Sonderkommission in Lüneburg rekonstruiert Lauf des Großfeuers in Altstadt. Ermittlung wegen versuchten Totschlags. Polizei-Sprecher: “Wir haben unter anderem Brandbeschleuniger festgestellt.“

Lüneburg. 3,5 Millionen Euro Schaden, elf Menschenleben in Gefahr: Die verheerenden Folgen des Brandes im historischen Lüneburger Wasserviertel Anfang des Monats gehen auf das Konto eines Brandstifters. Versicherung, Stadt und Polizei haben nun eine Belohnung von 20.000 Euro ausgesetzt. Die Polizei hat ihre Sonderkommission nach eigenen Angaben weiter aufgestockt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen schwerer Brandstiftung und elffachen versuchten Totschlags.

„Dieser Brandort ist beschlagnahmt“, steht auf einem mit grünem Band festgeklebten Zettel mit Polizeiwappen am Bauzaun. „Betreten verboten.“ Noch immer bleiben Passanten stehen, wenn sie auf dem Weg in die Lüneburger Innenstadt am alten Hafen vorbeikommen, dem als Kneipenmeile und Fernsehkulisse bekannten Stint. Viele machen Fotos von der Wunde, die Flammen und Baggerzähne am 2. Dezember in das Panorama aus jahrhundertealten Fachwerkfassaden gefressen haben.

Abgebrannt ist das Haus aus dem Jahr 1857 zwar nicht, wegen Einsturzgefahr hat es die Stadtverwaltung aber noch vom Unglückstag an abtragen lassen. Das Unglück, das gar kein Unglück war, wie seit Dienstag bekannt ist. Sondern ein Verbrechen. Mit „hoher Wahrscheinlichkeit“ geht die Polizei von vorsätzlicher Brandstiftung aus. „Es deutet alles darauf hin“, sagte Sprecher Kai Richter. „Wir haben unter anderem Brandbeschleuniger festgestellt.“

Speziell auf das Erschnüffeln solcher Stoffe trainierte Hunde haben die Menschen bei ihrer schwierigen Arbeit unterstützt. Das Landeskriminalamt hat Experten der Brandursachenkommission aus Hannover nach Lüneburg geschickt – die Sachverständigen erstellen gerichtsverwertbare, forensische Gutachten zur möglichen Brandursache. Schwierig war ihre Arbeit nicht nur, weil sie die Restaurantküche im Erdgeschoss als vermutlichen Ausbruchsort des Brandes aufgrund der Schuttberge nur schwer erreichen konnten. Schwierig war auch, dass der Orkan „Xaver“ mitten in den Ermittlungen über Norddeutschland hinwegfegte.

„Die Brandermittlung funktioniert wie jede Tatortarbeit auch“, sagte Kai Richter von der Polizeiinspektion in Lüneburg am Dienstag. „Wir müssen sehr akribisch arbeiten. Wir analysieren zum Beispiel Schuttproben im Labor und untersuchen sie auf Rückstände, außerdem rekonstruieren wir den Lauf des Feuers: Wo ist es ausgebrochen, wie hat es sich entwickelt. Brand ist nicht gleich Brand.“

Die Polizei arbeitet nach Angaben von Kai Richter auch nach dem Ausschlussprinzip: Was kann nicht die Ursache sein. So können die Ermittler sogar selbst nach einem Brand oder einer Explosion noch feststellen, ob Gasleitungen intakt oder heil waren. Auch Kabel und Zündvorrichtungen lassen sich auch nach stundenlangem Feuer noch finden. „Nicht alles liegt in Staub und Asche“, so Richter.

Die Ermittlungen am Brandort dauern an, noch immer sind Beamte der Sonderkommission dort im Einsatz. Hinweise nimmt die Polizei entgegen unter der Telefonnummer 04131/292363. Auch nach Indizien für eine mögliche Täterschaft suchen die Polizisten. Richter: „Wir legen die letzten Ecken frei. Wir ermitteln in alle Richtungen.“

Lüneburgs Oberbürgermeister Ulrich Mädge zeigte sich am Dienstag entsetzt über die Erkenntnisse der Polizei. „Es ist erschütternd, dass hier jemand kaltblütig das Leben der Bewohnerinnen und Bewohner aufs Spiel gesetzt hat“, sagte er. „Wir mussten 80 Nachbarn aus ihren Häusern evakuieren. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn das Feuer auf angrenzende Gebäude übergegriffen hätte. Die Täter müssen gefasst und für ihre Taten bestraft werden.“

Lüneburgs Stadtbaurätin und der Hauseigentümer bringen derweil die Pläne für einen Wiederaufbau des ortsbildprägenden Fachwerkbaus voran. Es laufen Gespräche mit einem Architekten, außerdem steht die Rathausspitze im Kontakt zum Niedersächsischen Sozialministerium, Stichwort Städtebaufördermittel. „Frau Ministerin Rundt hat uns Unterstützung zugesagt, das freut uns sehr“, so Mädge.

Sowohl Mädge als auch der Eigentümer hatten bereits angekündigt, einen möglichst originalgetreuen Wiederaufbau anzustreben. Die Arbeiten könnten schon im Frühjahr beginnen.