Kartoffeln und Eier frei Haus: Joachim Sprotte betreibt einzigen verbliebenen Hof des Stadtteils. In zwei Jahren ist für ihn aber Schluss.

Hamburg. Die Gäste kommen unangekündigt an diesem Tag. Sie sind ein bis drei Jahre alt, dick verpackt und bunt bemützt. Sie kommen mit unbeholfenen Schritten und großen Erwartungen. Sie kommen, um Schweine und Kühe zu sehen.

Einmal im Monat, wenn die nahe gelegene Kita Joachim Sprotte einen Besuch abstattet, gleicht sein Hof einem kleinen Zoo. Ohne Rücksicht auf Verluste tapsen die Kinder mit großen Augen durch den Dreck, sammeln Federn auf, greifen, den Blick respektvoll zu den Kühen auf der Weide gerichtet, nach den Händen ihrer Erzieherinnen und ahmen "Muuuh"-Geräusche nach. Im Fünfminutentakt meldet sich der Hahn mit einem Schrei. Es ist eine Kulisse, die ein bisschen aus der Zeit gefallen zu sein scheint.

Joachim Sprotte ist ein drahtiger Mann in blauem Arbeitsoverall und mit von der Arbeit gegerbten Händen, die Kartoffeln verlesen und eingeweichtes Brot verfüttern. 60 Jahre ist er alt, und fast genauso lange schon auf dem Hof. Er ist der letzte seiner Zunft, der letzte Bauer von Lemsahl.

Es ist ein ruhiger, ländlicher Stadtteil, der eher unauffällig am Rande Hamburgs liegt, und wie in vielen dieser Stadtteile sagen auch die Lemsahler gern über den ihrigen, dass er noch immer sei wie ein Dorf. Zwölf Höfe gab es in Lemsahl-Mellingstedt vor 50 Jahren, ein Hahnenschrei war noch keine Seltenheit, eine Kuh noch kein Ereignis. Heute sind nur Sprotte und sein reetdachgedecktes Hofhaus übrig. "Eier" steht an der holprigen Zufahrt, "Kartoffeln". Das Haus ist eine alte Räucherkate mit Klärgrube, Koksofen und Wasser aus einem eigenen Brunnen, früher lebten hier Mensch und Tier unter einem Dach. Ganz oben wurden die Schinken aufgehängt. Noch heute sind die Balken schwarz. Sprotte kam her, da war er gerade mal ein halbes Jahr alt, das jüngste von vier Kindern. Die Eltern, aus Schlesien gekommen, pachteten damals den Hof. "Irgendwie hineingewachsen" ist er in die Landwirtschaft, wie er heute sagt. Schon mit 13 Jahren pflügte er die Felder selbst, auf die Schule folgte eine Ausbildung auf dem Hof, mit 21 übernahm er den Betrieb. Irgendwann gab es einen landwirtschaftlichen Ball im Hotel Interconti, zu dem er Marianne, die Tochter einer befreundeten Familie, einlud - als seine Frau führt sie heute mit ihm den Hof.

Sie teilen sich die Arbeit und ergänzen sich, er kommt frühmorgens, um die Tiere zu füttern, sie bleibt dafür, wenn er mal Pause macht. Wo sie das Herz einbringt und die Dekorierfreude, gibt Sprotte sich eher nüchtern. Moderne Bauernromantik liegt ihm fern. "Hier gibt's doch nichts Besonderes", sagt er selbst über seinen Hof.

Es ist ein kleiner Betrieb, schon immer gewesen, und noch ein bisschen kleiner geworden, je größer die Großbetriebe wurden: Acht Kühe gibt es, 13 Enten, zwei Schweine, drei Hennen, ein Hahn und zu Weihnachten hin eine Horde Puten. Sprotte hat sich auf den direkten Verkauf spezialisiert, die ganze Woche über kommen Kunden zum Hof. Haupteinnahmequelle sind die Kartoffeln, seit Jahrzehnten in der Umgebung bekannt. Seine Kundinnen sagen, dass ihre Kinder sofort schmecken, ob sie Sprottes Kartoffeln auf dem Teller haben oder die aus dem Supermarkt. Sprottes Kartoffeln, das wissen sie, sind zwar etwas teurer - aber von vertrauter Hand verlesen und, so die einhellige Meinung, besser als die aus dem Laden.

Die zweite wichtige Einnahmequelle sind noch immer die Eier, die Sprotte inzwischen von einem Kollegen bezieht, seit die Hühnerhaltung sich für ihn nicht mehr lohnt. Geblieben ist der persönliche Kontakt. Seit Jahrzehnten beliefert er die Haushalte der Umgebung, zweimal pro Woche bricht er auch nach Duvenstedt und Volksdorf auf. Es sind leise Touren, er mag es nicht, wenn man hupt oder klingelt. Wenn die Leute nicht zu Hause sind, legen sie ihm das Geld schon hin. Und Sprotte weiß genau, wer wie viele Eier will.

Er mag seinen Beruf und hat sich nie etwas anderes gewünscht. Er hat kein Handy, keinen Computer. Aber es gibt auch Dinge, die ihm mehr zu schaffen machen als früher. Das Schlimmste ist die Witterung und das Warten, wenn der rettende Regen nicht kommen mag. An solchen Tagen merkt Sprotte, dass es dann auch mal gut ist irgendwann. "Die Nerven machen im Alter nicht mehr so mit", sagt er. Ob er den Hof heute wieder übernehmen würde? Er weiß es nicht. Die Zeiten haben sich geändert. Es ist schwerer geworden, die Konkurrenz ist größer, anonymer, mächtiger. Getreide lohnt sich nicht mehr, auch eigene Eier lohnen nicht mehr. Die Supermärkte, sagt Sprotte, machen die Grundnahrungsmittel billig, damit die Leute kommen und sich gleich auch noch die teureren Sachen kaufen.

Zwei Jahre noch wird er seinen Hof betreiben, dann ist es vorbei mit Sprottes Kartoffeln und den Eiertouren. Den Hof hat er von der Stadt nur gepachtet, seine beiden Söhne haben etwas anderes gelernt. Ein Nachfolger ist noch nicht in Sicht. Vielleicht ist Sprotte tatsächlich der letzte Bauer von Lemsahl.