Wie kann ich testen, ob ich ein Alkoholproblem habe? Wie lange dauert ein Entzug? Worauf muss ich mich einlassen, wenn ich eine stationäre Entwöhnungstherapie mache? Auf diese und weitere Fragen zum Thema Sucht antworteten die Experten.

Wann ist man alkoholabhängig?

Die Weltgesundheitsorganisation hat dafür sechs Kriterien aufgestellt: Dazu gehören 1. der Suchtdruck, das unwiderstehliche Verlangen nach Alkohol, 2. eine Einschränkung der Kontrolle über die Trinkmenge, 3. charakteristische Entzugssymptome wie Schweißausbrüche, Händezittern, Anstieg von Blutdruck und Puls, Angst, Unruhe, Schlafstörungen, 4. Toleranzentwicklung, also dass man immer mehr trinken muss, um die gleiche Wirkung zu erzielen, 5. dass man Alkohol trinkt trotz einer schwerwiegenden körperlichen oder seelischen Erkrankung, 6. dass man wichtige soziale Verpflichtungen nicht mehr erfüllt. Für das Vorliegen einer Suchterkrankung müssen mindestens drei dieser Kriterien gleichzeitig erfüllt sein. Die Trinkmenge als solche ist also nicht das ausschlaggebende Kriterium. Privatdozent Dr. Dirk Schwoon Psychotherapeut und Suchtforscher Zentrum für Psychosoziale Medizin, UKE

Wie kann ich testen, ob ich ein Alkoholproblem habe?

Das können Sie überprüfen, indem Sie die folgenden vier Fragen für sich beantworten: Haben Sie schon einmal versucht, Ihren Alkoholkonsum besser in den Griff zu bekommen? Haben Sie sich schon mal darüber geärgert, dass jemand Sie wegen Ihres Alkoholkonsums kritisiert hat? Haben Sie sich deswegen schon einmal schuldig gefühlt? Haben Sie morgens schon mal einen Schluck gebraucht, um einen Kater zu bekämpfen? Wenn Sie zwei dieser Fragen mit ja beantworten, besteht ein starker Verdacht auf ein Alkoholproblem, den man beim Arzt oder in einer Beratungsstelle abklären lassen sollte. Dr. Robert Stracke Leitender Arzt des Fachkrankenhauses Hansenbarg, Hanstedt

Was muss ich tun, wenn ich eine Therapie machen will?

Hauptansprechpartner sind Suchtberatungsstellen und Suchtambulanzen an Kliniken, weil dort Diagnostik und Beratung stattfinden. Dort wird auch überlegt, ob die Therapie stationär, teilstationär in einer Tagesklinik oder ambulant durchgeführt wird. In der Beratungsstelle wird der Behandlungsplan erstellt, der Therapieantrag gestellt und geklärt, ob und von wem die Kosten übernommen werden und wo die Therapie stattfindet. Üblicherweise ist der Kostenträger der Rentenversicherungsträger, weil es sich bei der Suchttherapie um eine Reha-Maßnahme zur Wiedereingliederung ins Berufsleben und zur Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit handelt. Frank Craemer, Leiter des Suchthilfezentrums Hamburg West Lukas

Wie lange dauert ein Alkoholentzug?

Für den körperlichen Entzug muss man ungefähr eine Woche rechnen. Dann beginnt die eigentliche Behandlung, die Entwöhnung. Dabei geht es darum, Rückfällen vorzubeugen und die Abstinenz zu festigen, die Ursachen zu ergründen und die Lösung von Problemen in Angriff zu nehmen. Frank Craemer

In mehreren Hamburger Krankenhäusern wird eine qualifizierte Entzugsbehandlung durchgeführt, mit zusätzlicher psychotherapeutischer Unterstützung. Dr. Schwoon

Warum fällt es den Süchtigen so schwer, Hilfe in Anspruch zu nehmen?

Für die Betroffenen ist es eine große Erschütterung ihres Selbstwertgefühls, sich eingestehen zu müssen: Ich bin alkoholabhängig. Denn in unserer Gesellschaft wird von jedem erwartet, dass er mit Alkohol umgehen kann. Und diejenigen, die abhängig werden, haben sehr stark damit zu kämpfen, dass sie es nicht mehr allein schaffen, vernünftig damit umzugehen, sondern auf fremde Hilfe angewiesen sind. Auch haben viele Angst vor einer Suchttherapie, weil sie völlig falsche Vorstellungen davon haben, was dort passiert. Dr. Schwoon

Warum ist Alkoholsucht immer noch ein Tabuthema?

Die Patienten brauchen im Durchschnitt 15 Jahre, bis sie Kontakt zum professionellen Suchthilfesystem aufnehmen. Das liegt auch daran, dass die Betroffenen ausgeprägte Schuld- und Schamgefühle haben. Diese sind bei Frauen noch sehr viel stärker als bei Männern. Dr. Stracke

Worauf muss ich mich einlassen, wenn ich eine stationäre Entwöhnungstherapie mache?

Stationäre Therapie ist kein "Knast" und keine "Schlangengrube". Am Aufnahmetag kommt es nach Begrüßung durch Mitpatienten und den Bezugstherapeuten zum ersten Kennenlernen der Klinik und einer gründlichen allgemeinmedizinischen und psychiatrischen Untersuchung. Die Patienten werden in Einzelzimmern untergebracht und sind zu keinem Zeitpunkt eingesperrt. Am 2. Tag des stationären Aufenthalts haben unsere Patienten üblicherweise schon Ausgang, in Begleitung von Mitpatienten. Nach vier bis sechs Wochen können sie dann ein erstes Wochenende zu Hause verbringen. Das Therapieprogramm ist sehr vielfältig. Man kann auch schon früh von der Klinik aus Dinge angehen, die geregelt werden müssen, wie zum Beispiel Arbeitsplatz-, Wohnungs- und Selbsthilfegruppensuche oder Behördengänge. Bis zu 16 Wochen dauert eine Langzeittherapie. Dr. Ulrich Bloemeke Ärztlicher Leiter der Fach- und Tagesklinik des SuchtTherapieZentrums Hamburg (STZ) in Hummelsbüttel

Kann ich nach der Entzugsbehandlung direkt in die Langzeittherapie gehen?

Für einige Menschen ist es wichtig, direkt nach der Entgiftung in die Langzeittherapie überzugehen. Da gibt es die zusätzliche Möglichkeit, in eine Vorsorgeeinrichtung zu gehen und damit die Wartezeit zu überbrücken, bis nach der Entgiftung die Langzeittherapie beginnt. Barbara Grünberg Sozialpädagogin und Psychotherapeutin im Suchthilfezentrum Hamburg West Lukas

Wie können Selbsthilfegruppen dabei unterstützen, abstinent zu bleiben?

Wir sind offen für jeden, auch wenn jemand noch trinkt. Dann helfen wir bei der Lösung von Problemen, indem wir schildern, wie wir unsere Probleme als trockene Alkoholiker gelöst haben. Auch wenn jemand einen Rückfall baut, versuchen wir, denjenigen aufzufangen und dazu zu bewegen, in die Gruppe zu kommen. Wir bieten auch an, dass nicht nur der Betroffene, sondern auch Angehörige oder Freunde mit in die Gruppe kommen. Detlev Dettbarn Gruppenleiter bei der Evangelischen Landesarbeitsgemeinschaft Suchtkrankenhilfe (ELAS), Suchtselbsthilfe

Welchen Stellenwert haben Selbsthilfegruppen in der Suchthilfe?

Für uns ist es wichtig, jeden, der in die Klinik kommt, an eine Selbsthilfegruppe "anzubinden". Das sollte immer im Stadtteil möglich sein oder in der Nähe des Arbeitsplatzes. Das ist eine ganz wesentliche Voraussetzung, um auf lange Sicht mit guter Prognose trocken zu bleiben. Dr. Bloemeke

Wie lerne ich, bei Alkohol Nein zu sagen?

Wir bieten ein Selbstsicherheitstraining und im Rahmen der Therapie auch ein Alkohol-Ablehnungstraining an. Es ist ganz wichtig, dass Menschen, die Suchtprobleme haben, Nein sagen lernen. Insgesamt ist soziales Training ganz entscheidend, um solchen Erkrankungen vorzubeugen. Schon Kinder sollten lernen, Nein zu sagen und Verführungen zu widerstehen. Barbara Grünberg

Was ist Co-Abhängigkeit?

Darunter versteht man die gut gemeinte Hilfe der Angehörigen, das Alkoholproblem gegenüber Außenstehenden zu verheimlichen, zum Beispiel das Fehlen des Abhängigen am Arbeitsplatz zu entschuldigen. Doch dieses Verhalten, das den Alkoholkranken vor den sozialen Folgen seiner Sucht schützt, führt letztendlich zur Verlängerung des Krankheitsverlaufs. Frank Craemer

Was kann ich tun, wenn ein Angehöriger ein Alkoholproblem hat?

Am besten ist es, das offen anzusprechen, seine Befürchtungen mitzuteilen, ohne dass es in Vorwürfe ausartet. Auch Angehörige können sich in Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen beraten lassen, wie sie am besten mit dem Problem umgehen können. Frank Craemer

Was kann ich tun, wenn ein alkoholkranker Angehöriger sich nicht helfen lassen will?

Es gibt unter anderem die Möglichkeit, den Notarzt zu rufen oder den sozialpsychiatrischen Dienst einzuschalten und einen Besuch in der Wohnung zu verabreden, damit der Patient untersucht und gegebenenfalls in eine Klinik eingewiesen wird. Dr. Schwoon

Welche Medikamente machen abhängig?

In erster Linie sind es die Tranquilizer, d.h. die Beruhigungsmittel, vor allem Valium und ähnliche Präparate, sowie Schlafmittel. Dann gibt es auch die Abhängigkeit von Schmerz- und Abführmitteln. Dr. Bloemeke

Worauf muss ich achten, wenn ich Medikamente absetzen will?

Auf ein langsames "Ausschleichen", d.h. Reduzieren des Suchtmittels in Absprache mit dem behandelnden Arzt. Der Entzug muss in der Regel wegen der Gefahr von Komplikationen stationär im Krankenhaus durchgeführt werden oder in einzelnen Fällen ambulant unter der engmaschigen Kontrolle des Hausarztes. Neben der medikamentösen Entzugsbehandlung gibt es die Möglichkeit, die Entzugserscheinungen durch eine Akupunkturbehandlung abzumildern. Bei Diazepam (Valium) und anderen Medikamenten dauert der Entzug mehrere Wochen bis Monate, und man muss unter Umständen noch über lange Zeit mit Stimmungsschwankungen, Schlafstörungen und vegetativen Symptomen wie Schwitzen oder Händezittern rechnen. Dr. Bloemeke