Bio-Happen von Prof. Victor B. Meyer-Rochow (3)

Mit nur einem Blick auf die Zunge kann ein erfahrener Arzt Dermatosen, Diabetes, Lebererkrankungen und manch andere Krankheit diagnostizieren. Aber die Zunge ist mehr als ein Abbild unseres Gesundheitszustandes: sie läßt uns schmecken und vor allem sprechen.

Wenn sie versuchen, die bekannten Zungenbrecher vom Fischers Fritze, der sprichwörtlich immer frische Fische fischt, oder dem der weißwaschenden Wiener Waschweiber aufzusagen, dann verdreht sich ihre Zunge wegen einer bemerkenswerten Anordnung von Nerven und längslaufenden, querlaufenden, zirkulären und schrägen Muskelfasern. Embryologisch betrachtet ist die Zunge ein merkwürdiges Organ, das von vier Paaren Kiemenbögen (ja, Kiemen!) abstammt.

Beim Menschen sind die ersten zwei Drittel hautähnlich, das hintere Drittel dem Eingeweide zugehörig. Vier Gehirnnerven sind mit der Kontrolle der Zunge und ihren vielseitigen Funktionen beschäftigt und der Großteil der Zungenmuskulatur hat ihren Ursprung in der hinteren Region des Schädels.

Bei Kröten und Salamandern ist die Zunge am Anfang des Mundes befestigt und wird durch das Zusammenziehen von Muskeln herauskatapultiert. Die Zunge des Chamäleons ist ein Geschoß, das so lang wie das Tier selbst ist. Sie ist klebrig und schießt mit erstaunlicher Geschwindigkeit (0,04 Sekunden) und Genauigkeit aus dem Mund des Chamäleons. Spechte haben ebenfalls sehr lange Zungen, die sie bis zu fünf Mal der Länge ihres Schnabels nach ausstrecken können und in Baumlöcher einführen, um Insektenlarven zu erbeuten. Die Zungen ameisenfressender Säugetiere sind manchmal nicht am Hals, sondern am Brustbein befestigt, um ihnen mehr Länge zu verschaffen. Sie sind zylindrisch und klebrig und können beim australischen Ameisenigel einer Art Erektion unterliegen.

Und wenn man nun gar keine Zunge hat? Die Aglossa', eine Gruppe schwanzloser Amphibien (z. B. die Krallenfrösche Südafrikas oder die Pipapipa-Kröten Südamerikas) können auch sehr gut ohne Zunge überleben. Allerdings ohne den Spaß mit den Zungenbrechern . . .