Bewohner berichten von ihren Erlebnissen beim Brand im Lüneburger Hafenviertel. “Das waren die längsten drei Stunden meines Lebens.“ Der Schaden geht in die Millionen.

Lüneburg. Als ihre Wohnung brannte, saß Lola Stegen im Flugzeug von Alicante nach Hause. Übers WLAN konnte die Studentin auf ihrem Handy die Nachrichten aus Lüneburg lesen: Feuer am Stintmarkt, mitten im historischen Hafenviertel. Die Fotos sah die 21-Jährige auch: „Ich wusste sofort: Das ist unser Haus. Das waren die längsten drei Stunden meines Lebens.“

Einen Tag später steht die gebürtige Hamburgerin mit ihren Lüneburger Mitbewohnern auf der Brücke gegenüber ihrem Zuhause und sieht zu, wie der Greifer eines Baggers sich durch ihre Wohnung frisst. „Da links, wo die beiden kleinen Fenster sind: Das war unsere Küche. Ganz rechts über dem Schriftzug das Zimmer von Adrian, links daneben das von Elisa“, sagt sie und zeigt auf das Fachwerk ohne Dach. „Oh, Elisa, da steht noch deine Schreibtischlampe.“

„Georg von Lösecke“ steht in weißen Lettern auf der roten Fassade, dem Weinhändler hat das Haus vor 100 Jahren gehört. 1857 hatte der Vorgängerbau aus dem 16. Jahrhundert schon einmal gebrannt und musste bis auf den Keller wiederaufgebaut werden. Jetzt haben Flammen die Adresse Am Stintmarkt 2 zum zweiten Mal vernichtet.

Als es mitten in der Nacht knallte im Erdgeschoss, schreckte Marthe Kroll aus dem Schlaf hoch und rannte ins Zimmer ihres Mitbewohners. Beide griffen sich Kamera und Laptop, rannten auf die Straße. „Ich hätte nie gedacht, dass die Flammen von da ganz unten bis zu uns nach oben kommen“, sagt Marthe, 23. „Ich dachte, in fünf Stunden kann ich weiterschlafen“, sagt Adrian Hoffmann, 26. Er hat die Nacht im Hotel verbracht.

Zu fünft haben die jungen Leute in der Wohnung über dem Schriftzug gewohnt, sie studieren Betriebswirtschaftslehre, Lehramt, Kulturwissenschaften und Politik – einige bereits im Masterstudiengang, andere im ersten Semester. Nur zwei waren in der Nacht in der Wohnung, Marthe und Adrian. Als die drei anderen nach Hause kamen, hatten sie alles verloren.

Elisa Bracht zieht die Schultern hoch, tappt von einem Fuß auf den anderen. Sie friert. Einen zweiten Pulli und eine Hose hatte die 21-Jährige dabei, mehr nicht. Selbst gebaute Geschenke ihres Vaters, Tausende Fotos aus Lüneburg und von Reisen, ihre Arbeiten für die Uni: alles weg. „Ich habe zwar alle Daten auf einer externen Festplatte gespeichert“, erzählt sie. „Aber die war natürlich in der Wohnung.“

Wenn sie liest, dass die Fernsehserie „Rote Rosen“ nun eine wunderbare Kulisse verloren hat, beißt die Studentin ihre Lippen zusammen. „Es ist unglaublich, dass darüber als Erstes nachgedacht wird.“ Großartig findet sie die Facebook-Hilfe-Gruppe mit bereits mehr als 2500 Mitgliedern. „Wenn uns jetzt Töpfe und Sofas angeboten werden, weiß ich allerdings nicht, wohin damit.“ Schließlich hat sie keine Küche mehr für Töpfe und kein Zimmer für ein Sofa.

Wie es weitergeht, weiß von den fünf noch niemand. „Ich habe keine Ahnung, wo ich anfangen soll“, sagt Moritz Reinbach, 23. Adrian nutzt seinen Schock für eine Art Neustart. „Ich habe keinerlei materiellen Besitz mehr“, sagt der 26-Jährige. „Ich fühle mich fast frei. Wenn ich nicht studieren müsste, würde ich einfach wegfliegen. Irgendwohin.“ Wer der Wohngemeinschaft eine Bleibe anbieten möchte, kann per E-Mail zu Lola Stegen Kontakt aufnehmen: lola.j.k.stegen@stud.leuphana.de. Insgesamt zwölf Menschen haben nach Angaben der Polizei in dem Haus gelebt, sie alle sind seit Montag wohnungslos.

Am Dienstag äußerte sich auch „Rote Rosen“-Produzent Emmo Lempert öffentlich: „Der Verlust eines solchen Hauses, das das Uferpanorama der Altstadt und damit eines der Schlüsselmotive von ,Rote Rosen‘ prägte, schmerzt und macht betroffen. Wir möchten daher Oberbürgermeister Mädge, der in diesem Jahr so viel für uns getan hat, unsere Solidarität und Unterstützung zusichern, wann immer er sie braucht. In der tragischen Realität haben die Betroffenen unser tiefstes Mitgefühl.“

Das Feuer war in der Nacht zu Montag nach einer Explosion im Erdgeschoss ausgebrochen, mehr als 500 Feuerwehrleute bekämpften die Flammen. Schwierigkeiten machte die Lage am alten Hafen: Das historische Haus steht direkt am Wasser. Verletzt wurde niemand, der Schaden erreicht Millionenhöhe. Die Brandursache ist noch nicht ermittelt. Die Aktion „Guter Nachbar“ hilft Opfern, das Spendenkonto lautet 40105 bei der Sparkasse Lüneburg, BLZ 24050110, Stichwort „Feuer am Stint“.