Wie kann man Kindern, die unter ADHS leiden, helfen? Psychologen und Psychiater stritten darüber in Frankfurt. Ein Hamburger Experte bezieht Position.

Kaum eine Diagnose wird so kontrovers diskutiert wie das Zappelphilipp-Syndrom. Woher die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) kommt und wie man sie am besten behandelt, darüber gibt es durchaus heftige Auseinandersetzungen. Einige Mediziner gehen davon aus, dass ADHS eine angeborene neurologische Störung ist, andere halten die Krankheit für ein Ergebnis von Umwelteinflüssen.

So gehört der New Yorker Psychiater Bradley Peterson, der am Wochenende auf einer Tagung zu ADHS des Sigmund-Freud-Instituts in Frankfurt weilte, zu denen, die ADHS neurobiologisch erklären wollen. "Niemand geht davon aus, dass das Syndrom angeboren ist. Angeboren ist nur die Veranlagung. Ob das Kind erkrankt, hängt oft davon ob, in welcher Umgebung es aufwächst. Wenn diese ihm eine klare Orientierung erlaubt, hat das Kind gute Chancen, nicht zu erkranken", sagt Professor Michael Schulte-Markwort, Direktor der Klinik für Psychosomatik des Kindes- und Jugendalters am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Allerdings kennt der international anerkannte Experte auch Fälle, in denen die Veranlagung so stark ausgeprägt ist, dass die Eltern machen können, was sie wollen, "und die Krankheit tritt dennoch auf".

Kinder mit ADHS haben einen nachweisbaren Dopaminmangel im Gehirn, insbesondere im Stirnhirn. Dieser Mangel führt dazu, dass die Kinder unter einer Konzentrationsstörung leiden. "Wenn diese Kinder das Medikament Ritalin nehmen, bewirkt das Medikament, dass die Kinder mehr körpereigenes Dopamin zur Verfügung haben", erläutert Schulte-Markwort. "Sie können sich dann plötzlich besser konzentrieren und sind daher auch nicht mehr so unruhig."

Dabei wirkt Methylphenidat, der Wirkstoff von Ritalin, nur auf die Konzentrationsstörung. Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass Ritalin die Kinder ruhigstellt. Denn das Medikament ist kein Beruhigungsmittel, sondern gehört zu der Gruppe von Stimulanzien. Das sind Substanzen, die die Aktivität der Nerven erhöhen, beschleunigen oder verbessern. Ritalin fällt unter das Betäubungsmittelgesetz. "Gleichwohl können Kinder mit ADHS nicht davon abhängig werden", betont Schulte-Markwort.

Eine aktuelle Studie zeigt übrigens, dass bei etwa 30 Prozent der Kinder, die unter ADHS leiden, das Gehirn im Jugendalter sich so verändert, dass es wieder ausreichend Dopamin bildet. Die Studie erklärt erstmalig, warum Mediziner immer wieder beobachtet haben, dass sich die Krankheit "auswächst".

"Bevor man das Medikament jedoch verordnet, muss das Kind gründlich untersucht werden", betont Schulte-Markwort eindringlich. "ADHS ist keine Diagnose, die man auf den ersten Blick stellen kann. Es muss bei jedem Kind in einem psychologischen Test ein deutlicher Konzentrationsmangel nachgewiesen werden, der durch die Berichte von den Eltern und aus der Schule bestätigt wird. Konzentrationsmangel ist das Leitsymptom des ADHS, neben der Störung der Impulskontrolle und der Hyperaktivität. Erst wenn dies nachgewiesen ist, darf das Medikament verschrieben werden." Hingegen bräuchten Kinder, die ständig Regeln brechen, viel Temperament haben oder motorisch sehr aktiv sind, überhaupt keine Medikamente, sondern Zuwendung, Verständnis und eine liebevoll-strukturierende Erziehung.

Entschieden weist Schulte-Markwort die Sorge zurück, dass Ritalin zu oft und zu schnell verordnet werde. "Selbst wenn ADHS eine Modediagnose ist und selbst wenn im Jahre 2006 insgesamt 1221 Kilogramm von Medikamenten verkauft worden sind, die den Wirkstoff Methylphenidat enthalten, so hat längst nicht jedes der etwa 500 000 Kinder, die an ADHS leiden, das Medikament erhalten", stellt Schulte-Markwort fest, und erläutert: "Das lässt sich leicht errechnen, indem man die Verkaufsmenge durch die Anzahl der Kinder teilt, die an ADHS leiden. Von einem sorglosen Umgang, wie ihn der Frankfurter Psychologe Rolf Haubl beklagt, kann also keine Rede sein, wenngleich es sicher Fälle gibt, bei denen Ritalin vom Kinderarzt ohne die vorherige sorgfältige Diagnostik verschrieben wird."

Zu jeder guten Therapie gehöre, so Schulte-Markwort, selbstverständlich auch Verhaltenstherapie und das Erlernen von Entspannungsübungen. "Doch bei Kindern, die unter einem schweren ADHS leiden, wird das nicht ausreichen."