte ihren Bestandsschutz verloren. Die Folge ist ein reguläres Planfeststellungsverfahren.“ Daran schließe sich das Ausschreibungsverfahren an, beides parallel sei nicht erlaubt. So etwas könne schon mal drei Jahre dauern. Und Meyer-Lovis betont insofern: „Wir haben in diesem Fall schon die kürzestmögliche Zeit eingehalten.“

Mittlerweile sind die Bauarbeiten auf dem Bahnübergang in vollem Gange, auch am Tag nach dem furchtbaren Unfall. Eines aber ist anders als in den vergangenen Monaten: Die mobile Halbschranke ist nicht mehr in Betrieb, und aus dem einen Streckenposten sind wieder zwei geworden. Wenn das Handy klingelt und sich ein Zug nähert, halten sie – Absperrgirlanden. Zu Scherzen ist in Rümpel niemand mehr aufgelegt.