Es gibt kaum eine Situation, in der ein Mensch auf die Hilfe anderer stärker angewiesen ist, als auf der Intensivstation. Meist ist sein Bewusstsein...

Es gibt kaum eine Situation, in der ein Mensch auf die Hilfe anderer stärker angewiesen ist, als auf der Intensivstation. Meist ist sein Bewusstsein getrübt, er wird über Sonden und Infusionen ernährt, und die Medikamente fließen direkt in seine Blutbahn. Hier müssen Ärzte und Pfleger sicher handeln, denn schon kleine Fehler können tödlich sein.

Eine Studie in 27 Ländern hat nun die Sicherheit der Medikamentenvergabe auf 113 Intensivstationen überprüft - und kommt zu einem beunruhigenden Ergebnis. Wie das Team um Andreas Valentin von der Krankenanstalt Rudolfstiftung in Wien im "British Medical Journal" und im "Deutschen Ärzteblatt" schreibt, waren von 1328 Patienten 441 Patienten von insgesamt 861 Fehlmedikationen betroffen. Bei 250 Patienten trat je ein Fehler auf, bei 191 Patienten mehr als einer. Zwölf trugen durch Fehler der Intensivbetreuer bleibende Schäden zurück oder starben.

Für knapp ein Prozent der Patienten endete der Aufenthalt auf der Intensivstation in einem Desaster, ein Drittel musste durch die Fehler der Betreuer leiden. Nur bei 67 Prozent lief alles glatt.

Die Forscher hatten Ärzte und Pflegepersonal gebeten, einen Fragebogen auszufüllen und jeden aufgetretenen (und nachvollziehbaren) Medikationsfehler anzugeben. Dabei beschränkten sich die Wissenschaftler darauf, die Medikation per Infusion zu untersuchen. Als Medikationsfehler zählte etwa eine ausgelassene, falsch dosierte oder zum falschen Zeitpunkt erfolgte Medikamentengabe oder ein falscher Applikationsweg.

Auch die Gründe für die falsche Behandlung wurden abgefragt. Genannt wurden missverständliche Kommunikation zwischen Pflegern oder beim Schichtwechsel, Arbeitsbelastung, Stress, Übermüdung, mangelndes Fachwissen oder kürzlich umstrukturierte Handlungsabläufe.

Die meisten Fehler traten in der Routinebehandlung auf. So wurden Medikamente zum falschen Zeitpunkt oder gar nicht gegeben. Studienleiter Andreas Valentin: "Bei der Übergabe zwischen zwei Schichten wurde beispielsweise nicht mehr überprüft, ob die Einstellung eines automatisierten Infundors auch für die nachfolgende Schicht die richtige ist." Das Ergebnis: Unter Stress und hoher Konzentration passieren weniger Fehler. So zeigt die Studie, dass in Notfallsituationen deutlich weniger Handgriffe falsch laufen. "Je komplizierter die Erkrankung eines Patienten - und damit auch seiner Pflege -, desto größer war das Risiko eines oder sogar mehrerer Behandlungsfehler."

Die Forscher suchen nun nach Verbesserungsmöglichkeiten für den Intensivbereich von Krankenhäusern. "In Kliniken, in denen ein Berichtssystem für Fehler existiert, ist die Fehlerrate für Falschmedikationen um 30 Prozent geringer", sagt Valentin. Wenn also ein Fehler nicht als Schuldzuweisung empfunden wird, sondern offen und konstruktiv darüber geredet werden kann, sei das letztlich im Sinne des Patienten.