Pflege: Studie über Medizin und Raumfahrt. Was haben Schwerelosigkeit im All und Bettlägerigkeit gemeinsam? Muskeln und Knochen werden abgebaut. Das läßt sich durch gezieltes Training reduzieren.

Was kann die Pflege von der Raumfahrt lernen? Die Schwerelosigkeit im All hat auf den Körper eines Menschen ähnliche Auswirkungen wie strikte Bettlägerigkeit. Diese Parallele haben sich Wissenschaftler des Berliner Zentrums für Muskel- und Knochenforschung (ZMK) an der Charite zunutze gemacht, um die Auswirkungen der Schwerelosigkeit im All auf der Erde zu untersuchen. In der Berliner BedRest-Studie, in Zusammenarbeit mit der Europäischen Raumfahrtbehörde (ESA), wurde 20 gesunden Versuchspersonen über einen Zeitraum von acht Wochen strikte Bettruhe verordnet. "Während dieser Zeit durften sie nicht aufstehen, sondern mußten alle Verrichtungen des täglichen Lebens im Bett erledigen. Wir haben untersucht, wieweit sich diese simulierte Schwerelosigkeit, also die Veränderung der Schwerkraft durch das Liegen, auf Muskeln und Knochen, insbesondere der unteren Extremitäten, auswirkt und was man dagegen tun kann", berichtet Ulf Gast, Mitarbeiter des ZMK. Die Ergebnisse dieser Untersuchung und ihre Bedeutung für die Pflege bettlägeriger Patienten stellt er auf dem 3. Gesundheitspflege-Kongreß vor, der am 21. und 22. Oktober in Hamburg stattfindet.

"Schwerelosigkeit und Bettlägerigkeit sind vergleichbar, weil in beiden Fällen die Muskeln der Beine nicht mehr betätigt werden. Diese werden nicht mehr durch das Körpergewicht und die Schwerkraft belastet, was zur Folge hat, daß Muskel- und Knochenmasse abnehmen." In ihrer Studie wollten die Wissenschaftler auch herausfinden, ob und wie man es verhindern kann, daß Knochen und Muskeln während der Liegezeit abbauen "oder - auf die Raumfahrt übertragen - wollen sie den Astronauten, die zum Mars fliegen, ein wirksames Trainingsgerät mitgeben, so daß diese dort nicht mit dünnen Beinen ankommen und ihre Arbeit nicht verrichten können".

Die Studienteilnehmer wurden in zwei Gruppen aufgeteilt: Die einen erhielten während der Liegezeit kein Muskeltraining, die Mitglieder der anderen Gruppe wurden mit einem speziellen Vibrationstraining für die Beinmuskulatur trainiert.

Bei dem Vibrationstraining wurde eine vibrierende Platte unter die Fußsohlen des Liegenden gestellt. Mit Gurten über den Schultern und Handgriffen wurden mit vier Expandern die Füße herangezogen, so daß auf der Platte eine Kraft bis zum Zweifachen des Körpergewichtes erzeugt werden konnte. "Damit haben wir die natürliche Belastung des Körpers unter den Einwirkungen der üblichen Schwerkraft der Erde simuliert und die Vibrationsfrequenz so angepaßt, daß man eine Trainingszeit von maximal drei Minuten erreichen konnte. Dann war die Leistungsfähigkeit der Muskeln erschöpft. Denn die Vibrationen lösen unwillkürliche Muskelkontraktionen aus, und in drei Minuten wird in etwa die Zahl der Muskelkontraktionen eines 10 000-Meter-Laufs erreicht", so Gast.

Das Training war erfolgreich. "Nach acht Wochen Bettlägerigkeit hatte sich die Leistungsfähigkeit der Muskulatur bei denjenigen, die zweimal am Tag drei bis sechs Minuten trainierten, um durchschnittlich zwei Prozent verringert, bei den Untrainierten zeigte sich bei einzelnen eine Abnahme von mehr als zehn Prozent. Zudem ging es den trainierten Personen kurz nach dem Aufstehen deutlich besser als den Untrainierten. Ihre Muskeln erreichten schneller wieder ihren ursprünglichen Umfang und ihre Leistungsfähigkeit." Das gleiche galt für die Entwicklung des Knochenabbaus: "Die Knochendichte hatte bei den trainierten Menschen weniger abgenommen als bei den Untrainierten", berichtet Gast.

Deshalb sollte ein solches Training in die Mars-Mission integriert werden. "Unser Ziel ist, ein Trainingsprogramm zu entwickeln, das nicht ein bis zwei Stunden dauert, sondern die gleiche Wirkung in wenigen Minuten erzielt." Denn Training ist für solche Langzeitmissionen im All unerläßlich. "Wenn ein Astronaut ohne Training nach neun bis zwölf Monaten Schwerelosigkeit auf dem Mars ankäme, und dort der, wenn auch geringeren, Schwerkraft ausgesetzt wäre, würde es sehr wahrscheinlich zum Unterschenkelbruch kommen."

Dieses Trainingskonzept könnte auch bei bettlägerigen Patienten zum Einsatz kommen, damit sie nach dem Aufstehen schneller wieder fit werden, und es würde weiteren Komplikationen vorbeugen. "Ohne Training müssen sie erst einmal Muskelmasse mühsam wieder auftrainieren und das Risiko, zu stürzen und sich dabei einen Knochenbruch zuzuziehen, wäre in der Zeit bis zur Knochenanpassung wesentlich erhöht", erklärt Gast.