Ständige Schmerzen können Kindern das Leben vergraulen. Eine abgestufte Therapie hilft ihnen, weitere Attacken zu vermeiden und den Alltag zu bestehen.

Ein sieben Jahre altes Mädchen klagt immer wieder über Kopfschmerzen. Manchmal werden sie so stark, dass das Kind nicht mehr spielen mag, nicht zur Schule gehen kann, an nichts mehr Spaß hat. Solche Leidensgeschichten sind kein Einzelfall. "Nach aktuellen Studien leiden 20 bis 30 Prozent aller Kinder häufiger unter Kopfschmerzen", sagt Dr. Raymund Pothmann, Leiter der Kinder-Schmerzambulanz an der Asklepios-Klinik Nord, Heidberg.

"Typischerweise beginnen solche Beschwerden bei Kindern im Alter von sieben bis acht Jahren während einer Erkältung. Dann allerdings klagen die Kinder immer wieder über Kopfschmerzen, obwohl der Infekt längst abgeklungen ist", so Pothmann. Eltern erklären sich die Beschwerden zunächst häufig damit, dass das Kind zu wenig geschlafen oder sich den Magen verdorben hat oder einfach nur einen schlechten Tag hat. Doch wenn ein Kind öfter über Kopfschmerzen klagt, sollten Eltern mit ihm zum Kinderarzt gehen. Dieser wird dann die geeigneten Untersuchungen veranlassen, um herauszufinden, welche Ursache dahintersteckt. "Die häufige Befürchtung von Eltern, dass es sich um einen Hirntumor handelt, lässt sich relativ rasch ausschließen, weil dabei Kopfschmerzen allein ohne weitere Symptome höchst selten sind. Körperliche Ursachen können auch Entzündungen von Ohren und Nasennebenhöhlen oder Augenerkrankungen sein."

Mit einer ausführlichen körperlichen Untersuchung und einer Erhebung der Vorgeschichte könne man in 95 Prozent der Fälle die Ursache herausfinden. Meist handele es sich um funktionelle Kopfschmerzen ohne körperliche Ursache, also um Spannungskopfschmerzen oder um Migräne. Die Kinder werden dann aufgefordert, vier Wochen lang einen Kopfschmerzkalender zu führen, um Art und Häufigkeit der Schmerzen zu erfassen und auch möglichen Auslösern auf die Spur zu kommen.

So kann es zum Beispiel zu Migräneanfällen kommen, wenn bei einer erblichen Veranlagung Belastungen im Alltag zu groß werden: "Auslöser ist alles, was das Kind mehr belastet, das kann heißen, weniger Zeit zum Spielen, weil die Schule mehr Raum einnimmt, zu wenig Pausen, Überforderung in der Schule. Migräne ist eine Reizverarbeitungsstörung, das heißt, die Kinder sind empfindlicher für Außenreize. Sie können Lärm nicht so gut vertragen, und sie reagieren auch mit Kopfschmerzen, wenn sie zu lange vor dem Fernseher oder vor dem Computer sitzen", sagt der Kinderschmerztherapeut. Auch familiäre Probleme, wie etwa Trennung der Eltern, können Kinder so belasten, dass sie mit Migräneanfällen darauf reagieren. Auslöser können auch in der Ernährung liegen. "Schlechte Qualität der Nahrungsmittel oder Zusatzstoffe in Fertiggerichten können Auslöser sein. Deswegen sollten möglichst regelmäßig selbst zubereitete Mahlzeiten aus frischen Zutaten auf dem Speiseplan stehen. Auch Lebensmittel wie Vollmilchschokolade, Kakao, zu viel Milch, Coca-Cola, Eistee, Farbstoffe in Süßigkeiten spielen eine Rolle, vor allem bei Migräne, aber auch bei Spannungskopfschmerzen."

Für diese Form der Kopfschmerzen gibt es keine erbliche Veranlagung. "Der Hauptauslöser für Spannungskopfschmerzen ist Stress, oft durch zu starken Ehrgeiz, einen hohen Anspruch an sich selbst, immer noch mehr leisten zu müssen. Das verursacht muskuläre Anspannung. Diese reizt die Nerven, und der Schmerz verstärkt sich immer weiter, vor allem wenn Angst vor Versagen oder Verlassenwerden hinzukommen", so Pothmann.

Behandlungsbedürftig sind Migräne und Spannungskopfschmerzen immer dann, wenn die Lebensqualität des Kindes darunter leidet, das heißt regelmäßig Kindergarten, Schule und Freizeit ausfällt. "Und wenn Kinder an mehr als zehn Tagen im Monat Medikamente wie Ibuprofen oder Paracetamol nehmen, ist die Gefahr groß, dass sich ein chronischer Kopfschmerz entwickelt, der dann nicht zwei- bis dreimal in der Woche auftritt, sondern fünf- bis siebenmal."

Die Therapie der Kopfschmerzen erfolgt nach einem abgestuften System. Zunächst wird erst mal versucht, durch Änderungen des Lebensstils ein Abklingen der Beschwerden zu erreichen. Das heißt: "Die Kinder sollten - besonders bei Migräne - nicht mehr als insgesamt eine Stunde am Tag fernsehen und am Computer sitzen. Sie brauchen ausreichend Schlaf und einen regelmäßigen Tagesablauf. Außerdem sollten sie genügend trinken, das heißt Kleinkinder einen Liter am Tag, Grundschulkinder 1,5 Liter. Eltern sollten auf eine gesunde Ernährung achten. Wichtig ist es auch, dass das Kind Pausen macht und nicht ununterbrochen für die Schule lernt, aus Angst vor dem Versagen. Die Kinder sollen Zeit haben, draußen zu spielen und sich möglichst viel bewegen. Hilfreich sind dabei auch Angebote von Sportvereinen", empfiehlt Pothmann. Allein mit solchen Maßnahmen ließen sich die Kopfschmerzen in 60 Prozent der Fälle gut behandeln.

Wenn das nicht ausreicht, können die Kinder Entspannungsverfahren, wie zum Beispiel die progressive Muskelentspannung, erlernen oder bekommen einen "Schmerzwalkman". "Bei dieser TENS (Transkutane elektrische Nervenstimulation), können sich die Kinder, zum Beispiel wenn sie ihre Hausaufgaben erledigen, die kleinen Plättchen 30 Minuten lang auf die verspannten Muskeln im Nacken legen. Durch die Stimulation der Nerven entspannen sich die Muskeln, und der Schmerz wird gelindert.

In der medikamentösen Behandlung gibt es bei Migräne spezielle Mittel, die sogenannten Triptane, bei Spannungskopfschmerzen helfen Ibuprofen oder Paracetamol." Wenn mit diesen Maßnahmen die Schmerzen nicht weniger werden, gibt es noch die Akupunktur, spezielle Medikamente zur Vorbeugung von Migräneanfallen, die dann ständig eingenommen werden müssen, und die Psychotherapie: "Dabei lernen die Kinder, einzeln oder in Gruppen, wie sie besser mit Stress umgehen, sich besser ablenken und sich entspannen, und sie können ihre Selbstsicherheit trainieren."

Wenn sich durch die Reduktion des Stresses kein Erfolg erzielen lässt, ist auch eine Untersuchung durch den Kinder- und Jugendpsychiater sinnvoll, weil die Kopfschmerzen auch Ausdruck einer Depression oder einer Angststörung sein können.

Das Ziel jeder Behandlung muss sein, so Pothmann, dass die Kinder durch die Schmerzen nicht mehr beeinträchtigt werden und ohne Medikamente ihren gewohnten Alltag leben können - und Spaß am Leben haben.