Existenzangst, Stress in der Großfamilie, Isolation im Dorf - viele Landwirte sind verzweifelt und suchen Trost. Ein Sorgentelefon hilft.

Barendorf. Das Telefon klingelt. Am anderen Ende der Leitung: ein Jungbauer. Einer, der sich sein Leben so nicht vorgestellt hat. Seine Frau will morgens nicht in den Stall, um Kühe zu melken. Sie möchte lieber weiterhin in der Stadt arbeiten, als Lehrerin. Aber Mutti ist ja da. Und die besteht selbstverständlich darauf, die Klamotten für ihren "Großen" auszusuchen. Hat sie schließlich schon immer gemacht. Der "Große" ist schon Ende 30, doch so groß dann auch wieder nicht: Dem Vater, eigentlich längst Altenteiler, passt nicht, dass der Junior den Betrieb umstrukturieren möchte. Zu teuer. Und überhaupt: Seit sich der Plan vom Bau des neuen Schweinemaststalls im Dorf herumgesprochen hat, steht die Familie auch noch total isoliert da. Vorn am Tor zum Hof demonstrieren die Mitglieder der Bürgerinitiative gegen die drohende "Tierfabrik". Der Mann ist verzweifelt. Ein Bauer sucht Trost.

Dieser Jungbauer existiert als Person nicht, sein Schicksal ist konstruiert - rekonstruiert aus den Erfahrungen kirchlicher landwirtschaftlicher Familienberater. Doch er könnte exakt so existieren. Nun also hat er all seinen Mut zusammengenommen, hat zum Telefonhörer gegriffen, hat elf Ziffern gewählt, will sich ausheulen. Beim Sorgentelefon der Evangelischen Landwirtschaftlichen Familienberatung in Barendorf (Landkreis Lüneburg) darf er das.

Der Berater, der an diesem Tag am Sorgentelefon im Haus der Heimvolkshochschule sitzt, ist selbst Landwirt, ein Mann von Mitte 50 mit einem eigenen Hof im Landkreis. Er möchte anonym bleiben, so wie alle ehrenamtlichen Berater. Er kennt die Nöte seiner Klienten. "Landwirte haben andere Probleme als Stadtpflanzen", sagt er. "Sie können das Private nicht vom Beruflichen trennen. Sie arbeiten nahezu rund um die Uhr. In ihren Familien müssen alle an einem Strang ziehen."

Tun sie aber nicht immer. Und dann kommt Arbeit auf die Berater zu, immer mehr Arbeit. Denn der Jungbauer, obgleich konstruiert, ist längst kein Einzelschicksal. Oft reicht ein Telefongespräch nicht aus, dann müssen die Helfer raus zu einem Ortstermin. "Auf den Höfen steigt die Bereitschaft, sich helfen zu lassen", sagt Götz Schumacher, 49, Agraringenieur und Geschäftsführer der Evangelischen Landwirtschaftlichen Familienberatung. Das sei nicht immer so gewesen. "Früher hieß es: Wir haben keine Probleme. Wir lösen sie selbst."

Auch Ludger Rolfes, 54, Geschäftsführer der Ländlichen Familienberatung in Wallenhorst, sagt: "Die Beratungszahlen sind in den vergangenen Jahren stark gestiegen." Seit 2006 haben sie sich auf jetzt 56 pro Jahr fast verdoppelt. Es gibt Wartelisten. Die Einrichtung, die von der katholischen Landvolkshochschule und der Landjugendbewegung getragen wird, deckt den Westen Niedersachsens ab.

Gerade hat Schumachers noch relativ junge Einrichtung 14 neue, speziell geschulte Berater eingesetzt; 52 sind es nun landesweit in beiden Beratungsstellen. "Alle Berater arbeiten ehrenamtlich", sagt Schumacher, "und sie kommen alle aus der Landwirtschaft. Sie kennen sich aus, sie wissen, wovon sie reden, sie haben es selbst erlebt." Sie seien keine Psychologen. Damit brauche man einem Bauern gar nicht erst zu kommen.

Diese Menschen wissen: Die Realität in der Landwirtschaft ist weit entfernt von jeglicher Bauernhof-Bilderbuchidylle. Götz Schumacher fasst es in diese Worte: "Die wirtschaftlichen Bedingungen sind oft nicht die besten, gleichzeitig fällt so viel Arbeit an, dass es an Überlastung grenzt, und dann leben auch noch vier Generationen unter einem Dach oder zumindest auf einer Hofstelle. Das ist ein Pulverfass."

Ludger Rolfes sagt: "Was wir in letzter Zeit stark beobachten, sind Fälle von Burn-out, Depressionen und Sucht. Das hängt damit zusammen, dass viele Landwirte immer geringere Chancen für sich sehen."

Und dann ist da noch die Tradition, die eine große Rolle spiele - "ungeschriebene Familienaufträge und unheimliche Zwänge", wie Götz Schumacher es nennt: "Der 37. Heinrich bekommt den Hof. Vielleicht will er nicht, aber er hat Angst: Wenn ich das jetzt nicht mache, dann bin ich derjenige, der nach so vielen Generationen aufhört." Aber auch die diametralen Fälle seien nicht selten, wie Ludger Rolfes berichtet: "Da wird der Hof eben nicht übergeben, es geht um Macht und Misstrauen zwischen Vater und Sohn. Für jede Investition muss der Vater um Erlaubnis gefragt werden, denn er traut seinem Sohn und dessen Frau nicht zu, dass sie ordentlich mit Geld umgehen können."

Welches der beiden Szenarien auch immer im Einzelfall zutreffen mag: Im Ergebnis sitzt der Landwirt da, gefangen zwischen Tradition und eigenen Träumen einerseits, zwischen Tradition und der Notwendigkeit, neue Wege zu beschreiten, andererseits. Ludger Rolfes: "Der Sohn weiß, dass er in den Betrieb investieren muss. Der Vater aber pocht darauf: Auf unserem Hof haben wir uns noch nie verschuldet." Ein unlösbarer Konflikt in Zeiten, in denen allein ein neuer Traktor 80 000 Euro kostet. Und ein neuer Großstall ein Vielfaches davon.

Apropos Großstall: Schwelten die Konflikte bislang hauptsächlich innerhalb der bäuerlichen Familie, so wirken sie immer öfter von außen auf diesen Mikrokosmos ein. "Der soziale Druck, den etwa Bürgerinitiativen ausüben, steigt", sagt Götz Schumacher.

Das beobachten auch die Experten vom Landvolk Niedersachsen, dem Bauernverband. Dessen Sprecherin Gabi von der Brelie sagt dem Abendblatt: "Wenn es um Mastställe geht, braucht man starke Nerven. Wir sagen den Kollegen: Guckt, wo ihr ihn hinsetzen wollt, sprecht vorher mit den Nachbarn." Aber auch Auseinandersetzungen wie die Milchlieferstreiks in den vergangenen Jahren belasteten die Landwirte. Von der Brelie: "Daran sind Freundschaften zerbrochen."

Die kirchlichen Familienberater können helfen, Wunder vollbringen können sie nicht. Müssen sie aber auch gar nicht, sagt Götz Schumacher. "Das Wort Beratung", betont er, "ist vielleicht irreführend. Wir begleiten. Denn wenn jemand so weit ist, dass er sich Hilfe holt, hat er die Lösung schon in sich. Wir helfen nur, sie rauszulocken."

Kann das Ergebnis sein, mit der Landwirtschaft aufzuhören? "Ist schon mal vorgekommen." Das wäre ein Weg, den jährlich gut 2000 der aktuell noch 43 000 niedersächsischen Landwirte wählen.