Bei verkalkten Herzgefäßen - statt einer OP - wird häufig nur eine Gefäßstütze (Stent) eingesetzt. Ein Experte sagt, wann Bypässe die bessere Lösung sind.

Welcher Patient lässt sich schon gerne operieren?" Zumal wenn ihm ein anderer, ein schonenderer Eingriff als Alternative angeboten wird. Prof. Hermann Reichenspurner, Chef-Herzchirurg im Uniklinikum Eppendorf (UKE), stellt diese Frage mit Blick auf die neueste Statistik der Herz-Operationen. Zwar ist deren Zahl mit rund 100 000 pro Jahr in Deutschland seit Jahren konstant. Doch die Menge der ausschließlich mit einem Bypass versorgten Patienten geht erkennbar zurück. Der Grund: Immer mehr Erkrankte, deren Herz aufgrund verkalkter Gefäße Sauerstoffprobleme hat, landen nicht beim Chirurgen, sondern werden vom Kardiologen mit einem Stent, also einer Mini-Gefäßstütze, versorgt. Bypass oder Stent - was hilft wann am besten? Um diese Frage ging es auch bei der Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizer Gesellschaften für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie kürzlich in Innsbruck. 1800 Experten tauschten dort ihre Erfahrungen aus.

Der Siegeszug der Stents ist aktenkundig. Kamen 1997 noch zwei Stent-Eingriffe auf eine Bypass-Operation, waren es 2006 schon sechs. Ob diese Explosion der sogenannten Katheter-Ablationen, also der Weitung eines verengten Gefäßes über einen flexiblen Schlauch und einer harmlosen Einstichstelle an der Leiste, in jedem Fall die bessere Lösung ist, darf bezweifelt werden. Eine Studie mit 50 000 Patienten aus New Yorker Kliniken, in Innsbruck vorgestellt von Prof. Edward Hannan, ergab Folgendes: Bei zwei oder mehr Engstellen an den Herzkranzgefäßen haben Patienten, denen medikamentenbeschichtete Stents eingepflanzt wurden, eine deutlich schlechtere Überlebensrate als Bypass-Patienten. Dies bestätigt die in deutschen Hochleistungs-Herzzentren geübte Praxis: "Ob Stent oder Bypass sollten Chirurgen und Kardiologen unter Abwägung aller Risiken individuell bei jedem Patienten gemeinsam entscheiden", sagt Reichenspurner.

Eine solche Ideallösung setzt allerdings voraus, dass die beiden Herz-Fachrichtungen auch eng miteinander arbeiten. Eine "möglichst objektive Entscheidung im Sinne des Patienten", so Reichenspurner, sei umso wahrscheinlicher, je geringer finanzielle Erwägungen eine Rolle spielten. Deshalb hält er nicht nur die Zusammenarbeit auf medizinischem Gebiet für nötig, sondern auch eine gemeinsame Kasse der kardiologischen und chirurgischen Abteilung, also einen Etat in einem gemeinsamen Herzzentrum, "wie wir das in unserem Universitären Herzzentrum (UHZ) praktizieren".

Die Versorgung mit einem Stent ist zwar schneller und schonender, doch die Zahl der sich danach erneut verengenden Gefäße liegt erheblich über den Ergebnissen der Bypass-Operationen. Bei den Operierten betrage die "Offenheitsrate" nach zehn Jahren noch 95 Prozent, so Reichenspurner, vorausgesetzt, die Patienten wurden mit mindestens einer Arterie versorgt. Bei den Stents liege dieser Langzeitwert bei nur 30 Prozent. Allerdings sind die inzwischen deutlich besseren Ergebnisse der erst in den letzten Jahren vermehrt eingesetzten mit einem Spezialwirkstoff beschichteten Stents dabei noch nicht berücksichtigt.

Eindeutig sind die Leitlinien der Fachgesellschaften. Sie empfehlen eine Bypass-Operation, sobald mindestens drei Gefäße verengt oder die Hauptstamm-Arterie betroffen ist.

Trotz Rückgangs bei den Bypass-OPs müssen die Herzchirurgen nicht um ihre Zukunft fürchten. Dank minimal-invasiver Techniken (kleine Schnitte, OPs ohne Herz-Lungenmaschine) gibt es beachtliche Fortschritte etwa bei der Behandlung defekter Herzklappen. Wurden 1994 noch 80 Prozent der funktionsgestörten Mitralklappen mit biologischem (Schweine-, Rindergewebe) oder künstlichem Material ersetzt, werden heute bundesweit 57 Prozent (UKE: 71 Prozent) aus dem bestehenden Eigengewebe rekonstruiert.

Und weiterer Fortschritt kündigt sich an: ein Ersatz oder eine "Reparatur" der Herzklappe ohne OP nur über einen Katheter.

Noch hat diese Methode aber Experimentalcharakter. Seit Oktober wurden im UKE sechs Patienten so behandelt, alle überstanden den Eingriff gut, zwei mussten später auf herkömmliche Weise nachoperiert werden. Reichenspurner: "Das Verfahren wird in den nächsten fünf Jahren aber eine größere Rolle spielen, allerdings eher bei den Aorten- als den Mitralklappen."

Die Nachrichten über den Einsatz von Stammzellen in der Herzmedizin klingen nach den euphorischen Anfängen vor Jahren heute dagegen eher ernüchternd. Meist bewegt sich das noch im Rahmen der Grundlagenforschung.

"Extrem faszinierend" nennt Reichenspurner die Züchtung von Herzgewebe aus körpereigenem Material. Im UKE läuft dazu gemeinsam mit dem Institut für Pharmakologie ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördertes Projekt. Die Hoffnung für die Zukunft: Schwerkranken mit Zuchtgewebe helfen zu können, für die heute nur eine Herztransplantation bleibt. Weil es jedoch zu wenig Spenderherzen gibt, stirbt jeder Dritte beim Warten auf ein geeignetes Organ. Nur 396 Herzen wurden 2007 transplantiert, 30 davon im UKE.

Die Herzmedizin in Deutschland muss sich im Vergleich zu den Nachbarländern übrigens nicht verstecken. Während hierzulande auf eine Million Einwohner rund 1100 Operationen am offenen Herzen kommen, sind es in der Schweiz 882 und in Österreich nur 636. Dahinter verbirgt sich auch ein bei uns unbekannter Mangel: In Österreich warten Patienten bis zu einem halben Jahr auf eine Herzoperation.