Am 3. Dezember 1967 schrieb der Chirurg aus Südafrika Medizingeschichte. “Er war ein Perfektionist“, erinnert sich Hermann Reichenspurner. Der heutige Chef der UKE-Herzchirurgie hat zwei Jahre lang bei Christiaan Barnard in Kapstadt gelernt.

Hamburg. Manchmal ist es nur ein Augenblick, der mit seiner Symbolik die ganze Menschheit bewegt. Der erste Schritt eines Menschen auf dem Mond war ein solcher Moment. Auch in der modernen Medizin gibt es eine Art Mondlandung - die erste Herzverpflanzung. Eine Sensation, die am 3. Dezember vor 40 Jahren die Nachrichten bestimmt und auf einen Schlag einen Mann weltberühmt macht: Christiaan Barnard.

Der gut aussehende Chirurg aus Kapstadt, damals 45 Jahre alt, wird schnell zu einer Legende. 20 Jahre und einen Tag später, am 4. Dezember 1987, steht neben diesem Pionier der Transplantationsmedizin ein junger Arzt aus München, 28 Jahre alt, und führt seine erste Herztransplantation am Groote-Schuur-Hospital in Kapstadt durch: Hermann Reichenspurner.

Seit 2001 ist Reichenspurner Chef der Herz- und Gefäßchirurgie im Uniklinikum Eppendorf (UKE) und verantwortet damit alle Herz- und Lungentransplantationen in Hamburg. Denn nur im UKE werden in Hamburg Herzen verpflanzt.

Zwei Jahre lang bleibt der junge Dr. med. aus Deutschland damals am Klinikum der Universität Kapstadt. Später legt er dort eine zweite medizinische Doktorarbeit vor und darf seit 1992 den Titel "PH. D." tragen, die vergleichbare Bezeichnung für den Habilitationsgrad in den USA.

"Ich habe in Kapstadt unglaublich viel gelernt", sagt Reichenspurner. Und er erinnert sich: "Barnard war ein großer Chirurg, ein Perfektionist, ein hart arbeitender Mediziner, stets auf der Suche nach besseren Lösungen."

Und die sind bitter nötig, nachdem die Sensationsmeldungen über die ersten Herzverpflanzungen verklungen sind. Der erste Patient, der Lebensmittelhändler Louis Washkansky, überlebt den Eingriff zwar, stirbt aber nach 18 Tagen - nicht an Herzversagen, sondern an einer Infektion.

Das Problem, für dessen routinemäßige Beherrschung die Mediziner damals noch viele Jahre vor sich haben, ist die natürliche Abstoßung, mit der jeder Körper auf einen Eindringling reagiert, vor allem auf körperfremdes Gewebe. Die Transplantationsmediziner, die erstmals den Schritt vom Tierexperiment zum menschlichen Patienten wagen, kennen diese Schwachstelle genau und versuchen deshalb, mit geballtem Medikamenteneinsatz die Abwehrreaktionen herunterzufahren, damit das fremde Herz ungestört pumpen kann.

Doch ein heruntergesteuertes Abwehrsystem schont zwar das neue Herz, schwächt aber als Nebenwirkung den sowieso schon schwer belasteten Patienten, weil es die allgegenwärtigen Krankheitserreger nicht mehr in ihre Schranken weisen kann. Die Folge: Die für gesunde Menschen meist harmlosen Viren oder Bakterien setzen einen Teufelskreis in Gang. So stirbt der erste Mensch mit einem fremden Herzen nach gelungener Operation an einer Lungenentzündung.

Einen Ausweg aus diesem Dilemma verspricht damals ein am Institut für Chirurgische Forschung in München von dem Immunologen Walter Brendel entwickeltes Serum namens ALG ("Antilymphozytenglobulin"). Mit diesen Antikörpern gegen bestimmte menschliche Blutbestandteile, die Lymphozyten, kann den Abstoßungsreaktionen die tödliche Kraft genommen werden.

Dank ALG überlebt Christiaan Barnards zweiter Herzempfänger, der am 2. Januar 1968 operierte Zahnarzt Phil Blaiberg, immerhin schon ein Jahr und siebeneinhalb Monate. Reichenspurner, der im Institut von Brendel promovierte: "Er war der erste aus dem Krankenhaus richtig entlassene Patient mit einem fremden Herzen."

Nun scheint Unmögliches möglich. Überall auf der Welt werden Herzen verpflanzt. Am 27. April 1968 in Paris das erste in Europa. Bis Ende des Jahres 1968 sind es insgesamt 102 in 17 Ländern.

Barnard hat diese Transplantationswelle nicht verursacht, aber mit ausgelöst. Der gefeierte Mann aus Kapstadt ist zwar der erste, nicht aber der einzige Chirurg, der das Verfahren aus dem Effeff beherrscht. Doch dem Höhenflug folgt ein ernüchternder Absturz. Die schlechte Bilanz im Jahre eins nach der ersten Herztransplantation: Die mittlere Überlebenszeit liegt bei nur 29 Tagen.

Auch in München, wo 1969 die ersten beiden Herzen in Deutschland eingesetzt werden, hält man sich nach dem Tod der Patienten lange zurück. Erst 1981 starten Mediziner dort erneut in das Zeitalter der Transplantation.

Barnard verdankt seinen Ruhm auch dem Quäntchen Glück, das jeder Pionier braucht. Denn er hatte in seiner Heimat Südafrika ein paar entscheidende Wochen früher als sein US-Kollege Dr. Norman Shumway die Genehmigung für eine Herzverpflanzung beim Menschen bekommen. Von den Amerikanern Shumway und Richard Lower aber stammen die entscheidenden Verfahren, die sie zuerst in Minneapolis, später in Stanford entwickeln. Barnard hat diese Technik erst bei ihnen gelernt.

In seinen wissenschaftlichen Schriften hat er stets korrekt dokumentiert, dass er nach deren Methode operiert hat. Seinem Ruhm hat das nicht geschadet. Barnard ist zur Legende geworden. Aber wer außer Medizinern kennt schon Lower und Shumway, nach deren Prinzip auch heute noch die Herzen verpflanzt werden?

Zwischen München und Kapstadt bestehen enge Bande, seit Barnard das Serum aus Süddeutschland einsetzte. Der Münchner Mediziner Prof. Bruno Reichart, heute Direktor der Herzchirurgie im Klinikum Großhadern und Doktorvater von Hermann Reichenspurner, tritt 1984 sogar die Nachfolge von Barnard in Kapstadt an und arbeitet dort mit dessen Team weiter. Zu dieser Gruppe gehören damals noch: der Assistent und der Anästhesist aus der Mannschaft der weltersten Herztransplantation. Und Reichenspurner, sein Doktorand aus München, folgt ihm schließlich zwei Jahre später.

Barnard zieht sich in dieser Zeit vom Operationstisch zurück. Er leidet an Gicht und kennt seine Grenzen. Als Reichenspurner, der junge Arzt aus Deutschland, seine klinische Ausbildung in Kapstadt macht, operiert Barnard nur noch im Tierlabor, assistiert von dem jungen Arzt aus München.

Aber Barnard reist um die Welt und wird überall gefeiert. Und er füllt international die Klatschspalten bunter Blätter. Er gilt als Frauenheld. In seiner Biografie brüstet er sich mit seinen drei Ehen und den sechs Kindern. "Sex ist gut fürs Herz", sagt er in Zeiten, die prüder sind als heute. Aber er gründet auch eine Stiftung und hilft herzkranken Kindern.

Er bleibt zu seinen Lebzeiten ein Star. Dennoch muss er ums Geld kämpfen. "Sein Einkommen war spärlich, und Privatpatienten konnte er als Chirurg eines öffentlichen Krankenhauses in Kapstadt damals nicht behandeln", erzählt Reichenspurner. Barnard nutzt seinen Ruhm in der Spätzeit aber, um finanziell besser dazustehen. Er hält Vorträge gegen Bezahlung, er gründet ein Pharmaunternehmen für Fischölprodukte, schreibt Bücher und wirbt für US-Firmen.

Reichenspurner trifft den Pionier der Herzmedizin noch einmal 1997 bei einem Symposium in Monte Carlo. Barnard hält dort einen Vortrag über die Geschichte der Herztransplantation, Reichenspurner referiert über die Zukunft seines Fachs.

Vor sechs Jahren stirbt Barnard im Alter von 78 Jahren an einem Asthmaanfall im Urlaub auf Zypern. Er liegt am Hotelpool. Neben ihm liegt seine letzte Lektüre - eines seiner von ihm geschriebenen Bücher.