Weniger essen, mehr Sport und Gespräche. Und bei der Therapie müssen auch Familie und Freunde mit einbezogen werden. Das raten Ärzte und Ernährungsexperten.

Wenn Kinder übergewichtig sind, haben sie mit zahlreichen Beeinträchtigungen zu kämpfen - und viele wünschen sich nichts so sehr, wie endlich "dünn" zu sein. Doch der Weg dahin ist lang. Und damit das Abnehmen auch auf Dauer erfolgreich ist, sind viel Selbstdisziplin und Durchhaltevermögen nötig. Auf einer Tagung über Erfolgsfaktoren der Adipositas-Therapie für Acht- bis 18-Jährige in Hamburg präsentierte Joachim Westenhöfer, Professor für Ernährungs- und Gesundheitspsychologie, dazu neue Studienergebnisse. Dabei wurde auch untersucht, unter welchen Bedingungen unterschiedliche Abnehmprogramme langfristig am erfolgreichsten waren.

"Wir haben die Kinder und Jugendlichen ein Jahr danach untersucht, und es zeigte sich, dass diejenigen besonders erfolgreich waren, denen es gelungen ist, die Selbstkontrolle des Essverhaltens besser in den Griff zu bekommen, denen es besser gelingt, in bestimmten Situationen auch mal Nein zu sagen. Eine große Rolle spielt auch die Störbarkeit des Essverhaltens, wie anfällig jemand dafür ist, zuzugreifen, wenn er etwas Leckeres sieht, oder sich durch Essen zu trösten, wenn er traurig oder frustriert ist. Erfolgreicher sind diejenigen, denen es gelingt, diese Störbarkeit zu verringern", sagt Westenhöfer, der an dieser bundesweiten Studie beteiligt war, in die 48 Behandlungszentren mit insgesamt 2000 Kindern und Jugendlichen einbezogen waren. Der Leiter des Departments Gesundheitswissenschaften an der Fakultät "life siences" der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) in Bergedorf beschäftigt sich schon seit Jahren mit den psychosozialen Faktoren bei der Entstehung, Behandlung und Prävention von Übergewicht.

Der Bedarf an Abnehmprogrammen ist hoch und nimmt immer mehr zu, denn die Zahl der übergewichtigen Kinder und Jugendlichen steigt stark an. "Die Untersuchungen des Kinder- und Jugend-Surveys vom Robert-Koch-Institut von 2003 bis 2006 haben ergeben, dass von den Drei- bis 17-Jährigen 15 Prozent übergewichtig sind, 50 Prozent mehr als in den 80er-Jahren", sagt Dr. Kirsten Wenner, Ärztin in der Kinderklinik am Universitätsklinikum Eppendorf. Erschreckend ist auch, dass das Übergewicht schon früh beginnt. "Der Anteil der Achtjährigen, deren Body Mass Index höher ist als bei 90 Prozent aller Altersgenossen, nimmt deutlich zu. Und es zeigt sich auch ein extremer Zuwachs bei der Gruppe, die schwerer ist als 97 Prozent aller Gleichaltrigen und damit adipös. Heute sind 8,5 Prozent der 14- bis 17-Jährigen adipös", sagt Wenner. Und wenn man schon als Kind übergewichtig ist, ist es extrem schwierig, diese Kilos wieder loszuwerden. "71 Prozent der Jungen, die mit acht Jahren übergewichtig sind, sind es auch noch mit 15, bei den Mädchen sind es 64 Prozent", berichtet die Kinderärztin. Damit ist auch das Risiko für Folgeerkrankungen erheblich erhöht. So wurde bereits bei 30 Prozent der übergewichtigen Kinder im Pubertätsalter Bluthochdruck festgestellt, Fettstoffwechselstörungen bei 25 Prozent und die Vorstufe zum Diabetes bei 20 Prozent.

Deswegen müsse schon früh, möglichst bereits im Kindergarten und in der Grundschule, mit der Aufklärung über gesundes Essen und ausreichend Bewegung begonnen werden, fordern die Experten. "Das gilt insbesondere für Risikogruppen, zu denen nach umfangreichen Studien Familien mit Migrationshintergrund und mit sozial niedrigem Status gehören, Kinder, die selten zu Hause essen und sich wenig bewegen. Allein bei drei Stunden Fernsehen oder Computer pro Tag besteht schon ein erhöhtes Risiko, Übergewicht zu entwickeln", sagt Wenner.

Im Kindergarten sollten die Erzieher die Ernährung und die Bewegung verbessern, den Kindern Spaß an der Bewegung vermitteln, Bewegungsspielräume schaffen. "Und Eltern sollten dabei unterstützt werden, auch zu Hause eine vernünftige Ernährung anzubieten und Bewegung zu fördern, dabei müssen auch kulturelle und sprachliche Grenzen überwunden werden", fordert Westenhöfer. Darüber hinaus sind strukturelle Veränderungen nötig. Schulverpflegung sollte nicht nur preisgünstig, sondern auch qualitativ hochwertig sein, durch intensiven Schulsport sollte für ausreichend Bewegung gesorgt werden.

In der Behandlung des Übergewichts brauchen besonders Jugendliche eine intensive Betreuung. "Gerade Jugendliche haben durch das Jugendalter bedingte Entwicklungsaufgaben zu lösen, und Übergewichtige sind in der Situation, dass sie mit den ganz normalen Entwicklungsprozessen umgehen müssen und zusätzlich noch ihr Problem, das Übergewicht haben", sagt Westenhöfer.

"Die Beratung bezieht sich immer auf das gesamte soziale Umfeld. Um einen dauerhaften Erfolg erreichen zu können, müssen wir das mit berücksichtigen, um dann dem Jugendlichen einen Weg zu zeigen, wie er langfristig in kleineren Schritten abnehmen kann", sagt Margarete Nowag, Ernährungswissenschaftlerin im Optifast-Zentrum an der Asklepios-Klinik Wandsbek, das unter dem Titel "move & eat & more" auch Abnehmprogramme für Kinder und Jugendliche anbietet. Sie hat auch diese Tagung mit organisiert, in der es vor allem darum ging, bestehende Hilfsangebote stärker zu vernetzen, um den besonderen Ansprüchen in der Betreuung von jungen Übergewichtigen besser gerecht zu werden.

In dieser Betreuung spielen neben der Familie auch die Freunde mit zunehmendem Alter eine immer größere Rolle. Der enge Kontakt zu anderen Jugendlichen kann sowohl positive wie negative Auswirkungen haben. Als Beispiel nennt Nowag ein dreizehnjähriges Mädchen, das zu einer Gruppe gehört, in der außer ihm niemand übergewichtig ist: "Sie nimmt ab, weil sie gern so sein möchte wie die anderen, auch die gleiche Kleidung tragen möchte. Das ist ab dem Alter von elf, zwölf Jahren das Hauptargument für das Abnehmen, besonders bei Mädchen. So trägt die Gruppe dazu bei, dass dieses Mädchen ein Vorbild hat", erzählt Nowag. Aber die Gruppe kann auch einen schlechten Einfluss haben, "zum Beispiel wenn sie nach dem Kino gemeinsam Fast Food konsumiert. Da geht man halt mit, weil man dazugehören will", sagt Westenhöfer.

Insgesamt kamen die Experten zu dem Schluss, dass mehr für die Prävention und auch zur Unterstützung dieser Kinder und Jugendlichen getan werden muss, nicht nur, um sie vor den gesundheitlichen Folgen des Übergewichts zuschützen, sondern auch vor den erheblichen sozialen Auswirkungen: "denn Übergewichtige haben ein schlechteres Selbstbewusstsein und oft auch eine schlechtere Ausbildung", betont Kinderärztin Wenner.