Gütesiegel sollen Missstände wie Kinderarbeit oder Zwangsbeschäftigung ausschließen. Erst 50 deutsche Kommunen haben sich verpflichtet, beim Einkauf darauf zu achten.

Um die hundert, meist junge Frauen sitzen in langen Reihen vor ihren Nähmaschinen. Sie schuften oft 14 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, weil ihnen der niedrige Lohn ohne die ebenso spärlich bezahlten Überstunden kein Auskommen bietet. Oftmals sind die Arbeitsbedingungen menschenunwürdig: Die einzige Tür zum Nähsaal wird nach Schichtbeginn abgeschlossen, Toilettengänge sind nur eingeschränkt möglich, es herrschen Hitze, Staub und schummriges Kunstlicht vor. Im asiatischen Raum gibt es Tausende von Fabriken, auf die diese Beschreibung zutrifft. Die Arbeiterinnen produzieren Textilien für die westliche Welt, für Kunden in Deutschland und anderswo.

Der globale Textilhandel benachteilige nach wie vor die Menschen in Entwicklungsländern, sagt Hans-Joachim Preuß, Generalsekretär der Deutschen Welthungerhilfe, und kritisiert auch die deutschen Verbraucher, die trotz Wohlstands am liebsten "zum billigsten Produkt greifen".

Immerhin gibt es auch einen gegenläufigen Zeitgeist. Genuss und Engagement passen zusammen - dieser Lebensstil schwappt aus den USA nach Europa. Popstars wie Bono, Sänger der Gruppe U2, trommeln für "fair" produzierte Textilien - fair in Bezug auf den Umgang mit den Arbeitern und mit der Umwelt. Doch generell fehlt es an verbindlichen politischen Rahmenbedingungen.

"Textilien mit speziellen Labels, die sie als ökologisch und sozialverträglich hergestellt ausweisen, werden immer nur von wenigen Prozent der Verbraucher gekauft. Im Massenmarkt müssen die Standards angehoben werden, die ausbeuterischen Bedingungen abgeschafft werden", sagt Sven Giegold, Mitbegründer der Organisation Attac, die die Globalisierung kritisch begleitet. Bislang hätten die internationalen Handelsrunden immer nur weitere Liberalisierungen zum Ziel, nicht aber die Etablierung von ökologischen und sozialen Regeln, so Giegold. "Um dies zu erreichen, müssen sich möglichst viele Leute politisch engagieren."

Immerhin seien Sozialstandards in der Branche ein Thema; zunehmend mehr Unternehmen achteten auf die Bedingungen, unter denen ihre Produkte hergestellt würden, betont Dr. Johannes Merck, Direktor für den Bereich "Corporate Responsibility" (Unternehmensverantwortung) der Otto-Gruppe. "Inzwischen wird darüber viel intensiver gesprochen als über Öko-Standards. Arbeitsbedingungen sind ein skandalträchtiges Thema, sie dominieren die Diskussion." Gleichzeitig bestehe ein enormer Preisdruck, der auf die gesamte Textilkette - von der Rohstoffgewinnung bis zum Handel - wirke, so Merck: "In den vergangenen 20 Jahren ist der durchschnittliche Verkaufspreis nicht einmal um die Inflationsrate gestiegen."

Ein zunehmendes öffentliches Interesse an ethisch makellosen Textilien registriert auch Christiane Schnura. Sie koordiniert seit fünf Jahren die Arbeit der "Kampagne für saubere Kleidung", zu der sich innerhalb der internationalen "CleanClothesCampaign" (CCC) 18 deutsche Menschenrechts- und Entwicklungsorganisationen zusammengeschlossen haben. "Wir bekommen vermehrt Anrufe von Menschen, die nach Einkaufsquellen für fair produzierte Kleidung fragen. Aber das Angebot ist noch sehr klein. Und junge Leute oder Hartz-IV-Empfänger können sich teurere Kleidung kaum leisten."

Dabei müssten gerechte Arbeiterlöhne die Endpreise nicht steigen lassen, betont Schnura und verweist auf üppige Gewinne beispielsweise der Sportartikelindustrie: "Bei einem 100 Euro teuren Markenturnschuh kassiert der Handel etwa 50 Euro, ein Drittel geht an die Marke. Der Lohnkostenanteil für diejenigen, die diese Schuhe gefertigt haben, liegt bei 40, vielleicht 80 Cent. Es wäre wirtschaftlich kein Problem, die Löhne zu verdoppeln." CCC kämpfe für "living wages", für faire Löhne, die es den Arbeitern ermöglichen, ihren Lebensstandard allmählich zu steigern. Sie sollen neben ausreichender Ernährung und Unterkunft auch Bildung und medizinische Versorgung bezahlbar machen.

Leider gebe es bislang weder eine verbindliche Definition des "living wage" noch allgemein anerkannte Regeln für Umwelt- und Sozialstandards, bedauert Johannes Merck.

Otto und einige andere große deutsche Textilhandelshäuser hätten deshalb eigene Kriterien entwickelt. Zu ihnen gehöre das völkerrechtliche Mindestmaß für menschenwürdige Arbeitsbedingungen, die vier Kernarbeitsnormen des internationalen Gewerkschaftsverbandes ILO (International Labour Organization): keine Kinderarbeit, keine Form von Zwangs- und Pflichtarbeit, Recht zur Organisation in unabhängigen Gewerkschaften und Beseitigung der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf.

Selbst diese grundsätzlichen Regeln, die auch völkerrechtlich bindend seien, würden oftmals nicht eingehalten, bemängelt Christiane Schnura. "Selbst im öffentlichen Beschaffungswesen werden sie beim Einkauf von Dienstkleidung kaum eingefordert", kritisiert sie. "In Nordrhein-Westfalen haben wir zusammen mit dem Frauen- und Familienministerium und der Agentur agenda-transfer gerade eine Initiative gestartet, um dies zu ändern."

Bundesweit mehr als 50 Kommunen und Gemeinden hätten bislang beschlossen, keine Produkte mehr zu kaufen, bei denen die ILO-Normen nicht eingehalten werden, so Schnura.

Hamburg gehört nicht dazu.

Informationen im Internet:

www.sauberekleidung.de

www.ilo.org, Button "local information in german"

www.cottonmadeinafrica.org

Produktübersicht: www.ecotopten.de