Marode Schleusen der Nord-Ostsee-Verbindung werden noch jahrelang Probleme machen. Das bereitet Reedereien große Sorgen.

Hamburg. Für die Schifffahrt und die Hafenwirtschaft in Norddeutschland ist die teilweise Sperrung des Nord-Ostsee-Kanals ein herber Rückschlag. Seetransporte werden dadurch teurer. Obendrein steht infrage, wie zuverlässig die größten deutschen Seehäfen Hamburg und Bremerhaven in den kommenden Jahren an die Fahrtziele in der Ostsee angebunden sein werden. Der international als Kiel-Canal bekannte Verkehrsweg ist die meistbefahrene künstliche Wasserstraße der Welt. "Der zeitlich eng getaktete Warentransport über den Hamburger Hafen wird massiv gestört", sagte am Donnerstag der Präses der Handelskammer Hamburg, Fritz Horst Melsheimer. "Zudem entfallen die Standortvorteile der deutschen Seehäfen gegenüber den Westhäfen wie Rotterdam oder Antwerpen, wenn der Weg durch den Kanal nicht offen steht. Der Bund ist in der Pflicht, die Technik am Nord-Ostsee-Kanal umgehend für die Anforderungen des 21. Jahrhunderts fit zu machen."

Die betroffenen Unternehmen versuchen, sich und ihre Kunden auf die Folgen einzustellen. "Wir führen ab sofort einen Zuschlag ein, um Mehrkosten auszugleichen", sagte Timm Ulrich Niebergall, Deutschlandchef der Reederei Unifeeder, dem Abendblatt. Unifeeder ist mit bis zu 2000 Passagen von Container-Zubringerschiffen im Jahr der wichtigste Kunde des Nord-Ostsee-Kanals. Die Reederei leitet ihre Schiffe nun um Dänemarks Nordspitze bei Skagen herum. Das bedeutet, je nach Abfahrtsort oder Ziel, eine um fünf bis 20 Stunden längere Fahrt. Mehrkosten entstehen Unifeeder wie auch deren Konkurrenten durch einen höheren Brennstoffverbrauch, durch längere Charterzeiten für die Schiffe und durch zusätzliche Nachtschichten, die in den Häfen wegen der Verspätungen bei der Abfertigung der Schiffe nötig werden.

Die Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nord (WSD) des Bundes hatte am Mittwoch bekannt gegeben, dass die beiden großen Schleusen in Brunsbüttel wegen akuten Reparaturbedarfs für zwei Wochen geschlossen werden müssen. Schiffe mit mehr als 125 Metern Länge, 20,5 Metern Breite und 6,5 Metern Tiefgang können den Kanal nicht mehr passieren. Im Hamburger Hafen fehlt nach Abendblatt-Informationen bereits erste Ladung von Zubringerschiffen. "Zwei Drittel der Ladung, die durch den Nord-Ostsee-Kanal kommt, geht durch die großen Schleusen", sagte eine Sprecherin der WSD dem Abendblatt. Im vergangenen Jahr wurden bei 35.000 Passagen von Handelsschiffen insgesamt 104 Millionen Tonnen Ladung durch den Kanal transportiert.

Die für den Kanal zuständige Bundesregierung stimmte die Branche am Donnerstag auf schwierige Zeiten ein. "Diesen Zustand werden wir in den kommenden sieben Jahren leider häufiger erleben", sagte Enak Ferlemann (CDU), parlamentarischer Staatssekretär bei Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU), in Cuxhaven zur Teilsperrung des Kanals. "Deswegen prüft das Bundesverkehrsministerium, ob zusätzliche Maßnahmen notwendig sind, um auf dieses Problem eingerichtet zu sein." Der Bund will die aus dem frühen 20. Jahrhundert stammenden Kanalschleusen in Brunsbüttel und in Kiel-Holtenau sanieren, kommt damit aber nicht voran. Im April 2012 setzte Ramsauer den ersten Spatenstich für den Bau einer dritten großen Schleusenkammer in Brunsbüttel, die Spielraum für die Grundsanierung der beiden alten Kammern schaffen soll. Bislang wurde aber noch nicht einmal die nötige europaweite Ausschreibung für die Baumaßnahmen gestartet. Aus heutiger Sicht werden die großen Schleusen in Brunsbüttel und in Kiel nicht vor dem Jahr 2020 erneuert sein.

Die Teilsperrung des Kanals provoziert auch politischen Streit zwischen SPD und Union. "Wir bekommen jetzt die Folgen der über Jahrzehnte vernachlässigten Instandhaltung und aufgeschobenen Modernisierung, verbunden mit einem stetigen Personalabbau in der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung, zu spüren", heißt es in einem Brief des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Torsten Albig (SPD) an Ramsauer. "Dieser Schaden lässt sich nicht allein mit der Umleitung der Schifffahrt über Skagen begrenzen." Albig fordert jährliche Investitionen von 120 Millionen Euro für einen Zeitraum von zehn Jahren, um den Nord-Ostsee-Kanal grundlegend zu sanieren und um ihn für größere Schiffe passierbar zu machen. Ferlemann wiederum nahm die SPD mit Blick auf deren Regierungsbeteilung im Bund von 1998 bis 2009 in die Mitverantwortung für die Misere am Kanal: "Wir sehen hier die Folgen unter anderem von elf Jahren SPD-Verkehrspolitik", sagte er.

In der Tat ist Fachleuten der Verfall vor allem der großen Brunsbütteler Schleusen lange bekannt. "In den 1990er-Jahren war ich in der Lotsenstation in Brunsbüttel tätig", sagte der Ältermann der Lotsenbrüderschaft Elbe, Albrecht Kramer, dem Abendblatt. "Schon damals haben wir den schlechten Zustand der Schleusen kritisiert."