Warum das Abschneiden der Krawatte an Weiberfastnacht nichts mit Kastrationsfantasien zu tun hat. Woher die Ausrufe Alaaf und Helau kommen. Und was der Sinn des Karnevals ist.

Köln/Bonn. Ein Mann, der Weiberfastnacht mit Krawatte auf die Straße geht, läuft vielerorts traditionsgemäß Gefahr, dass sein gutes Stück einer hinterhältigen Schnippelattacke übermütiger Frauen zum Opfer fällt. Küchenpsychologen behaupten, dass die Schlipsjägerinnen mit diesem Brauch ihre latenten Kastrationsfantasien ausleben. "Alles Quatsch", kommentiert der Bonner Karnevalsforscher Wolfgang Herborn. Der Schlips sei früher ein Statussymbol gewesen. "Der beherzte Griff an die Kehle des Vorgesetzten sollte beim Betriebskarneval wenigstens für einen Tag die Rangunterschiede zwischen Chef und Angestellten aufheben."

Vor Beginn der Fastenzeit wurden die Speisekammern geleert

Auch sonst räumt der Kulturhistoriker mit verbreiteten Klischees auf: "Karneval hat nichts mit den Winteraustreibungs- oder Fruchtbarkeitsriten der Römer oder Germanen zu tun, sondern er hat eindeutig christliche Wurzeln." Vor Beginn der christlichen Fastenzeit mussten Fleisch, ursprünglich auch Eier und Milchprodukte, aus den Speisekammern verschwinden. Die Hühner mussten geschlachtet werden, um die Eierproduktion möglichst gering zu halten. Auf diesen Zusammenhang verweist auch der Begriff "Fastnacht" (die Nacht vor Beginn der Fastenzeit). "Außerdem liegt der Karnevals-Termin nicht fest, sondern richtet sich schon seit dem Mittelalter nach dem Beginn der vorösterlichen Fastenzeit."

Es gab zwar auch öffentliche Umzüge, zum Beispiel von Handwerksgesellen, hauptsächlich war Karneval aber ein privates Fest. Die unwichtigeren Karnevals-tage waren Weiberfastnacht und Rosenmontag, der früher "kleiner Fastabend" genannt wurde. Die wichtigste Rolle spielte der Faschingsdienstag: Familien und Freunde besuchten sich, aßen und tranken zusammen reichlich und waren jedes Mal, wie der Kölner Bürger Hermann Weinsberg im 16. Jahrhundert festhielt, "frolich gewest".

Zum ersten Mal erwähnt wird beispielsweise der Kölner Karneval 1341. Auch Maskierungen schienen damals schon üblich zu sein. Die Obrigkeit sah das aber nicht gerne: Im Februar 1431 erließ der Kölner Rat ein öffentliches "Vermummungsverbot" - vor allem wohl aus Angst vor Verbrechen. Augenscheinlich ließen sich die Kölner ihren Spaß aber nicht verderben. Das Verbot musste in den Folgejahren immer wieder aufs Neue ausgesprochen werden, selbst nachdem sich Anfang des 17. Jahrhunderts unter dem Einfluss der Gegenreformation die karnevalsfeindliche Stimmung verstärkte. "Vor allem der Brauch, sich als Mönch oder Nonne zu verkleiden, erregte Anstoß", berichtet Herborn. 1601 erließ der Rat der Stadt Köln dann ein grundsätzliches Verkleidungsverbot, das auch für Privatfeiern galt. "Helfen tat es nicht, obwohl die Stadt Denunzianten nicht nur Diskretion zusicherte, sondern sogar eine Belohnung versprach."

In vielen Regionen schallen die Schlachtrufe "Alaaf" oder "Helau" zu Karneval durch die Straßen, doch kaum ein Jeck weiß, woher diese Freudenschreie oder auch das Wort "Karneval" stammen oder was sie bedeuten. "Zum ersten Mal tauchte ,al-aff` (,alles ab`) im 15. Jahrhundert als Trinkspruch auf Bierkrügen auf", erläutert Walter Hoffmann, Landeskundler an der Universität Bonn. Das bedeute soviel wie "Nichts geht über einen guten Trunk". Die Bezeichnung taucht im 17. Jahrhundert wieder in einem Brief des Kurkölnischen Rates Wolf Metternich an den Kölner Kurfürst Franz Wilhelm von Wartburg auf, der zu dieser Zeit zur Gamsjagd in Bayern war. Darin fordert der Absender, von Wartburg solle doch wieder an "sein geliebtes Land al-aff" denken.

Alaaf - Nichts geht über die Karnevalsprinzessin

Im 18. Jahrhundert erscheint "al-aff" in Zusammenhang mit einem Lotterie-Gewinn. "Das hieß da soviel wie ,Nichts geht über einen Sechser im Lotto!` und war als Glückwunsch gedacht", erklärt Hoffmann. Nach wiederholten Änderungen von Akzentuierung und Betonung lässt die Narrenschar heute mit "Alaaf" vor allem hochleben: "Nichts geht über" die Heimat, die Karnevalsprinzessin oder den Büttenredner.

Der in vielen Gegenden übliche närrische Jubelruf "Helau" etablierte sich als Karnevalsruf in Düsseldorf vermutlich in den 1830er-Jahren, in Mainz hundert Jahre später. Über seinen Ursprung ist viel spekuliert worden. Manche Forscher führen "Helau" auf den kirchlichen Jubelruf "Halleluja", andere auf das englische "hello" zurück. Die Erklärung, das Wort stamme von "hellblau" oder "halbblau" - im Gegensatz zu dem Zustand "ganz blau" -, dürfte ins Reich der Kalauer gehören. Auch der Ursprung des Wortes "Karneval" ist nicht eindeutig geklärt. Belegt ist es bereits seit dem 17. Jahrhundert. "Der Karneval könnte von dem italienischen Wort ,carne vale` abstammen, was in etwa ,Fleisch, lebe wohl` heißt und an die bevorstehende Fastenzeit erinnert", sagt der Bonner Volkskundler Gunther Hirschfelder. Wahrscheinlicher sei jedoch, dass das Wort noch ältere Wurzeln hat. "Es könnte auf den lateinischen Begriff ,carrus navalis` zurückgehen, ein Schiffskarren, der bei feierlichen Umzügen mitgeführt wurde", vermutet Hirschfelder. Im gesamten Römischen Reich, auch den germanischen Provinzen, spielte dieser kultische Schiffskarren eine zentrale Rolle. Er war ein kunstvoll gezimmertes und grellbunt bemaltes Schiff, das auf einem Wagen gezogen wurde. Darin standen Figuren der Göttin Isis, die ägyptische Göttin der Fruchtbarkeit und des Todes, und die Göttin Nerthus, die germanische Fruchtbarkeitsgöttin - also fast wie die heutigen Karnevalswagen.