Jede 20. werdende Mutter ist betroffen. Noch vor zwei Generationen gab es diese Krankheit nicht. Die Therapie: mehr Bewegung, Umstellung der Ernährung und bei Bedarf Insulin.

Du musst jetzt essen für zwei" - dieser Satz, den noch viele unserer Großmütter ihren schwangeren Töchtern mit auf den Weg gaben, ist ein schlechter Rat. Denn wer sich daran hält, läuft Gefahr, einen Schwangerschaftsdiabetes zu bekommen. "Diese Erkrankung ist zu einem sehr hohen Prozentsatz ernährungsbedingt", sagt Privatdozent Dr. Holger Maul, seit Januar dieses Jahres einer der beiden neuen Chefärzte der Gynäkologie am Marienkrankenhaus. "In der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg hatte kaum eine Frau einen Schwangerschaftsdiabetes. Es ist ein Problem unserer heutigen Ernährung, mit potenziell drei warmen Mahlzeiten am Tag, schnell verfügbaren Kohlenhydraten, und wenig Bewegung", sagt der Gynäkologe.

Heute haben nach Schätzungen fünf bis sechs Prozent aller werdenden Mütter in Deutschland einen Schwangerschaftsdiabetes. Von einer solchen Erkrankung sprechen Experten dann, wenn der Diabetes erstmals während der Schwangerschaft auftritt und ab der 20. Schwangerschaftswoche nachweisbar ist.

Er entsteht durch das besondere Zusammenspiel des Stoffwechsels von Mutter und Kind, das so ausgelegt ist, dass das Kind bevorzugt ernährt wird. In der Schwangerschaft verändert sich der Zuckerstoffwechsel: Normalerweise produziert der Körper Insulin, wenn wir ihm Zucker zuführen, und fördert damit die Aufnahme des Zuckers in die Zelle. Überflüssiger Zucker wird als Fett im Fettgewebe gespeichert. "In der Schwangerschaft produziert die Plazenta Hormone, die dem Insulin entgegenwirken. Das Ziel ist, den Blutzuckerspiegel immer etwas höher zu halten, damit möglichst viel zum Fötus gelangt. Wenn die Mutter sowieso schon einen gestörten Zuckerstoffwechsel hat, weil sie zu dick ist oder schon ein bisschen älter, kann dieses System sehr schnell aus der Balance geraten: Die Blutzuckerwerte der Mutter steigen an und das Kind bekommt kontinuierlich zuviel", erklärt Maul.

Der Körper des Kindes reagiert auf die vermehrte Zuckerausschüttung der Mutter mit übermäßiger Insulinproduktion. Das führt dann dazu, dass es übermäßig Fette einlagert und so stark zunimmt, dass es bei der Geburt mehr als 4500 Gramm wiegt. Um das zu verhindern, sollte jede Schwangere zwischen der 20. und 22. Schwangerschaftswoche einen Glukosebelastungstest durchführen lassen, empfiehlt der Gynäkologe. Dabei bekommen die Frauen eine Lösung mit 75 Gramm Glucose zu trinken, nachdem vorher der Blutzuckerwert bestimmt wurde. Dann wird nach einer und nach zwei Stunden erneut der Blutzucker gemessen. "Sind diese Werte erhöht, würde ich den Frauen zunächst eine Diät und sportliche Betätigung empfehlen. Mit dieser Therapie kann man den Schwangerschaftsdiabetes in 80 Prozent der Fälle gut behandeln." Wenn eine Diät nicht hilft, wird die Schwangere mit einer niedrig dosierten Insulintherapie eingestellt. "Wenn auch bei dieser Behandlung stark erhöhte Blutzuckerwerte auftreten, schicke ich die Schwangere zu einem Diabetologen, um den Diabetes genauer abzuklären und unter Umständen eine intensivere Therapie einzuleiten", sagt Maul.

Je strenger der Blutzuckerwert der Mutter eingestellt wird, umso niedriger sind die Komplikationsraten. "Wir zwingen den Blutzuckerwert der Mutter in den Normalbereich, so dass das Kind normal wächst. Ist es bereits zu groß, wird der Blutzuckerspiegel der Mutter noch niedriger eingestellt, um eine Normalisierung des kindlichen Wachstums zu erreichen. Alle zwei Wochen werden Mutter und Kind untersucht, um die Entwicklung des Föten genau im Blick zu behalten. Mit den Maßnahmen, die uns zur Verfügung stehen, können wir alle Kinder in den Normbereich bringen."

Denn ist das Kind zu groß oder der Blutzucker der Mutter ständig erhöht, steigt die Gefahr von Komplikationen: So erhöht sich das Risiko für die Mutter, einen schwangerschaftsbedingten Bluthochdruck zu bekommen, sie wird anfälliger für Infektionen, durch das zu große Kind kann es während der Geburt zu Verletzungen, z. B. schweren Dammrissen, kommen. Auch die Gefahr einer Frühgeburt steigt, weil die Gebärmutter durch das zu große Kind überdehnt wird. "Und die Überproduktion von Insulin im Organismus des Ungeborenen kann sich auf sein späteres Leben auswirken: Damit ist das Gewebe schon auf eine gewisse Insulinunempfindlichkeit vorbereitet, das heißt diese Kinder haben ein deutlich erhöhtes Risiko, schon als junge Erwachsene einen Typ 2 Diabetes zu entwickeln", sagt Maul.

Nach Ende der Schwangerschaft ist diese Form des Diabetes in der Regel vorbei. "Aber um sicher zu gehen, sollte die Patientin sechs bis acht Wochen nach der Geburt erneut einen Glucosebelastungstest durchführen lassen, um zu klären, ob die Werte wieder im Normalbereich liegen. Des weiteren sollte sie jedes Jahr oder alle zwei Jahre einen Zuckerbelastungstest durchführen lassen, damit ein eventuell auftretender Typ-2-Diabetes frühzeitig erkannt und behandelt wird", empfiehlt Maul.

Damit es gar nicht erst zum Schwangerschaftsdiabetes kommt, sollten Schwangere von vornherein darauf achten, dass sie ausreichend Bewegung haben, zum Beispiel durch tägliches Spazierengehen und regelmäßiges Schwimmen. In der Ernährung sollten sie eine gesunde Mischkost mit Vollkornprodukten, viel Obst und Gemüse zu sich nehmen und alle Nahrungsmittel mit viel Kalorien nur in Maßen konsumieren - und keineswegs für zwei.