Eine Spezial-Ambulanz im UKE versorgt Psychiatrie-Patienten in einem befristeten Projekt, in dem Ärzte auch zu ihnen nach Hause kommen. Eine Betreuung mit beachtlichen Erfolgen.

Oft passiert es von einem Tag auf den anderen: Die Gedanken verwirren sich, alltägliche Dinge bekommen plötzlich eine bedrohliche Bedeutung. Solche typischen Symptome einer Schizophrenie können Betroffene so aus der Bahn werfen, dass sie nicht mehr in der Lage sind, ihren Alltag zu bewältigen oder zum Beispiel Arzttermine einzuhalten.

"Wir sehen immer wieder bei unseren Patienten, dass sie so schnell krank werden, dass sie den Weg in unsere Psychosen-Ambulanz nicht mehr schaffen und dann zu vereinbarten Terminen nicht erscheinen", sagt Privatdozent Dr. Martin Lambert, der zusammen mit Privatdozent Dr. Thomas Bock die sozialpsychiatrische Psychosen-Ambulanz am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) leitet. Häufige Folge solcher Krisensituationen: Irgendwann sind die Patienten so krank, dass nur noch eine wochenlange stationäre Behandlung in einer psychiatrischen Klinik ihnen aus der Psychose wieder heraushelfen kann.

Die Krankheit ist vielschichtig. Dazu gehören Störungen der Konzentration, der Aufmerksamkeit und des Denkens, sodass die Betroffenen zum Beispiel in Gesprächen keinen roten Faden halten können und von einem Thema zum anderen springen. Sie nehmen ihre Umwelt verändert wahr, denken zum Beispiel, die Nachricht des "Tagesschau"-Sprechers im Fernsehen sei speziell für sie bestimmt. Typisch ist auch das Hören von Stimmen, die das eigene Tun kommentieren und bewerten.

In einem Modellprojekt wollen die Psychiater am UKE jetzt eine neue Versorgung dieser Patienten etablieren und damit die Lücke zwischen ambulanter und stationärer Behandlung schließen.

Nach dem Konzept des sogenannten "Assertive Community Treatment" (ACT) oder Home Treatment können die Patienten auch komplett zu Hause behandelt werden. "Dafür steht in der Ambulanz ein Team von fünf Mitarbeitern zur Verfügung, die sich gut mit Psychosen auskennen. Dieses Team arbeitet an fünf Tagen in der Woche von acht bis 19 Uhr. Darüber hinaus gibt es eine Rufbereitschaft, die rund um die Uhr erreichbar ist", erklärt Lambert.

Ganz praktisch funktioniert das so: "Zum Beispiel kann die Mutter eines an einer Psychose erkrankten Patienten zu uns in die Ambulanz kommen und um Hilfe für ihren erkrankten Sohn bitten, der aufgrund seiner Erkrankung Schwierigkeiten hat, das Haus zu verlassen. Dann kann derjenige von zwei Mitgliedern des Teams zu Hause besucht und eventuell auch komplett dort behandelt werden, das heißt sowohl mit Medikamenten als auch psychotherapeutischen Gesprächen", so der Psychiater weiter.

Eine andere Möglichkeit: Ein Patient mit einer Psychose wird von einem niedergelassenen Arzt behandelt und erscheint nicht zum vereinbarten Gesprächstermin. Dann kann der behandelnde Art das ACT-Team anrufen, das den Patienten zu Hause aufsucht und nach dem Rechten schaut. "Das Team hat drei große Aufgaben: 1. Patienten in ihrem gewohnten sozialen Umfeld zu halten, indem die komplette Akutbehandlung auch zu Hause stattfindet. 2. Patienten früher von der Station zu holen und die Lücke zwischen ambulanter und stationärer Behandlung zu schließen, und 3. Rückfälle so früh zu erkennen, dass sie rechtzeitig behandelt werden können, bevor es zu einer akuten Erkrankung kommt", erklärt Lambert.

Ein weiterer Vorteil: "Patienten sind mit dieser Form der Betreuung wesentlich zufriedener, sodass auch die Rate der Behandlungsabbrüche, die im Moment im ersten Jahr bei bis zu 50 Prozent liegt, mit ACT erheblich gesenkt werden kann", sagt der Psychiater.

Zudem könnten mit diesem Konzept Behandlungskosten eingespart werden. "Zurzeit liegen die Therapiekosten für Patienten mit einer chronischen Psychose bei etwa 15 000 bis 20 000 Euro pro Jahr, allein für die stationäre Behandlung.

In angloamerikanischen Ländern gehört das Home Treatment bereits zur Standardtherapie der Schizophrenie", sagt Lambert, der dieses Modell während eines zweijährigen Aufenthaltes im australischen Melbourne kennengelernt hat. In Deutschland gibt es diese Behandlung bisher sonst noch nicht und ist auch am UKE nur im Rahmen einer zweijährigen Studie möglich, die von einer Pharmafirma finanziert wird und Ende dieses Jahres abgeschlossen sein soll.

Die Studie wird parallel an den psychiatrischen Kliniken des Asklepios-Westklinikums Rissen und des UKE durchgeführt, mit jeweils 60 Patienten. Untersucht wird, welche Vorteile die Home-Treatment-Versorgung im UKE gegenüber einer herkömmlichen Versorgung in einer Kontrollgruppe in Rissen bringt.

Und im UKE wird außerdem untersucht, wie viel die Behandlung schizophrener Patienten in den vergangenen zwei Jahren gekostet hat und wie sich diese Kosten durch das ACT verringern lassen. "Unser Ziel ist es, diese Versorgungsform so zu etablieren, dass sie von den Krankenkassen im Rahmen der integrierten Versorgung bezahlt wird", sagt Lambert.

Mit der aufsuchenden Arbeit könnten die Mitarbeiter des UKE auch wesentlich früher Menschen erreichen, die an einer Psychose leiden, aber bisher noch nicht behandelt wurden. "Durchschnittlich dauert es immer noch ein bis anderthalb Jahre, bis Patienten mit psychotischer Symptomatik eine spezialisierte Behandlung bekommen", so Lambert. Das liege zum einen daran, dass die Symptome der Krankheit, die immerhin zwei bis drei Prozent der Bevölkerung betrifft und am häufigsten zwischen dem 15. und 20. Lebensjahr beginnt, immer noch zu wenig bekannt seien. "Erschwerend kommt hinzu, dass Psychosen und ihre Vorzeichen nicht einfach von den normalen Problemen in der Pubertät abzugrenzen sind. Je jünger die Patienten sind, desto länger sind sie unbehandelt", betont Lambert. Und das kann für die Betroffenen schwere Folgen haben. So kam eine Studie zur Früherkennung, die 2004 veröffentlicht wurde, zu folgendem Schluss: Betrug die Zeit vom Ausbruch der Krankheit bis zur Behandlung weniger als zwölf Wochen, dauerte es nur acht Wochen, bis die Patienten keine Krankheitszeichen mehr hatten. 74 Prozent von ihnen waren auch nach einem Jahr noch symptomfrei. Dauerte die unbehandelte Phase länger als zwölf Wochen, vergingen 24 Wochen, bis die Psychose abgeklungen war, und ein Jahr später waren noch 51 Prozent symptomfrei.

Weitere Informationen:

Wer an der Studie teilnehmen möchte, sollte zwischen 18 und 55 Jahren alt sein, an einer Schizophrenie erkrankt sein und aus den Stadtteilen Eppendorf, Eimsbüttel oder - für die Kontrollgruppe aus Rissen - Altona oder Ottensen kommen. Interessierte melden sich bitte unter Tel. 428 03-68 58.