Das Nagetier lebt in Kolonien, die Weibchen führen. Jetzt entdeckten Neurobiologen, warum diese Säuger so robust sind.

Der afrikanische Nacktmull ist eines der außergewöhnlichsten Säugetiere der Erde. Die nur 15 Zentimeter kleinen und kaum behaarten Nagetiere leben eng gedrängt in unterirdischen stickigen Bauten in den Halbwüsten Ostafrikas, speziell im Süden Äthiopiens, in Kenia und Somalia. Die Kolonien leitet, ähnlich wie bei den Bienen, ein einziges fortpflanzungsfähiges Weibchen.

Schon das ist einzigartig. Kein anderes Säugetier lebt so mit seinen Verwandten zusammen. Das Erstaunlichste an diesen kleinen Tieren, die mit einer Lebenserwartung von 25 Jahren zu den Methusalems unter den Nagern zählen, ist aber: Sie kennen keinen Schmerz.

So nehmen die Nacktmulle (Heterocephalus glaber), wie der Schmerzforscher Prof. Thomas Park von der University of Illinois (Chicago) zeigte, Stiche oder Hitze zwar wahr, aber ihr Gehirn bewertet das nicht als schmerzhaft. Und auch Säure, die im Normalfall starke, schmerzhafte Verätzungen verursacht, kann ihnen nichts anhaben. Das wiesen jetzt Park und der Berliner Schmerzforscher Prof. Gary R. Lewin vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) nach. "Das ist für Wirbeltiere absolut einzigartig", betont der Berliner Neurobiologe und ergänzt: Diese Tiere lässt auch das Capsaicin in Chilipfeffer, das normalerweise auf der Haut brennende Schmerzen auslöst, kalt.

Stichwunden schmerzen die Nacktmulle nicht, weil ihrer Haut die Substanz P fehlt. Dieses aus elf Aminosäuren bestehende Molekül ist an der Schmerzwahrnehmung beteiligt. Doch das erklärt nicht, warum sie auch Säure und Chilipfeffer tolerieren. Denn sie verfügen, wie alle Wirbeltiere, über Schmerzfühler. Diese Rezeptoren, deren Nervenendigungen in der Haut liegen, nehmen gefährliche Reize aus der Umwelt auf und leiten die Botschaft an das Gehirn weiter.

Doch bei den Nacktmullen läuft das alles ganz anders, stellten die beiden Schmerzforscher fest. Die Nacktmulle sind die einzigen Wirbeltiere, bei denen die Schmerzfühler (Nozireptoren) bei Kontakt mit Säure gar nicht aktiv werden: Die Nager können also die Säurereizungen gar nicht wahrnehmen. Die Erklärung, wieso Chilipfeffer sie nicht zusammenzucken lässt, mutet noch skurriler an: Denn die Schmerzrezeptoren springen sehr wohl an - doch im Gehirn werden andere Hirnregionen aktiviert als bei "normalen" Säugetieren. Die Neurobiologen vermuten daher, dass die Information "Schmerz" einfach ins Leere läuft.

Dass die Nacktmulle so schmerzunempfindlich sind, führen die Forscher auf die Anpassungen an ihre extremen Lebensbedingungen zurück. Der hohe Kohlendioxidgehalt in den Höhlen, in denen Menschen binnen kurzer Zeit ersticken würden, würde sonst zu einer Daueraktivierung der Schmerzsensoren führen. Deshalb sei dieser sonst so überlebenswichtige Mechanismus im Verlauf der Evolution stillgelegt worden. Das sichert das Überleben dieser Extremisten.

Jetzt wollen die beiden Neurobiologen die molekularen und zellulären Mechanismen für die Schmerzunempfindlichkeit erforschen. Sie hoffen, dadurch auch Einblick in die "normale" Schmerzwahrnehmung von Säugetieren und damit des Menschen zu gewinnen.