Horst Koske war an der Versenkung der “Godafoss“ beteiligt. Nach 70 Jahren erzählt er, wie er den Untergang des isländischen Dampfers erlebte.

Winsen/Luhe. Wo ist denn nun dieses Foto? Etwas fahrig blättert Horst Koske in dem Buch, das für den 88-Jährigen in den letzten Monaten so wichtig geworden ist. Das den immer noch kräftigen Mann kaum schlafen ließ in vielen Nächten. "Hier ist es", sagt Koske leise, als er das Bild der jungen Arztfamilie gefunden hat. Die Schwarz-Weiß-Momentaufnahme eines kurzen Glücks. Vater, Mutter, zwei kleine Kinder und ein Baby. Das warme Mittagslicht fällt durch die Fensterscheiben seines Fachwerkhauses in Winsen. Koske blickt kurz hoch, seine Stimme stockt, die blauen Augen schimmern wässrig. "Ich bin doch selbst Großvater", sagt er, bricht den Satz ab, schaut ins Leere.

Vor fast 70 Jahren, am 10. November 1944, war er dieser Familie sehr nahe gekommen. Von New York aus wollten die Olasons trotz des Krieges mit dem Passagierdampfer "Godafoss" zurück nach Island fahren. Koske war Funkmaat auf U-300, als die 1921 gebaute "Godafoss" schon dicht unter der isländischen Küste für die U-Boot-Leute in Sicht kam. Ein kleiner Dampfer eines Konvois, ein lohnendes Ziel für die Torpedos.

Warum das Passagierschiff eines neutralen Staates mit Kriegsschiffen im Geleitzug fuhr, wieso es die Deutschen jagten und dann selbst zu Gejagten wurden - darüber ist jetzt im Ankerherz Verlag ein Buch ("Godafoss", 192 Seiten, 29,90 Euro) erschienen, das die Ereignisse erstmals als deutsche Thriller-Dokumentation aufgezeichnet hat.

Über das Geschehen auf U-300 hat Koske dem Autor Stefan Krücken in vielen Gesprächen berichtet. Für Koske war es eine Art Therapie, eine Aufarbeitung von Erlebtem, von dem er in den vielen Jahren nach dem Krieg nie erzählen wollte. "Wir U-Boot-Leute wurden doch als Kriegsverbrecher hingestellt", sagt Koske. Erst jetzt als alter Mann setzte er sich den Fragen nach Schuld und Gewissen aus, war bereit, vor einigen Wochen auf der Frankfurter Buchmesse einen Überlebenden der "Godafoss" zu treffen.

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Für das Frühjahr hat er nun auch eine Einladung vom isländischen Präsidenten. In dem kleinen Inselstaat ist die Versenkung der "Godafoss" noch immer ein nationales Trauma, sagt Krücken, der das Buch zusammen mit seinem isländischen Kollegen Ottar Sveinsson recherchiert hat. Dass nun einer der U-Boot-Männer von damals gewillt ist, sich dem Geschehen und den Zeitzeugen zu stellen, wird dem Deutschen hoch angerechnet. "Ich habe es für meinen Kommandanten getan, für die toten Kameraden", sagt Koske so, als sei er gerade erst von Bord gekommen. Als sei er nicht der alte Mann mit dem kaputten Knie, als sei er noch der 20-jährige athletische Funkmaat aus Ostpreußen.

Es ist die zweite Feindfahrt von U-300, die ihn im Herbst 1944 vor die isländische Küste führt. Kommandant Fritz Hein, ein erst 24-Jähriger mit sanften Zügen, hatte den Befehl bekommen, dort Schiffe der Alliierten zu attackieren. "Der U-Boot-Krieg war da eigentlich schon zu Ende", sagt Koske heute, der das auch damals schon ahnte. 1923 in Pillau in Ostpreußen geboren, hatte er zunächst eine Kaufmannslehre absolviert, sollte das Geschäft seines Vaters übernehmen. Mit 17 kam er aber zur Marine, erhielt eine Funkausbildung und diente später bis 1943 auf einem Ziel-Übungsschiff, bis er schließlich zu den U-Booten abkommandiert wurde. In dieser Zeit sind die grauen Stahlröhren längst schon mehr Gejagte als Jäger. Die Verluste sind groß, die Alliierten hatten den deutschen Funkcode entschlüsselt. Drei von vier Besatzungsmitgliedern der deutschen U-Boot-Flotte bleiben auf See. "Wir wussten das, haben das als Schicksal hingenommen", sagt Koske.

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U-300 ist zudem ein U-Boot neuen Typs. Ein Schnorchelboot, das nicht mehr auftauchen muss, um Luft zu holen, und sich so besser verstecken kann. Aber die Technik ist kaum erprobt. "Wir waren Versuchskaninchen", sagt Koske. Bei Wellengang werden durch die Luftklappe Abgase ins Innere gedrückt, ein dunkler Film bildet sich auf den Gesichtern der jungen Männer. Zum Waschen gibt es nur ein paar Tropfen Wasser, Munitionskästen werden zum Klo umfunktioniert. Schweiß, Gestank, Kälte herrschen in der 76,76 Meter langen und knapp sieben Meter breiten Röhre, wo die 50 Besatzungsmitglieder leben. In den fahlen Gesichtern sprießen Bärte, bei manchem erst ein Flaum. Überdruck und Unterdruck bereiten Schmerzen. "Manchmal war es, als ob der Kopf wie ein Ballon gleich platzt", erzählt Koske.

Wochenlang pirscht das Boot vor Island. Gelegentlich kommt ein Fischkutter in Sicht, der aber kein lohnendes Ziel darstellt. Alliierte Korvetten mit ihren gefährlichen Wasserbomben kommen in bedrohliche Nähe. Schon bei der ersten Feindfahrt war U-300 heftig attackiert worden, tief am Meeresboden versteckte sich das Boot, die Luft wurde knapp. Koske setzt sich in seinem Stuhl plötzlich gerade hin, macht hektische Schnappatmungs-Bewegungen, keucht. So habe man damals durchhalten müssen, sagt er: und dass es bisweilen sehr knapp gewesen sei. "Wir haben aber Witze gemacht, waren oft seltsam gleichgültig - doch über die Situation, über den Krieg, Ängste und das alles wurde nicht gesprochen, kein Wort", sagt Koske.

Am Vormittag des 10. November entdeckt Kommandant Hein durch das Periskop im leichten Schneefall den Tanker "Shirvan". Nur vier Minuten später schießen zwei Torpedos aus U-300 heraus. Der Tanker erhält einen Volltreffer, bekommt Schlagseite, Feuer bricht aus. An Bord des U-Boots jubelt die Mannschaft. Endlich Erfolg, endlich ein Treffer. Gedanken, dass dort andere Seeleute verbrennen und ertrinken? "Nein, daran haben wir nicht so gedacht", sagt Koske. Etwas anderes bewegte die Männer, sagt er: "Wir haben in Hamburg gesehen, wie Frauen und Kinder durch die Fliegerbomben umgekommen sind - jeder Tanker, den wir versenkten, hatte für uns bedeutet, dass weniger Bomber nach Hamburg fliegen können."

Auch an Bord der "Godafoss" sieht man das Feuer im Schneetreiben. Mit knapp 30 Besatzungsmitgliedern und nur zwölf Passagieren war der Stolz der jungen Inselrepublik auf der Rückfahrt von New York. Aus Sicherheitsgründen hatte sich die Reederei entschlossen, dass das für gut 70 Passagiere ausgelegte Schiff in einem Geleitzug fahren sollte. Um es U-Booten schwer zu machen, war der Rumpf in grauer Tarnfarbe gestrichen, die Positionslichter abgedunkelt - obwohl neutrale Schiffe eigentlich gehalten waren, mit voller Beleuchtung und allein zu fahren.

In Schottland dachten Mannschaft und Passagiere eigentlich, die gefährlichste Passage hinter sich gebracht zu haben. Auf dem Rest der Strecke bis nach Island sollte schon nichts mehr passieren.

Normalerweise war es den Schiffsführungen verboten, in einem Geleitzug zu stoppen. Doch der "Godafoss"-Kapitän entschließt sich zu einem anderen Handeln und nimmt Kurs auf die Rettungsboote des Tankers - und gerät so selbst ins Zielkreuz der deutschen U-Boot-Leute.

In Sichtweite der isländischen Küste wird die "Godafoss" selbst beschossen und versinkt bald. 24 Menschen sterben, darunter vier kleine Kinder, die komplette Arztfamilie. 18 überleben in dem kalten und vom Sturm aufgewühlten Wasser - obwohl sich die Rettung aus Angst vor weiteren Angriffen quälend lange hinzieht. Die Männer von U-300 machen sich indes wenig Gedanken. Zwei Schiffe des Gegners haben sie versenken können. Auch beim zweiten Abschuss wird applaudiert, wieder war ein Schlag gegen den Gegner gelungen. "Wir waren eigentlich erfolgreich", sagt Koske.

Zurück in Deutschland muss Kommandant Hein zwar zum Rapport, als bekannt wird, dass U-300 ein neutrales Passagierschiff und keinen Truppentransporter versenkt hat. Folgen hat die Attacke jedoch nicht.

Noch heute, sagt Koske, ärgert er sich über den "Godafoss"-Kapitän. "Warum nur ist er im Geleitzug gefahren, warum nur?" Doch etwas anderes ärgert ihn noch mehr: Die Politik, sagt er, die habe nichts dazu gelernt, die schicke junge Männer immer noch in solche Situationen. "Das weiß man doch, dass in Kriegen Unschuldige sterben." Viele ehemalige Soldaten hat er nach dem Krieg erlebt, die daran zerbrochen sind, weil sie nie darüber reden konnten.

Monate nach der Versenkung, auf seiner letzten Feindfahrt, muss U-300 nach einem Wasserbombenangriff im Februar 1945 auf dem Atlantik auftauchen, die Männer werden von einem britischen Schiff kurz beschossen, Kommandant Hein stirbt, Koske kommt in Kriegsgefangenschaft.

Später arbeitet er im Stahlwerk auf der Veddel, dann bei der Marine-Verwaltung. Von seinen Erlebnissen erzählt er nie, in den Nächten aber - da kommt die Erinnerung. "Nachts bin ich oft schreiend aufgewacht", sagt er. Ein Traum verfolgt ihn die vielen Jahre: Er steht auf einem Sandberg, will hochsteigen, doch er sinkt immer wieder und immer tiefer ein, bis er keine Luft mehr bekommt. "Aber", sagt er, "dass wir absaufen konnten, das haben wir gewusst." Doch die kleinen Kinder, die Familie da auf dem Foto in dem Buch - dass die sterben, das haben er und seine Kameraden nie gewollt. Wieder stockt Koske mitten im Satz, blättert in den Seiten mit den alten Aufnahmen. Sein größter Wunsch ist es jetzt, dass er es im Frühjahr schafft, nach Island zu reisen. Und dort zu erzählen und wieder dieses Gefühl von Versöhnung zu erfahren. "Für mein Gewissen und für die Kameraden."

Und vielleicht hört dann endlich auch der böse Traum vom Sandberg auf.