Türen und Fenster schließen, Stolperfallen entfernen - denn wer im Tiefschlaf aufsteht, ist gefährdet.

Das war Glück im Unglück." Solche Sätze sagen Eltern von Schlafwandlern oft. Auch der Vater, der sich an den Sturz seines Sohnes erinnert: "Kurz vor dem Abitur übernachtete Markus bei seiner Freundin. Er schlief auf einem ausgebauten Dachboden, den vom Treppenhaus nur das Geländer trennte. Als Markus in der Nacht schlafwandelte, stürzte er eine Etage tiefer." Der Junge fiel fast drei Meter, kam aber wie durch ein Wunder mit ein paar Knochenbrüchen davon. Er verpasste noch nicht einmal seine Prüfungen.

Dass der Junge seine Attacke gerade im Prüfungsstress bekam, der ihm in den vergangenen Wochen Schlaf geraubt hatte, passt gut ins Resultat einer aktuellen Studie kanadischer Neurologen: Antonio Zadra und Kollegen von der Uni Montreal zeigten, dass übermüdete Menschen eher schlafwandeln als ausgeschlafene. Die Forscher ließen 40 vermeintliche Schlafwandler 25 Stunden nicht schlafen. Im anschließenden Erholungsschlaf traten bei 36 Probanden insgesamt 92 Schlafwandelattacken auf. In der Probenacht vor dem Schlafentzug wandelte dagegen nur die Hälfte der Testpersonen ("Annals of Neurology", März 2008).

Zwar ist schon länger bekannt, dass Schlafmangel den sogenannten Somnambulismus begünstigt, so eindrucksvoll und bei so vielen Patienten wie in der aktuellen Studie wurde das bisher aber noch nicht belegt. Zadra und Kollegen hoffen nun, Somnambulismus in Zukunft dank Schlafentzug leichter diagnostizieren zu können. Die eindeutige Erkennung des bislang von den Schlafwissenschaften eher stiefmütterlich behandelten Leidens ist nämlich gar nicht so einfach. Bislang mussten Ärzte Schlafwandler allzu oft unverrichteter Dinge nach Hause schicken, weil während der Testnacht nichts Auffälliges passiert war. Ein vorheriger Schlafentzug sei ein "brauchbares Werkzeug", um die Wahrscheinlichkeit einer Schlafwandelattacke gezielt zu erhöhen, so die Kanadier.

Schlafwandler leben gefährlich - und sie brauchen einen Schutzengel. Denn von der sprichwörtlichen "schlafwandlerischen Sicherheit" kann keine Rede sein. "Ihnen fehlt die Angst vor gefährlichen Situationen, und sie bewegen sich unsicherer als wache Menschen", sagt Dieter Kunz, Leiter der Abteilung für Schlafmedizin im St.-Hedwig-Krankenhaus, Berlin. Auch dass der Abiturient Markus in fremder Umgebung stürzte, ist typisch. Schlafwandler sind anfälliger, wenn Bett und Zimmer nicht vertraut sind, weil dort kleine, die Attacke auslösende Störungen wahrscheinlicher sind. Markus ist für einen Schlafwandler jedoch recht alt: "Über ein Drittel aller Kinder bis zur Pubertät schlafwandeln mehr oder weniger häufig und mehr oder weniger ausgeprägt", sagt Kunz. Mit dem Erwachsenwerden verschwinde der Spuk fast immer.

Im Alter über 30 tritt nur noch bei ein Prozent der Bevölkerung das Leiden auf, das klar definiert ist. "Schlafwandeln heißt: Wandeln im Schlaf, also das gelegentliche Aufstehen und Umhergehen bei abgeschaltetem Wachbewusstsein", sagt Claudio Bassetti, Schlaflaborleiter und Vizedirektor der Neurologischen Klinik des Zürcher Universitätsspitals. Die meisten der erwachsenen Betroffenen wandelten bereits als Kind. Ein Teil ihrer Veranlagung scheint geerbt zu sein. Nur ganz selten tritt das Schlafwandeln zum ersten Mal im Erwachsenenalter auf. Dann sollte man rasch zum Arzt gehen. Bestätigt sich die Diagnose, beginnt die Suche nach dem Auslöser: "Schlafwandeln ist nur ein Symptom, so wie Kopfschmerzen. Es zeigt uns, dass irgendetwas im Gehirn nicht in Ordnung ist", erklärt Bassetti.

Deshalb sind die Attacken bei Kindern so häufig. Ihr Gehirn entwickelt sich noch. So kann es passieren, dass das Wachbewusstsein ausgeschaltet bleibt, obwohl Gehirnregionen aufwachen, die Bewegungen steuern. Ihre Arme strecken Schlafwandler übrigens nicht nach vorne. "Das ist Quatsch", sagt Bassetti. Auch Lichtquellen steuerten sie nicht an. Es könne aber sein, dass ein heller Mond Schlafwandeln begünstigt.

Träume kommen als Auslöser der Episoden nicht infrage, weiß Claudio Bassetti: "Schlafwandeln findet immer im Tiefschlaf statt, und da träumt man nur sehr bruchstückhaft." Weil wir fast nur im ersten Schlafdrittel in den Tiefschlaf gelangen, wandelt man auch nur dann. Dabei achten die Ärzte vor allem auf das Hirnstrommuster der Patienten. Sie wissen: "Wenn Schlafwandeln im Alter neu auftritt, dann passiert irgendetwas im Gehirn, und das passiert nicht einfach so", sagt Dieter Kunz. Verantwortlich könnten bestimmte Medikamente wie Antidepressiva, Benzodiazepine oder Lithium sein sowie illegale Drogen aller Art. Auch extremer Schlafmangel, übermäßiger Alkoholkonsum oder Alkoholentzug begünstigten das Leiden. Manchmal sei die ungewollte Aktivität im Schlaf sogar ein Hinweis auf Hirnerkrankungen wie eine Epilepsie, Morbus Parkinson oder einen Hirntumor. Diese müssen dann bekämpft werden.

Ansonsten können Medikamente helfen, gezielter Stressabbau durch autogenes Training oder progressive Muskelentspannung und die Einhaltung allgemeiner Schlafhygiene-Regeln wie das Meiden abendlichen Koffeinkonsums, eine gemütliche Schlafzimmeratmosphäre und regelmäßige Schlafzeiten.

Am wichtigsten sind aber Sicherheitsmaßnahmen: "Türen und Fenster geschlossen halten, Stolperfallen und gefährliche Gegenstände entfernen", rät Dieter Kunz. Und wer auf Schlafwandler trifft, sollte ihn sanft zum Bett geleiten, ihn jedoch niemals rütteln. Wecken lässt er sich ohnehin kaum.