Es wäre eine Sensation, sollte diese Hoffnung sich erfüllen: wenn sich der Stoff namens Cordaneurin tatsächlich als ein Mittel entpuppt, das durchtrennte Nerven im Rückenmark wieder wachsen lässt. Denn dann gäbe es erstmals eine Therapie für querschnittsgelähmte Menschen. An dem Projekt arbeitet ein Düsseldorfer Forschungsteam unter Leitung des Neurobiologen Prof. Hans Werner Müller.

Die Wissenschaftler haben die Wirkung dieser Substanz bisher an Ratten getestet. Sie spritzten ihnen den Stoff gezielt an die verletzten Nervenfasern. "Ein Teil wächst danach wieder zusammen", sagte Müller dem Abendblatt. Den Ablauf erklärt er so: Nach einer Verletzung bilde sich eine Heilungsnarbe. Der getestete Wirkstoff behindere den dafür verantwortlichen Wachstumshemmstoff, sodass neue Nervenfasern durch die zuvor "verbotene Zone" wachsen.

Bei den Versuchstieren hätten sich daraufhin "funktionelle Verbesserungen" eingestellt, erläutert Müller. Diese seien abhängig von der Art der Verletzung, aber auch vom Alter der Tiere. Bei jüngeren Exemplaren sei ein besseres Wachstum zu beobachten. Der Wissenschaftler der Düsseldorfer Heine-Universität hatte bereits vor sechs Jahren eine Firma gegründet, um aus der Grundlagenforschung patentreife Substanzen zu entwickeln.

Der nächste Schritt: Aus dem vielversprechenden Wirkstoff soll jetzt ein Medikament entwickelt werden, damit die erste Phase einer umfangreichen klinischen Prüfung auch bei Menschen beginnen kann. Dies sei, so Müller, in etwa zwei Jahren zu erwarten.

Allein in den Industriestaaten erleiden jährlich etwa 40 000 Menschen akute Verletzungen des Rückenmarks. Ebenso viele erkranken an Rückenmark-Tumoren, deren Folgen zu Querschnittslähmungen führen. Eine weitere Einsatzmöglichkeit des Wirkstoffs, wenn er die in ihn gesetzten Hoffnungen erfüllt, wären chronische Rückenmarkverletzungen oder Bandscheibenvorfälle. Die besten Aussichten hätten wahrscheinlich Patienten, die innerhalb weniger Tage nach ihrer Verletzung mit dem Mittel behandelt würden. Aber auch Menschen, die schon längere Zeit querschnittsgelähmt sind, hätten Chancen auf eine erfolgreiche Therapie, glaubt Müller.