Biologie: Die Tiere sollen gesammelt, gezählt und erforscht werden. Die neue Südseite der Hamburger Innenstadt ist ein Paradies für Spinnen. Uni-Wissenschaftler sind ihnen auf der Spur. Investoren finanzieren ihre Arbeit.

Wenn es in der HafenCity zwischen Elbe und Innenstadt dunkel wird, verlassen sie ihre Schlupfwinkel. Im Schein der Straßen- und Gebäudelampen bauen sie ihre Netze an Fenstern, Fassaden und Geländern und lauern auf Insekten, die durch die Nacht schwärmen: Unzählige Brückenspinnen haben den wachsenden Stadtteil auf dem brachgefallenen Gebiet des ehemaligen Freihafens für sich als Lebensraum entdeckt.

"An manchen Fassaden sind zwanzig Spinnen vor jedem Fenster", schätzt Anja Nioduschewski. Die Verhaltensbiologin arbeitet am Biozentrum Grindel der Universität Hamburg und erforscht für ihre Doktorarbeit die Spinnen in der HafenCity.

Bisher ist nur wenig über die Tiere bekannt: "Man weiß nicht einmal sicher, wie lange sie überhaupt leben." Wissenschaftler nennen die Brückenspinne Larinioides sclopetarius und zählen das achtäugige Tier zu den Radnetzspinnen. Doch anders als die meisten anderen Spinnen kommt die Brückenspinne oft in großen Kolonien mit vielen Artgenossen vor.

Gerade diese ungewöhnlich großen Ansammlungen erregen die Neugier von Wissenschaftlern - und den Ekel und Ärger von Eigentümern, Mietern, Bewohnern und Angestellten im neuen Quartier neben der historischen Speicherstadt. Klebrige Netze, tote Insekten und heller Spinnenkot verunreinigen die modernen Fassaden aus Glas, Backstein und Metall. "Und wenn die Leute die Fenster öffnen, haben sie die Spinnen im Zimmer", sagt Anja Nioduschewski. Regelmäßige Reinigung oder Insektengift helfen da auf Dauer auch nicht weiter. Die Spinnen kommen immer wieder.

Deshalb haben Investoren der HafenCity bei der Universität Hamburg um wissenschaftliche Unterstützung gebeten. Sie finanzieren die Forschungsarbeit. Im Laufe von drei Jahren soll Anja Nioduschewski die nachtaktiven Spinnen in der HafenCity untersuchen. Studenten und Wissenschaftler der Uni Hamburg werden ihr dabei helfen. Einmal im Jahr wird sie ihren Geldgebern Bericht erstatten und empfehlen, wie man der Spinnen Herr werden könnte.

Aber um die achtbeinigen Tiere gezielt zu bekämpfen, sind viele Fragen zu beantworten: Wie viele Spinnen sind es? Wie verläuft ihr Lebenszyklus? Welche Plätze bevorzugen sie, welche meiden sie? Wie verhalten sie sich gegenüber Art- und Geschlechtsgenossen? Welche Feinde oder Konkurrenten haben sie? Wie verhalten sie sich bei Wind? Echte Grundlagenforschung also.

Zunächst will Anja Nioduschewski vor Ort Tiere sammeln und sie zählen. Damit sie auch an jede Stelle einer Fassade herankommt, seilt sie sich sogar von Gebäudedächern ab. Professionelle Fassadenkletterer, die sonst Wände reinigen oder andere handwerkliche Tätigkeiten an Fassaden verrichten, haben ihr eine Einführung in das Hochseilklettern gegeben. Nachts, wenn die Spinnen unterwegs sind, geht die Biologin mit anderen Studenten auf die waghalsige Feldforschung an den Fassaden der HafenCity, um das Leben der Brückenspinnen besser zu verstehen.

"Es ist toll, daß die Geldgeber bereit sind, erst einmal ein solch grundlegendes Forschungsprojekt zu unterstützen. Das sollte Schule machen", lobt Jutta Schneider, Professorin für Verhaltensbiologie an der Universität Hamburg. Die Expertin für Spinnen hat Anja Nioduschewski für das Forschungsprojekt aus Duisburg an die Elbe geholt. Denn im Ruhrgebiet hatte die Nachwuchsforscherin bereits für ihre Examensarbeit eine Spinnenkolonie im Duisburger Innenhafen untersucht und erste Erkenntnisse gesammelt: "Die Tiere sind oft in Gewässernähe zu finden und bevorzugen felsenartige Strukturen. Wenn dann noch Licht vorhanden ist, das Insekten anlockt, haben die Spinnen ein optimales Gebiet."

Das Hamburger Stadtentwicklungsprojekt HafenCity ist geradezu ein Paradies für die Brückenspinnen. Um ihre Zahl zu verringern, sind verschiedene Wege möglich: "Man könnte die Schlupfwinkel der Spinnen verschließen", schlägt Anja Nioduschewski vor. Vielleicht könnten aber auch andere Tiere angesiedelt werden, die die Spinnen fressen. Oder bestimmte Bauweisen könnten vermieden werden, wenn sich herausstellen sollte, daß Spinnen dort bevorzugt ihre Netze bauen.

Aber gerade die Netze lassen die Forscher noch rätseln: "Die Tiere in der HafenCity heften ihre Fäden auch an Fenster. Eigentlich können Spinnen nicht auf senkrechten glatten Flächen laufen. Wie aber kommen dann die Netze an die Scheiben?" fragt Jutta Schneider. Deshalb plant sie bereits ein weiteres Forschungsprojekt, das die Arbeit von Anja Nioduschewski ergänzen soll. Gemeinsam mit Nanotechnologen aus dem Fachbereich Physik will sie dem Geheimnis der Spinnenfäden auf die Spur kommen - bevor die klebrigen Fasern den Glaspalast der geplanten Elbphilharmonie umspannen.