Investor plant in Wentorf 32 aus der Bindung gefallene Sozialwohnungen energieeffizient umzubauen. Die Bewohner wehren sich dagegen.

Dieses Weihnachten wird für manche Mieter an der Hamburger Landstraße in Wentorf wohl das letzte Fest in den seit vielen Jahren vertrauten Wänden werden. Denn Anfang 2012 hat die Gemeinde im Kreis Herzogtum Lauenburg die Wohnanlage mit den 32 Sozialwohnungen verkauft. In einem Schreiben Mitte November hat der neue Eigentümer, die AGES Arbeitsgemeinschaft energetische Sanierung, umfassende Modernisierungsmaßnahmen angekündigt. Danach werden sich die Mieten von jetzt 2,95 und 3,14 Euro auf 12,38 und 13,27 Euro pro Quadratmeter erhöhen. Das sind 9 Euro mehr pro Quadratmeter, als die Menschen bislang für ihre knapp 30 bis 51 m² großen Wohnungen bezahlt haben. "Für uns Bewohner hier im Haus, die mehrheitlich Hartz IV beziehen oder nur wenig darüber, werden die Wohnungen damit unbezahlbar", sagt Mieterin Gesa Prill.

Sie wohnt seit gut vier Jahren zusammen mit ihrer Tochter, 17, in einer 51 m² großen Wohnung in der Anlage. Ihre Miete wird sich von jetzt 183 Euro auf 481 Euro netto/kalt monatlich erhöhen. "Das zwingt mich, den Gürtel noch enger zu schnallen als bislang." Ausziehen will sie auf keinen Fall, auch weil ihre Tochter kurz vor dem Abitur steht.

Empört hat die 45-jährige alleinerziehende Mutter vor allem das Vorgehen der AGES: In einem Schreiben machte Geschäftsführer Uwe Rick den Bewohnern das Angebot, einen Nachlass auf die Miete um 3 Euro/m² zu gewähren, wenn sie bis zum 7. Dezember einen neuen Mietvertrag unterschreiben. In dem ist unter anderem eine Indexmiete vereinbart. "Das heißt, die Mieten steigen automatisch mit den Lebenshaltungskosten. Es gibt keine Begrenzung nach oben, wie es ein Mietenspiegel vorsieht", entrüstet sich Gesa Prill. "Das Schlimme ist, viele im Haus verstehen das alles gar nicht. Sie sind alt, krank oder sprechen nur gebrochen Deutsch." Einige der Bewohner seien völlig überfordert mit der Situation. Gleichwohl sei Rick an diesem 7. Dezember von Tür zu Tür gegangen, um Unterschriften zu sammeln. "Fünf Mieter haben die neuen Verträge unterschrieben, zwei werden schweren Herzens ausziehen", sagt Gesa Prill. Das alles hat sie zu einer Art Jeanne d'Arc der Hamburger Landstraße gemacht. "Ich habe grundsätzlich nichts gegen Modernisierungen, das Haus ist alt, und hier und da muss etwas gemacht werden." Fraglich sei aber, ob alles auf einmal erfolgen müsste. "Für uns werden die Wohnungen dadurch unbezahlbar."

Mittlerweile haben sich neun weitere Mitbewohner Gesa Prill angeschlossen und den Mieterverein zu Hamburg eingeschaltet. Und für den ist klar: "Wir haben es hier mit Gentrifizierung zu tun. Die Maßnahme führt dazu, dass einkommensschwache Mieter aus ihren Wohnungen verdrängt werden", sagt der promovierte Jurist Rolf Bosse. Er ist verärgert, dass die AGES so tue, als ob sie den Mietern gegenüber nicht zu einem Entgegenkommen verpflichtet sei. "Das stimmt aber nicht. Mieter dürfen nach dem Gesetz Modernisierungsmaßnahmen verweigern, wenn sie die Mieterhöhung aus der Wohnung treibt." In einem Schreiben an die AGES verweist er dabei auf den Härtefallparagrafen 254 Absatz 2 BGB. Außerdem wirft er Uwe Rick vor, nicht sauber zwischen Modernisierungs- und Instandhaltungsmaßnahmen zu trennen.

Ein wichtiger Unterschied, denn nur Modernisierungsmaßnahmen dürfen zu einem gewissen Teil auf die Mieter umgelegt werden (jährlich elf Prozent der Kosten). "Wenn Herr Rick ankündigt, er wolle die Briefkastenanlage, die Bäder, Hausanschlüsse und Balkone sanieren, dann sind das Maßnahmen, die unter Instandhaltung fallen und für die nicht die Mieter aufkommen müssen", sagt der Jurist. Zumal in einem Fall die Mieterin erst vor zwei Jahren ihr Bad habe renovieren lassen. Auch würden die Bewohner dem Vermieter nicht den Abschluss eines Neuvertrages schulden. Rolf Bosse: "Damit versucht der neue Eigentümer nur, eine vordem unwirksame Renovierungsklausel durch eine wirksame zu ersetzen."

Uwe Rick leugnet dies nicht. Er weist aber daraufhin, dass sich durch den Verkauf der Wohnanlage auch die rechtlichen Rahmenbedingungen verändert haben. "Und die neuen Verträge spiegeln das wider und sorgen für Rechtsklarheit für beide Vertragspartner." Der Politik bzw. der Gemeinde Wentorf sei bei Verkauf der Sozialwohnungen klar gewesen, dass er modernisieren wolle. "Das habe ich nie verhehlt. Jahrelang wurde in die Anlage kein Geld gesteckt, 1987 die letzte Mieterhöhung erhoben", sagt der Geschäftsführer der AGES. Und er fügt hinzu. "Ich bin an einer Einigung mit den Mietern interessiert, Härtefälle will ich vermeiden, deshalb habe ich angeboten, alternativen Wohnraum zur Verfügung zu stellen." Eine Teilmodernisierung der Gebäude, wie vom Mieterverein und einigen Bewohnern gefordert, sei aber aus technischen und finanziellen Gründen nicht möglich. "Ich will die Anlage zu einem Effizienzhaus modernisieren. Um dafür die Fördermittel bei der Förderbank KfW abrufen zu können, muss ich gewisse Maßnahmen erbringen und nachweisen können", sagt Rick.

Dem Vorwurf, er unterscheide dabei nicht sauber zwischen Modernisierung und Instandhaltung, widerspricht er. "Ich habe 20 Prozent angesetzt, bezweifle aber, dass die während der Baumaßnahmen erkannten defekten Bauteile an diese Pauschale heranreichen." Messlatte seien die Energieeinsparverordnung, das Baurecht sowie ein allgemein üblicher Zustand gemäß § 554 BGB. "Dies alles steht im Einklang mit Zielen der Politik, zumal 16 neue Wohnungen durch Ausbau des Daches entstehen werden."

Private Eigentümer geben Kosten für Modernisierung meist nicht weiter

Für Heinrich Stüven, Vorsitzender des Grundeigentümerverbandes Hamburg, belegt diese Maßnahme das Dilemma zwischen Klimaschutz und dem Erfordernis, preiswerten Wohnraum zu schaffen. "Deshalb geben laut einer Studie nur 70 Prozent der privaten Eigentümer die Kosten für eine Modernisierung bislang an Mieter weiter."

Am 24. Januar wollen sich Rick und Bosse treffen, um eine Lösung zu finden. "Bis dahin kann ich in etwa sagen, mit wie vielen Härtefällen wir es zu tun haben", sagt Bosse. Schon jetzt sei in fünf Fällen davon auszugehen. Für ihn ist klar: "Es handelt sich um eine Luxussanierung. Herr Rick will aus der Anlage ein Passivhaus mit Schallschutz in den Bädern und Lüftungsanlage in den Wohnungen machen. Das alles muss nicht sein." Dass es auch anders geht, zeigt der Verkauf von 89 Wohnungen der Stadt Reinbek an zwei Geschäftsleute aus Wentorf. Beide haben am Mittwoch angekündigt: Mieterhöhungen sollen im sozialverträglichen Maße vorgenommen werden, notwendige Renovierungen und die daraus resultierenden Mieterhöhungen werden von Fall zu Fall geprüft.

Wolfgang Warmer, stellvertretender Ortsvorsitzender der SPD Wentorf, hat seinerzeit vor einem Verkauf der Sozialwohnungen gewarnt. "Wir haben damit ein wichtiges Instrument aus der Hand gegeben, preiswerten Wohnraum zur Verfügung zu stellen." Deren Zahl sei ohnehin nur auf etwa 100 bis 120 Wohnungen in Wentorf beschränkt.

Derzeit sind in Hamburg 116.016 Sozialwohnungen registriert. Ihr Anteil am Gesamtwohnungsbestand hat sich von 2000 bis 2011 von 19 auf 12,9 Prozent verringert. Der Hamburger Senat will gegensteuern, indem von den angestrebten 6000 neuen Einheiten jährlich 30 Prozent als Sozialwohnungen ausgewiesen werden. Doch allein bis 2013 fallen insgesamt 12.006 Sozialwohnungen aus der Preisbindung. Das zeigt eine Senatsantwort auf eine Anfrage der Fraktion Die Linke. 59 Prozent der Haushalte dürften danach eine Sozialwohnung beziehen - wenn es denn genügend geben würde.

Ein Umdenken auf Bundesebene bei energetischen Modernisierungsmaßnahmen ist nicht zu erwarten. Vorbehaltlich der Zustimmung durch den Bundesrat wird voraussichtlich im Frühjahr 2013 das Mietrechtsänderungsgesetz in Kraft treten. Es sieht vor, dass der Mieter eine Reihe von Modernisierungsmaßnahmen zu dulden hat. Härtefälle werden zwar weiterhin berücksichtigt, der Klimaschutz soll aber immer berücksichtigt werden.