Historiker raten, ersten Ministerpräsidenten Niedersachsens als Namenspaten zu behalten. Alle Fraktionen lehnen ab. Kopf hat sich an jüdischem Vermögen in der NS-Zeit schamlos bereichert.

Hannover. Er liegt eingezwängt zwischen dem mächtigen klassizistischen Eingangsbereich des Landtages und dem nüchternen Zweckbau des Sozialministeriums genau gegenüber, 40 Meter Luftlinie, gepflastert und Stein des Anstoßes: der Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platz in Hannover, benannt nach dem ersten Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen. Genau das aber soll sich nach dem Willen aller Fraktionen im Landtag schnell ändert: Die Parteien schämen sich in einer großen Koalition für einen Mann, der zwar kein Nazi war, sich aber an jüdischem Vermögen in der NS-Zeit schamlos bereichert hat.

Herausgekommen ist das schon im Sommer durch eine Biografie der Göttinger Historikerin Theresa Nentwig. Sie belegte zweifelsfrei, wie der von den Nazis als Landrat geschasste und 1961 gestorbene Sozialdemokrat Kopf sich im Nationalsozialismus ertragreich einrichtete. Als Geschäftsmann verdiente er gut an der „Arisierung“ jüdischer Unternehmer und dem Verkauf jüdischer Immobilien, in der Kriegszeit ab 1939 auch im besetzten Polen.

Die von Landtagspräsident Bernd Busemann (CDU) um fachkundigen Rat gebetene Historische Kommission für Niedersachsen aber reagierte unerwartet zwiespältig: „Es besteht nach der bisherigen Kenntnislage kein vernünftiger Zweifel, dass Kopf (…) als moralisch belastet zu gelten hat.“ Und als es 1948 ein Auslieferungsersuchen der polnischen Regierung gab, rettete sich der erste Ministerpräsident des Landes mit einer glatten Lüge: „Ich bin niemals Enteignungskommissar oder Treuhänder polnischer und jüdischer Vermögen gewesen.“

Zur Überraschung der Politiker aber gab es von der Historischen Kommission nicht den erhofften eindeutigen Rat, den Platz vor dem Landtag, Straßen, Schulen und Kasernen überall im Land umzutaufen. Die Fachleute betonten vielmehr dessen Verdienste bei der Gründung des Bundeslandes Niedersachsen. Tatsächlich war er es, der maßgeblich dafür sorgte, dass die bis dahin rivalisierenden Regionen Hannover, Oldenburg und Braunschweig und Schaumburg-Lippe in den damaligen Notzeiten den Schulterschluss schafften. Der alles entscheidende Satz der Kommission: „Kopfs unstreitige Leistung rechtfertigt es trotz aller Bedenken, ihn in dieser Rolle als Gründerfigur des Bundeslandes Niedersachsen auch weiterhin zu würdigen.“ Folgerichtig lautete die Empfehlung an den Landtag, man solle die Benennung von Plätzen, Schulen und Straßen „beibehalten und durch eine Form kritischer Auseinandersetzung (…) sich dem Problem zu stellen anstatt es durch die Tilgung des Namens aus dem öffentlichen Bewusstsein hinauszurücken“.

Aber die Fraktionen im Landtag entschieden sich anders und forderten Landtagspräsident Busemann einmütig auf, sich mit dem Bezirksrat Hannover Mitte in Verbindung zu setzen mit dem Wunsch einer Namensänderung. Und die Parlamentarier widersprachen der Historischen Kommission im entscheidenden Punkt deutlich: „Eine Abwägung zwischen der Schuld, die Hinrich Wilhelm Kopf auf sich geladen hat und den großen Verdiensten des ersten niedersächsischen Ministerpräsidenten Kopf um die Gründung und den Aufbau des Landes, ist nach unserer einhelligen Auffassung nicht möglich.“ Den Weg zu dieser Entscheidung hatte Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) schon im Juni gewiesen, als er das Nentwig-Buch vorstellte und Theodor W. Adorno zitierte: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“ Im Bezirksrat Mitte der Stadt Hannover zeichnet sich eine breite Mehrheit ab, die ebenfalls für die Umbenennung des Platzes vor dem Landtag ist. Klar ist: Diese Feierabendpolitiker werden entscheiden, ob die CDU mit ihrem Vorschlag Chancen hat. „Platz der Niedersachsen“ haben die Christdemokraten vorgeschlagen. Im Bezirksrat ist die Tendenz erkennbar, einen Frauennamen zu nehmen.

Die FDP-Landtagsabgeordnete Sylvia Bruns hat das aufgegriffen und sich für die deutsch-amerikanische Publizistin Hannah Arendt ausgesprochen. Die ist in Hannover-Linden geboren worden und hat den Bestseller „Ein Bericht von der Banalität des Bösen“ geschrieben über Adolf Eichmann, Organisator der Judenvernichtung, dem 1961 in Jerusalem der Prozess gemacht wurde.

Gabriele Andretta, sozialdemokratische Vizepräsidentin des Landtages, möchte eine Diskussion anstoßen, die all die anderen Kommunen einbezieht, die in der Vergangenheit Schulen und Straßen nach Kopf benannt haben. Die SPD-Fraktion organisiert deshalb Mitte Januar eine Podiumsdiskussion, an der auch der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Niedersachsen, Michael Fürst teilnehmen wird.

Vermutlich werden dann auch Vertreter aus Peine kommen, wo sie gleich zwei Entscheidungen treffen müssen: Die Hinrich-Wilhelm-Kopf-Schule liegt an der Hinrich-Wilhelm-Kopf-Straße.