Niedersachsens Justizminister über den Hungerstreik in Celle und seine Sorge, dass Straftäter freikommen, weil ein Gesetz fehlt.

Hannover. Seit fünf Tagen versuchen fünf Sicherungsverwahrte im Celler Gefängnis, mit einem Hungerstreik bessere Bedingungen für sich in der Anstalt zu ertrotzen. Aber Forderungen wie Pay-TV, unbegrenzter Zugang zum Internet oder Damenbesuch ohne Auflagen sind für den niedersächsischen Justizminister Bernd Busemann (CDU) "indiskutabel". Dem Abendblatt sagte er: "Dass eine breite Öffentlichkeit angesichts solcher Forderungen die Hände über dem Kopf zusammenschlägt, kann ich gut verstehen."

Busemann ist zuversichtlich, dass die Aktion der fünf Häftlinge im Sicherheitstrakt des Gefängnisses glimpflich abgeht: "Wir sind im Gespräch, und ein Entgegenkommen in Details des Tagesablaufs ist denkbar, solange die Ziele der Sicherungsverwahrung dadurch nicht gefährdet werden."

Alle fünf Männer, die im Hungerstreik sind, haben eine lange Vorstrafenliste, darunter mehrfache Vergewaltigung, Kindesmissbrauch, schwere Körperverletzungen, Drogenhandel. Sie sind zwischen 53 und 71 Jahre alt.

Der Justizminister bestreitet nicht, dass die Unterbringung in Celle nicht dem Standard entspricht, den das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil aus dem Mai eingefordert hat. Sicherungsverwahrung muss sich demnach deutlich unterscheiden von den Haftbedingungen für Strafgefangene - mehr Raum, abschließbare eigene Bereiche, eine bessere Freizeitgestaltung und eine intensive Therapie.

Im konkreten Fall in Celle sickerte aus Justizkreisen durch, die Männer hätten erhebliche Vorräte für ihren Hungerstreik gehamstert, zudem gebe es eine tägliche ärztliche Visite. Der Minister will sich zu solchen Details aus dem Gefängnis nicht äußern. Aber er verweist darauf, dass Niedersachsen im Eiltempo von nur zwei Jahren zwischen den ersten Überlegungen und der Fertigstellung im Gefängnis Rosdorf ein neues Gebäude errichten wird, das allen Forderungen des Bundesverfassungsgerichts entspricht. Zwar pocht er mit Blick auf die Hungerstreikenden einerseits darauf, dass das Gericht dem Staat ausdrücklich bis Mai 2013 Zeit eingeräumt hat, um das Urteil umzusetzen. Aber er bricht auch eine Lanze für die Betroffenen: "Wir nehmen uns als Staat das Recht, aus präventiven Gründen zum Schutz der Bevölkerung Menschen festzuhalten. Das darf aber nicht bedeuten, dass wir sie nach Verbüßung ihrer Strafe all ihrer Rechte berauben, sie piesacken oder schikanieren."

Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe unter dem Eindruck von Mahnungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte erst im Mai den Gesetzgeber verpflichtet, jetzt umgehend zu handeln. Dabei haben die höchsten deutschen Richter das sogenannte Abstandsgebot bereits 2004 erstmals angemahnt. Ob sich die Politik zu lange taub gestellt hat? Busemann: "Die Reaktion auf das Abstandsgebot war aussitzend, zögerlich. Über viele Jahre hat die Politik, auch weil es Geld kostet, das Thema vor sich her geschoben, vielleicht auch deshalb, weil es sich nur um wenige Personen handelt."

Ob die Hungerstreikenden in Celle Teil eines Netzwerks sind, ob in anderen Gefängnissen mit ähnlichen Aktionen zu rechnen ist, da mag sich der Minister nicht festlegen: "Dafür gibt es nur schwache Hinweise." Aber der Minister hat die Celler Anstalt und dort den Trakt der Sicherungsverwahrten schon vor Monaten besucht: "Ich kenne die meisten Betroffenen in Niedersachsen mit Namen." Und er hat den Eindruck gewonnen, dass diese Männer sich in vielen Jahren hinter Gittern teilweise große Rechtskenntnisse angeeignet haben. Zudem seien die Sicherungsverwahrten bundesweit gut rechtsberaten. "Es ist ein normaler Vorgang, dass sie versuchen, in der politischen Diskussion über ihre Zukunft mitzumischen."

Bereits vor Monaten hat Busemann vom Bundesgesetzgeber schnellere Arbeit angemahnt, weil ohne eine eindeutige gesetzliche Regelung und schnelle Baumaßnahmen die Gefahr bestehe, dass im Mai 2013 Sicherungsverwahrte auf freien Fuß kommen: "Das können wir auf keinen Fall riskieren."

Im Gespräch mit dem Abendblatt beklagt er nachdrücklich, dass Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) zu lange auf einen konkreten Gesetzentwurf und weitere Entscheidungen warten lasse: "Wir haben den Eindruck, dass sie und ihre Fachleute die Realitäten des Vollzugs nicht im Blick haben. Das Gesetz muss schleunigst her." Er nennt die gegenwärtige Hängepartie "ein saugefährliches Feld". Wenn die rechtlichen Bedingungen und die Verfahrensweisen zu den Therapieangeboten nicht eindeutig und praxisnah geregelt seien, bestehe die Gefahr, dass Sicherungsverwahrte sich den Weg in die Freiheit erklagen könnten. Auch die Forderung aus Berlin, künftig über jeden Sicherungsverwahrten halbjährlich ein Gutachten anzufertigen, hält er für wirklichkeitsfremd: "Dann ist die Tinte unter dem einen Gutachten noch nicht trocken, und das geht schon wieder von vorne los."