Hamburg. Morgens bleiben Sie im Stau stecken, beim Eintreffen im Büro klingelt schon das Telefon, und auf dem Schreibtisch stapeln sich seit Tagen Dinge, die dringend erledigt werden müssen, kurz und gut: Sie haben ständig das Gefühl, Ihnen läuft die Zeit davon. Und sollten Sie diesem Gefühl einen Namen geben, würden Sie sagen: Stress. "Das ist heutzutage für viele Menschen ein großes persönliches Problem. Sie meinen, Stress zu haben, wissen aber gar nicht so genau, was das ist, es ist wie ein Gespenst, das sie ständig umtreibt", sagt Prof. Christoph Bamberger, Direktor des Medizinischen Präventions-Centrums Hamburg am Universitätsklinikum Eppendorf .

Chronischer Stress ist gefährlich

Mit seinem neuen Buch "Stress-Intelligenz" will er aufzeigen, was Stress genau ist und wie man sich vor seinen krank machenden Folgen schützen kann. "Wir alle kennen Schrecksituationen, bei denen der Puls rast, die Hände zittern und die Aufregung uns den Magen zuschnürt. Das ist eine akute Stressreaktion, die hauptsächlich durch das Hormon Adrenalin ausgelöst wird und meist schnell wieder abklingt, ohne negative Auswirkungen auf unsere Gesundheit", erklärt der Präventionsmediziner. Viel gefährlicher jedoch sei der chronische Stress, der oft nicht auf den ersten Blick zu erkennen ist. Denn die Symptome sind von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich: Der eine hat ständig Magenschmerzen, der andere kann schlecht schlafen, und der dritte klagt über Haarausfall. Eines aber haben alle gemeinsam: Die Produktion des Hormons Cortisol in der Nebenniere ist ständig erhöht. "Und das ist das, was auf Dauer krank macht. Ein dauerhaft erhöhter Cortisolspiegel führt zum Anstieg von Blutdruck und Blutzuckerspiegel und zu Übergewicht, besonders im Bauchbereich", erklärt Bamberger.

Diesen chronischen Stress gilt es zu reduzieren. Und wenn Bamberger von Stress-Intelligenz spricht, bedeutet das zunächst, dass jeder für sich erkennt, mit welchen Zeichen sein Körper auf Stress reagiert. "Weiterführende Untersuchungen wie Messungen des Hautwiderstands, des Cortisolspiegels und der Konzentration des Antistresshormons DHEA im Blut zeigen an, ob der Mensch dem Stress gewachsen ist oder ob seine Gesundheit gefährdet ist. In dem Fall geht es dann darum, wie sich der Stress reduzieren lässt", so Bamberger, der am UKE einen solchen Stress-Check-up anbietet.

Da Menschen jedoch unterschiedlich mit Stress umgehen, gibt es auch mehrere Wege, ihn zu bewältigen. Bamberger unterscheidet drei Stresstypen. Welcher Stress-Typ man selbst ist, lässt sich durch einen Selbsttest im Buch herausfinden. "Der Gesundheitsmuffel vernachlässigt als Erstes seine Gesundheit, wenn er im Stress ist. Das sind jene, die zum Beispiel häufiger zur Zigarette greifen, mehr Alkohol trinken, körperliche Probleme ignorieren und Arzttermine nicht mehr wahrnehmen. Dann gibt es den Typ, der sehr angespannt ist, nicht schlafen kann, sich nicht mal fünf Minuten entspannen kann. Der dritte Typ ist der Chaot, der sich immer zu viel vornimmt und es nicht schafft, seine Zeit richtig einzuteilen."

"Es muss Spaß machen"

Für jeden dieser Typen hat Bamberger zur Stressbewältigung ein sogenanntes Mastertool ausgemacht. "Beim Gesundheitsmuffel steht die medizinische Prävention an erster Stelle. Dabei ist das Entscheidende die Bewegung. Unser Stresssystem ist in einer Zeit geboren, in der wir kämpfen und flüchten mussten. Das hat sich bis heute nicht verändert und bedeutet, dass wir Stress mit Bewegung beantworten müssen. Wenn man dreimal in der Woche für 30 Minuten, besser noch 40 Minuten, Sport treibt, reicht das aus, um den Cortisolspiegel dauerhaft zu senken", sagt Bamberger. Er empfiehlt leichtes Ausdauertraining wie zügiges Spazierengehen, Joggen, Schwimmen, Radfahren. Aber: "Es muss Spaß machen, sonst wird es nur zur zusätzlichen Belastung."

Wer Stress in ständige Anspannung umsetzt, sollte an seiner "mentalen Stärke" arbeiten: "Das Mastertool dabei ist die Entspannung. Dabei muss jeder seine persönliche Entspannungstechnik finden. Für Menschen, die eher spirituell veranlagt sind, bieten sich fernöstliche Entspannungstechniken an, zum Beispiel Yoga. Für nüchterne Verstandesmenschen eignen sich besser Messverfahren, zum Beispiel das Biofeedback. Dabei werden Puls und Hautwiderstand gemessen und als Kurven auf einem Bildschirm aufgezeichnet. Anhand der Messwerte kann man ablesen, ob man den Zustand der Entspannung erreicht hat", rät Bamberger. Hilfreich sind auch entspannende Lieblingstätigkeiten wie Lesen. Die Anspannung verstärken können auch Glaubenssätze, tief verankerte Überzeugungen, die man über sich im Laufe des Lebens gewonnen hat und die Stress verstärken können. Als Beispiel nennt Bamberger eine berufstätige Frau, die denkt, sie sei eine schlechte Mutter, wenn sie ihre Kinder nicht von morgens bis abends betreut und ständig ein schlechtes Gewissen hat. Auch übersteigerter Perfektionismus gehört in diese Kategorie, mit der man sich schnell das Leben schwermacht. "Solche Glaubenssätze gilt es zu erkennen und zu verändern. Das ist allerdings nicht immer einfach."

Kurzformel der Stress-Intelligenz

Beim Stresstyp des Chaoten ist das Mastertool Zeitmanagement. "Das heißt Ballast abwerfen, sich überlegen, was ist mir wirklich wichtig, worauf kann ich verzichten. Das bedeutet auch, Nein sagen zu können, nicht jeden Termin wahrzunehmen, Prioritäten zu setzen und Aufgaben zu delegieren." Für alle Stressgeplagten hat Bamberger eine täglich anzuwendende Kurzformel der Stress-Intelligenz entworfen: Mindestens 30 Minuten Bewegung, eine halbe Stunde für die Lieblingstätigkeit, fünf Minuten für die Entspannungsübung, 60 bis 120 Minuten für die Priorität des Tages und immer wieder an der Veränderung stressender Glaubenssätze arbeiten. Am dauerhaftesten lässt sich das umsetzen, wenn man den einzelnen Punkten einen festen Platz im Alltag einräumt, sie ritualisiert. "Man braucht dafür eine gewisse Hartnäckigkeit und Selbstdisziplin, aber nach drei bis sechs Monaten sind solche Rituale meist fest in den Tagesablauf eingebaut. Und wenn man etwas verändern will, ist es am erfolgversprechendsten, wenn man sich erst einmal einer Sache widmet, zum Beispiel der Entspannung oder der Bewegung."

Das Ziel dieser Maßnahmen sei nicht, Stress komplett aus dem Leben zu verbannen, betont Bamberger: "Man sollte sich von der Idee frei machen, keinen Stress haben zu wollen. Das Idealbild des tibetanischen Mönches, der keinen Stress mehr hat, entspricht nicht unseren gesellschaftlichen Anforderungen. Es geht darum, ein mittleres Stress-Niveau zu erreichen, das nicht krank macht."

\* Infos:

"Stress-Intelligenz", Prof. Christoph

Bamberger, Knaur Verlag, ISBN 978-3-426-64281-8, 12,95 Euro, ab 21. Februar im Buchhandel erhältlich.