Herzmedizin: Kardiologen beruhigen ihre Patienten. Sie galten als Königsweg bei verengten Herzkranzgefäßen - die Mini-Metallstützen mit einer Medikamentenbeschichtung. Jetzt wird diskutiert: Führen sie zu einer erhöhten Todesrate?

Tausende Patienten mit bedrohlich verengten Herzkranzgefäßen haben in den vergangenen Jahren eine kleine, metallene Gefäßstütze, einen sogenannten Stent, eingesetzt bekommen. Von ihnen bekam in Deutschland etwa jeder Dritte sogar einen mit einem Medikament beschichteten Stent, der als Luxusversion gilt. Der Wirkstoff in der Spezialbeschichtung wird langsam freigesetzt und verhindert nachweislich eine erneute Verengung des Blutgefäßes (Restenose). Doch mehrere Studien über die Langzeitfolgen dieser beschichteten Stents ("drug-eluting-stents") haben die anfängliche Euphorie über diesen Königsweg der Herzmedizin verstummen lassen. Die bange Frage der Experten: Führt der beschichtete Stent zu mehr Todesfällen als die einfache Gefäßstütze ohne den Zusatz eines Wirkstoffs?

"Noch gibt es nicht genug Daten, um eindeutige Schlüsse zu ziehen", meint Prof. Dr. Karl-Heinz Kuck, Chef-Kardiologe an der Asklepios-Klinik (AK) St. Georg. Bedenken wurden zum Beispiel kürzlich auf dem Weltkongress für Kardiologie in Barcelona vorgetragen.

Bereits im Frühjahr 2006 hatten die Daten einer Studie von Schweizer Medizinern aus Basel die Kardiologen aufgeschreckt. Erstmals hatten sie das Schicksal von Stent-Patienten nicht nur sechs Monate nach dem Eingriff, sondern über weitere zwölf Monate verfolgt. Von 749 Herzpatienten waren drei gestorben - alle hatten beschichtete Stents. Ihre Todesursache: ein Blutgerinnsel.

Alle hatten, wie in der Therapie vorgesehen, nach einem halben Jahr die vorbeugenden Mittel gegen Blutgerinnsel abgesetzt, einen Wirkstoff (Clopidogrel), der meist mit dem Blutverdünner ASS (Acetylsalicylsäure) genommen wird. Diese Kombination soll Arterienverschlüsse verhindern - und damit einen Infarkt oder Schlaganfall.

In Deutschland waren die Mediziner beim Einsatz des mit 1200 Euro rund sechsmal teureren Stents allein aus Kostengründen schon zurückhaltend. Während hierzulande nur 30 Prozent der entsprechenden Patienten die beschichtete Version bekommen, sind es in der Schweiz, in den Beneluxländern oder den USA mehr als 90 Prozent der Erkrankten, im Europa-Durchschnitt immer noch 60 Prozent.

Das Grundproblem: Auch die kürzlich in Barcelona vorgelegten Daten lassen wegen der geringen Zahl der beobachteten Fälle kaum eindeutige Rückschlüsse zu, zumal das aufgefallene Risiko sehr gering erscheint. Die Forscher hatten, zum Beispiel Kardiologen der Universität Genf, auch nur die Ergebnisse anderer Berichte oder Register ausgewertet. Unter den dort aufgeführten Todesfällen waren zum Beispiel Patienten, die an Krebs gestorben waren sowie an anderen Ursachen, die nicht mit der Erkrankung des Herzens in Zusammenhang standen.

Aber es gibt eine theoretische Erklärung für das Problem mit den Stents. Das liegt wahrscheinlich in dem Wirkstoff des 15 bis 20 Millimeter langen Gittergeflechtes. Denn dessen positive Wirkung gegen Zellwucherungen, die das Metall in dem Gefäß auslöst, könnte in einigen Fällen auch zum gefährlichen Nebeneffekt führen. Denn das Mittel behindert auch eine schützende Zellschicht auf dem Metall und löst deshalb möglicherweise vermehrt Blutgerinnsel aus. Die jedoch können zu einer Thrombose führen - mit tödlichem Ausgang in einem von drei Fällen, "ein Problem, das grundsätzlich auch von den klassischen Stents bekannt war", sagt Prof. Dr. Christoph Nienaber, Chef-Kardiologe des Universitätsklinikums Rostock.

Lässt sich sich dieser Mechanismus durch eine längere Einnahme der Wirkstoffe (Clopidogrel und ASS) vielleicht verhindern? Eine Studie mit zwei Vergleichsgruppen, von denen eine Gruppe die Mittel länger einnimmt, halten viele Experten aus ethischen Gründen derzeit nicht für durchsetzbar.

Unklar ist ferner, ob eine fatale Wirkung nur bei den Stents der vor Jahren verwendeten ersten Generation vorkommt und ob es Unterschiede zwischen den auf dem Markt befindlichen Wirkstoffen in der Beschichtung gibt.

Trotz dieser Unsicherheiten im Detail zeigen die Studien jedoch einen "stets gleichen Trend", sagt Privatdozent Dr. Gerian Grönefeld, Chef-Kardiologe an der Asklepios-Klinik (AK) Barmbek. Das Absetzen der begleitenden Medikamente nach sechs Monaten scheint mit einem höheren Risiko einherzugehen.

Zu einer Veränderung haben die in der Fachwelt diskutierten Fragen in Barmbek schon geführt. Den Patienten dort werden neuerdings die nach der Stent-Implantation immer verabreichten Medikamente zur Blutverdünnung und Verhinderung von Gerinnseln statt der bisher üblichen sechs Monate neun bis zwölf Monate lang verschrieben, erklärt Grönefeld. Damit hofft man, die Risiken einer Thrombose weiterzuverringern. Allein in der Barmbeker Klinik werden im Jahr rund 1000 Gefäßstützen am Herzen implantiert.

Allerdings können Patienten auch in Situationen geraten, in denen ihnen aus anderen Gründen empfohlen wird, die Medikamente für einige Zeit abzusetzen, etwa vor operativen Eingriffen. "Dann bitten wir über den Hausarzt um Rücksprache", sagt Grönefeld. "Um den Patienten individuell optimal zu versorgen", werde dann der Zustand seiner Gefäße noch einmal überprüft und darauf hingewirkt, mögliche Warnzeichen schon im Vorfeld zu erkennen.

Die in Kardiologenkreisen diskutierten Nebenwirkungen der Stents haben inzwischen auch die Patienten erreicht - und viele in Angst und Schrecken versetzt. Von besorgten Patienten, "die sich plötzlich als Todeskandidaten fühlen", berichtet Nienaber. Hinweise auf eine überhöhte Sterblichkeit, "die im Übrigen nicht sicher belegt ist", hätten bei einigen "eine sinnlose Irritation" ausgelöst, die teilweise durch unsachliche Kommentare noch verstärkt worden sei.

In persönlichen Briefen versucht der Mediziner aus Rostock seine Patienten zu beruhigen. Dabei verweist er darauf, dass bei der raschen Verbreitung der neuartigen Stents die korrekte Handhabung möglicherweise vernachlässigt worden sei. Denn die Stents müssten "exakt und perfekt eingesetzt werden", und das sei in Zentren gewährleistet, die große Erfahrungen und ein hohes Patientenvolumen und damit die nötige Routine hätten. Zudem sei "eine gewisse Disziplin des Patienten erforderlich und die konsequente Einnahme der vorgeschriebenen Begleitmedikation". Er sehe jedoch keinen Grund, die Vorteile der beschichteten Stents grundsätzlich zu bezweifeln.

Nienaber hat zur Verbesserung der Patientenversorgung und um deren Bereitschaft, die Therapie zu unterstützen, eine Patienten-Checkkarte für Stentträger eingeführt. Die Karte ermöglicht es Arztkollegen zum Beispiel, Einblick in die Begleitmedikamente zu bekommen "und diese nicht voreilig, etwa beim Zahnarzt, abzusetzen", so Nienaber. Die Uni Rostock hat zudem eine Hotline geschaltet.

Trotz einer "Warnkonstellation" aufgrund der Daten gebe es keinen Grund, die beschichteten Stents generell in Frage zu stellen, meint auch Privatdozent Grönefeld. Die neuartigen Stents markierten nach wie vor einen "großartigen Durchbruch". Allerdings müsse ihr Einsatz individuell gerechtfertigt sein, etwa bei Patienten, die durch eine andere Erkrankung vorbelastet seien, wie Diabetes, oder durch eine bereits erfolgte Bypass-Operation.

Auch die ärztlichen Fachgesellschaften in Deutschland oder die F.D.A. (Food and Drug Administration der USA) sehen keinen Grund, die beschichteten Stents pauschal zu verdammen. Zumal immer wieder Studien genannt werden, in denen keine erhöhte Thrombose-Gefahr aufgefallen war. "Keinen Anlass zur Panik" sieht Privatdozent Grönefeld. "Beschichtete Stents sind nach wie vor eine Behandlungsmethode mit nachgewiesenen Vorteilen."