In diesem Jahr der Mathematik veröffentlicht das Hamburger Abendblatt einmal im Monat eine Kolumne über mathematische Alltagsphänomene. Autor dieser Reihe ist Christoph Drösser, Wissenschaftsjournalist und Buchautor des Klett-Verlags ("Der Mathematik-Verführer"). In dieser dritten Folge geht es um "Wankende Vergleiche".

Die Firma Braun wollte vor einigen Jahren die sich elektrisch rasierenden deutschen Männer dazu bewegen, doch einmal das Scherblatt ihres Rasierers auszuwechseln. "Wussten Sie", hieß es dazu in der Werbung, "dass ein Mann in 18 Monaten praktisch ein Fußballfeld rasiert?"

Ein schönes Bild - da stellt man sich den armen Tropf vor, wie er auf dem Rasen kniet und Halm für Halm trimmt. Die Werbung fällt auf - aber sie stimmt hinten und vorne nicht. Wenn man die Fläche des Gesichts großzügig mit 500 Quadratzentimetern ansetzt, müsste der Mann sich 185-mal pro Tag rasieren!

Als ein Journalist der Welt die Firma darauf ansprach, kam die prompte Antwort: Das habe alles seine Richtigkeit, man müsse nur anders rechnen. Die Scherfolie gleite bei jeder Rasur siebenmal über dieselbe Hautstelle. Außerdem sprössen beim Menschen 50 Haare auf jedem Quadratzentimeter, auf dem Rasen jedoch nur zwei Halme. Wenn man diese Faktoren mit einbeziehe, stimme die Rechnung wieder. Eine schwache Entschuldigung. Die Medien bombardieren uns täglich mit Zahlen wie diesen. Wer etwas beziffern kann, der behauptet, es genau und objektiv zu wissen. Eine typische Zeitungsseite enthält zwischen 20 und 40 Zahleninformationen (diese Zahl habe ich objektiv ermittelt!) - Statistiken, Prozentzahlen, Steigerungen, Wahrscheinlichkeiten, und dabei sind die Tabellen im Sport- und Wirtschaftsteil noch nicht mitgerechnet. Kein Wunder, dass die meisten von uns diese Zahlenflut unkritisch schlucken.

Um den Zahlensalat scheinbar verdaulicher zu machen, greifen Journalisten und Texter gern zu Vergleichen. Manche sind allerdings schon sehr abgegriffen. Beliebte Standard-Längeneinheiten sind - in aufsteigender Reihenfolge - die Höhe des Kölner Doms, des Eiffelturms und der Zugspitze. Gewicht oder Volumen misst man oft in Eisenbahnwaggons, manchmal kombiniert mit Standard-Längenmaßen: ein Eisenbahnzug, der zweimal um die Erde reichen würde. Die Standard-Flächeneinheit ist das Saarland. Aber warum muss man die Größe eines Eisbergs, der vom antarktischen Larsen-Schelf abbricht, unbedingt mit dem Saarland vergleichen und nicht mit Hessen oder Thüringen? Und Hand aufs Herz: Wer hat schon ein Gefühl dafür, wie groß das kleinste Flächen-Bundesland ist? Jenseits des Atlantiks gibt es einen ähnlichen Standard: In den USA ist der kleinste Bundesstaat Rhode Island das Maß vieler Dinge. Der interessierte Leser erfährt dort etwa, dass der Radius eines Protons sich zur Planck-Länge verhält wie die Größe Rhode Islands zum Proton. Alles klar? Übrigens: Rhode Island ist etwa eineinhalbmal so groß wie das Saarland. Oder so groß wie 800 000 Fußballfelder.