An der Uniklinik Rostock werden Schwerverbrecher durchleuchtet. Die Kernfrage: Wie frei ist ihr Handeln?

Gut bewacht, teilweise gefesselt - landeten 28 Häftlinge aus den Gefängnissen Mecklenburg-Vorpommerns, die wegen Mord, Totschlag oder Raub einsitzen, in der psychiatrischen Uniklinik Rostock. Dort sollten sie nicht behandelt, sondern erforscht werden. Klinikchefin Prof. Sabine Herpertz und ihr Team wollen herausfinden, wie diese Gewalttäter Gefühle verarbeiten. Dafür legten sich die Straftäter freiwillig in einen Kernspintomografen. So konnten die Ärzte zuschauen, was in ihrem Gehirn geschah, wenn sie Bilder sahen, die bei den meisten Mitleid, Entsetzen oder Angst auslösen. "Unser Ziel ist zu erkunden, welche Hirnstrukturen verantwortlich für Taten sein können, und welche Therapien für welchen Täterkreis sinnvoll sind", zitiert die "Frankfurter Rundschau" Sabine Herpertz. Sie gibt keine Interviews, bevor die Ergebnisse nicht feststehen.

Bereits ältere Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren zeigten, dass bei Psychopathen die Gehirnareale, die mit dem Gefühl "Mitleid" gekoppelt sind, weniger aktiv sind. Das ist ein beunruhigender Befund. Denn Emotionen seien, schreibt Prof. Dieter Vaitl (Uni Gießen), "Frühwarnsysteme". Wenn sie fehlen, kann das bedrohliche Zustände und soziale Komplikationen zur Folge haben. Emotionen schützen im Normalfall davor, aggressiv gegen andere zu werden, sie zu erschlagen, zu berauben, zu vergewaltigen.

Doch darf man aus weniger durchbluteten Hirnregionen den Schluss ziehen, dass Gewalttäter nicht anders handeln können? Für Hirnforscher wie Gerhard Roth (Uni Bremen) ist das keine absurde Vorstellung. Er hält - wie auch der Max-Planck-Forscher Wolf Singer - die Freiheit des Willens für eine Illusion. Ihre Haltung basiert vor allem auf einem Experiment, das in vielen Variationen wiederholt worden ist. 1979 zeigte US-Forscher Benjamin Libet, dass das Gehirn die Bewegung der Hand bereits zu einem Zeitpunkt vorbereitete, zu dem der Proband selbst offenbar noch nicht die Absicht gehabt hatte, die Bewegung auszuführen. Der Mensch, so scheint es, ist nicht frei in seinen Entscheidungen.

Doch diese Interpretation, warnt nicht nur der deutsche Philosoph Richard D. Precht, greift zu kurz. Zwar vergehe von dem im Hirn zu beobachtenden Impuls bis zu bewussten Entscheidung eine halbe Sekunde, "aber es vergeht noch mal eine halbe Sekunde, bis der Patient wirklich handelt. Das heißt, es bleibt die Chance, die Aktion abzubrechen. Das heißt, es gibt zwar keinen freien Willen, aber einen freien Unwillen, mit dem ich das Schlimmste verhindern kann", folgert er in seinem Buch "Wer bin ich und wenn ja, wie viele?". Damit widerspricht er Hirnforschern wie Roth und Singer, die das Strafrecht angreifen, wie der Heidelberger Jurist Prof. Thomas Hillenkamp urteilt. "Sie wenden sich gegen das Konzept der Strafe, das an das Prinzip vom Schuld und Sühne anknüpft." Doch wenn der Mensch keinen freien Willen hat, kann er nach geltendem Recht nicht für seine Tat verantwortlich gemacht werden. Schuldunfähig wären somit nicht nur Menschen mit Psychosen, tief greifenden Persönlichkeitsstörungen - sondern alle, die als Kriminelle bezeichnet werden. Verbrechen würden zu einem biologischen Phänomen.

Doch erlauben die Messungen überhaupt derart weitreichende Schlussfolgerungen? Was zeigen uns diese Hirnbilder überhaupt? Immer mehr Neurowissenschaftler geben zu bedenken, dass die Schlussfolgerungen, die aus den Studien mit den neuen bildgebenden Verfahren gezogen werden, überzogen sind. Kürzlich erst wies Nikos Logothetis vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in "Nature Review" (Bd. 453) auf die Grenzen der funktionellen Kernspintomografie (fMRT) hin - eben jener Methode, die in Rostock eingesetzt wird. Erfasst werden mit der fMRT die Hirnareale, die stärker durchblutet werden. Diese verstärkte Durchblutung geht, so die Annahme, mit einer stärkeren Aktivität der Nervenzellen einher. Die Technik erlaubt also, die Nervenzellen aufzuspüren, die funken, wenn jemand liest, rechnet, Musik hört, Bilder betrachtet oder malt. Gleichwohl haben die Forscher damit nicht mehr gefunden als Zellen. Man hat noch keine Erklärung dafür, wie Hören, Sehen, Denken oder auch Fühlen funktionieren. Mehr noch als die Ungenauigkeit der Technik - im Gehirn funken auch andere Zellen als die Neuronen - beunruhigt Logothetis daher, dass es an einem grundlegenden Verständnis der "funktionellen Organisation des Gehirns" mangelt. "Wir lernen nur in kleinen Stücken etwas Neues über die Hirnfunktionen", sagt der Forscher. Zwar seien alle Werkzeuge, um sich dem Hirn zu nähern, vorhanden, "doch wir haben grundlegende Fragen nicht geklärt. Das Großhirn unterhält sich 80 Prozent der Zeit, ohne dass Informationen von außen überhaupt aufgenommen werden. Was bedeutet dann: Das Gehirn ist aktiv?" Solange die einfachsten Abläufe im Gehirn nicht verstanden seien, sei es vermessen, mit bildgebenden Verfahren Gewalttäter aufspüren zu wollen. Gleichwohl brächten sie, klug genutzt, spannende Einsichten. Eine ist: Das Ganze eben mehr ist als die Summe der Einzelteilen.