Archäologie: Hamburger Forscher bauen Spielplatz in Lübeck. Auf dem Bauspielplatz Roter Hahn entstand mit wissenschaftlicher Unterstützung ein ganzes Wikingerdorf, in dem Kinder und Jugendliche täglich die Vergangenheit erkunden.

Im Innern des Langhauses sieht man die Hand vor Augen nicht. Der Geruch von erloschenem Feuer und feuchter Erde liegt in der Luft, von getrocknetem Stroh und geschlagenem Holz. Lampen und Lichtschalter gibt es hier nicht, denn das Haus ist schon über 800 Jahre alt. "Damals lebten Wikinger in diesen Häusern, die ihren Namen der langgezogenen Bauweise mit dem spitzen Dach verdanken", verrät Archäologie-Studentin Christiane Stapelfeld von der Uni Hamburg. Einst standen die Häuser an der Nordseeküste, in Tönning zum Beispiel. Die Wikinger lebten darin unter einem Dach mit ihren Tieren, deren Körperwärme an kalten Tagen die Heizung ersetzte.

Heute steht das Langhaus im Lübecker Stadtteil Kücknitz, auf dem Bauspielplatz Roter Hahn. Und da steht nicht mehr nur das Langhaus, sondern inzwischen ein ganzes Wikingerdorf. "Das sind zwar keine Originale", berichtet Christiane Stapelfeld, "aber ungefähr so muß es einmal ausgesehen haben." Die Pläne für den Spielplatz kommen von Dr. Frank Andraschko, Archäologe an der Uni Hamburg. Gemeinsam mit seinen Studenten ist Andraschko in zahlreichen Projekten in ganz Norddeutschland engagiert.

Die Idee aber hatte Jörn Puhle. 1998 gründeten er und ein Freund einen Verein zum Bau des Spielplatzes. "Damals sagte uns jeder: Tolle Idee! Aber Geld gibt's dafür nicht", erzählt Puhle. Doch der gelernte Erzieher und Tischler sowie sein Mitstreiter nahmen die Herausforderung an und waren erfolgreich: Elf Monate nach der Gründung ihres Vereins setzten sie zum ersten Spatenstich an. "Was wir konnten, haben wir selbst gebaut, gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen aus dem Stadtteil", erzählt Puhle stolz. Bis heute wurden dem Bauspielplatz rund 430 000 Euro an Spenden zuteil.

Aber der Weg von der Idee zum fertigen Haus ist lang: "Am Anfang steht der Befund", erzählt der Archäologe Frank Andraschko. "Aus den Forschungsergebnissen suchen wir heraus, was am besten zum jeweiligen Projekt paßt." Nachdem Andraschko und seine Studenten die Welt der Wikinger rekonstruiert hatten, entwarf ein Architekt die Baupläne. Gemeinsam mit Jörn Puhle vom Bauspielplatz haben die Wissenschaftler die Pläne dann in die Tat umgesetzt und den Forschungsbefunden Stück für Stück Leben eingehaucht.

"So etwas nennt man dann wohl Wissenstransfer", vermutet Frank Andraschko und meint damit die praktische Anwendung von Wissen, das die Uni-Forschung gesammelt hat. Wissenstransfer ist heute ein wichtiges Schlagwort in der Uni-Welt. In den Naturwissenschaften, wie zum Beispiel der Physik, ist es üblich, wenn Forschungsergebnisse verkauft und in der Praxis verwendet werden.

In der Archäologie kommt so etwas allerdings eher selten vor: "Gerade die Archäologie muß sich von ihrer Einstellung lösen, nichts mit der Wirtschaft zu tun haben zu wollen. Es ist wichtig, daß wir zeigen: Unsere Wissenschaft hat einen praktischen Nutzen, wir können Geld damit verdienen und die Gesellschaft mit unserem Wissen ein wenig besser machen", begründet Andraschko sein erfolgreiches Konzept.

Auf dem Bauspielplatz Roter Hahn erfüllen der Archäologe und seine Studenten zudem noch eine ganz besondere Mission: Der Bauspielplatz ist ein Treffpunkt für Jugendliche aus Lübeck-Kücknitz, einem sozialen Brennpunkt. "Einerseits bringen wir ihnen die Geschichte näher, andererseits ermuntern wir sie, selbst mit anzupacken und geben ihnen so Selbstvertrauen", erzählt der Archäologe.

Denn auf dem Bauspielplatz packt jeder mit an. Gemeinsam rücken die Kinder Holz, füttern die Schafe und Ziegen oder striegeln das Schleswiger Kaltblut - eine vom Aussterben bedrohte Pferde-Rasse. "Die Kinder übernehmen Verantwortung für sich selbst, ihre Mitmenschen und die Tiere. Sie lernen damit, eine Rolle in der Gesellschaft zu übernehmen", berichtet Jörn Puhle vom Bauspielplatz. Inzwischen hat er auch die Lübecker Politik und Wirtschaft von dem Projekt überzeugt. So wird ein örtliches Wohnungsunternehmen in diesem Jahr den Bau eines neuen Haupthauses mit 10 000 Euro unterstützen. "Die sagen sich auch", erzählt Puhle, "wenn ein Kind auf dem Bauspielplatz lernt, Feuer zu machen, dann zündelt es nicht heimlich im Keller. Das rechnet sich langfristig auch für den Vermieter."

Die kleinen und großen Gäste des Bauspielplatzes sind begeistert, und Jörn Puhle kann sich vor Anfragen kaum retten: "Wir haben jedes Jahr etwa 90 Schulklassen zu Gast und müssen immer mehr Anfragen ablehnen." Gerne würde er mehr anbieten, aber das Geld fehlt. Sieben Angestellte teilen sich auf dem Bauspielplatz zweieinhalb Planstellen.

Puhle und seine Mitstreiter sind Idealisten - so auch Jochen Kummerow. Der gelernte Kupferschmied ist oft auf dem Bauspielplatz anzutreffen. Inmitten der Wikinger-Kolonie hat der Pensionär eine eigene Schmiede. "Früher habe ich zu Hause im Keller geschmiedet", erinnert sich der ehrenamtliche Schmied,"aber das hat irgendwann die Nachbarn gestört." Frustrierend sei das gewesen. Darüber, daß es den Bauspielplatz gibt, ist Kummerow sehr glücklich. Auf dem Spielplatz kann er schmieden, soviel er will, und erntet dabei die Bewunderung der Kinder. Denn die staunen, wenn in der Schmiede die Flammen lodern.