Raumfahrt: Eine Serie von Unfällen gefährdet den Start der “Discovery“. Am 1. Juli sollen alle Probleme behoben sein, damit die Raumfähre starten kann. An Bord ist auch der deutsche Astronaut Thomas Reiter.

Eigentlich sollte die Raumfähre "Discovery" schon Mitte Mai zur Internationalen Raumstation (ISS) geflogen und inzwischen lange wieder zurück sein. Daß die auf 13 Tage angesetzte Mission "STS-121", bei der auch der deutsche Astronaut Thomas Reiter an Bord sein soll, noch immer nicht vom Kennedy-Raumfahrtzentrum in Cape Canaveral (Florida) gestartet ist, liegt an einer Serie von Unfällen am Shuttle oder in dessen Umfeld. Wie Nasa-Sprecherin Jessica Rye jetzt mitteilte, gab es seit Beginn des Jahres nicht weniger als "23 signifikante Unfälle", bei denen "ein Arbeiter getötet und mehrere Menschen verletzt wurden". Zudem entstand Sachschaden in Millionenhöhe. Ob der nun für den 1. Juli geplante Start pünktlich stattfinden kann, ist alles andere als sicher. Bill Parson, der stellvertretende Direktor des Kennedy-Raumfahrtzentrums, sichtlich ernüchtert: "Diese Unfälle sind sehr bedrückend und zeigen, daß wir es an der notwendigen Konzentration und Sorgfalt haben fehlen lassen. Das muß sich natürlich ändern bis zum Start."

Die Zahl der Unfälle und Pannen ist schon fast unheimlich. So setzten Arbeiter im Januar das Dach der Werkhalle, in der die Space-Shuttle flugfertig gemacht werden, in Brand. Bei den Reparaturarbeiten wenig später stürzte ein Arbeiter tödlich ab. Gerade als das Dach im März wieder dicht war, geriet es aus bisher ungeklärten Ursachen ein zweites Mal in Brand.

Bei der "Discovery", einer der drei betriebsbereiten US-Raumfähren, ramponierte im Februar eine herunterfallende Arbeitslampe die Isolationsschicht in der Nähe der Spitze. Der Schaden betrug rund 100 000 Dollar (78 000 Euro). Im März rissen Techniker, die den Tank des Shuttles auf undichte Stellen prüften, aus Versehen riesige Löcher in die Schaumabdichtung der Tanks, so daß Teile davon beim Start vermutlich abgebrochen und weggeflogen wären, wenn man den Fehler nicht bei einer Kontrolle bemerkt hätte. Parson sieht das jedoch positiv. "Nach den beiden fatalen Unfällen mit der "Columbia" und der "Challenger" schauen unsere Arbeiter sehr viel genauer nach Fehlern und melden Unregelmäßigkeiten, die sie früher einfach so hätten durchgehen lassen."

Die "Discovery" war jedoch noch das Opfer weiterer mysteriöser Pannen. So rammte eine Hebebühne den Roboterarm der Raumfähre und beschädigte ihn schwer. Über den genauen Schaden wollte sich die Nasa nicht äußern, er dürfte jedoch im siebenstelligen Bereich liegen. Der Roboterarm soll auch beim kommenden Flug wieder eine wichtige Rolle bei Reparaturen und Weltraumspaziergängen spielen. Millionenschaden entstand auch, als bei einem Test ein elektrisches Modul im Laderaum zerstört wurde. Auch die beiden anderen Shuttle blieben nicht von Unfällen verschont. So beschädigte ein großes Röntgengerät einen der Antriebe der Endeavour, und bei der Raumfähre "Atlantis" mußten zwei Kühlungssysteme ersetzt werden, nachdem sie infolge massiven Überdruckes explodiert waren.

Für jede einzelne Panne wurde eine offizielle Untersuchung eingeleitet. Die Ergebnisse wurden noch nicht veröffentlicht. Joe Dyer, der Chef der Nasa-Sicherheitsabteilung, macht keinen Hehl daraus, daß er und seine Mitarbeiter "sehr besorgt sind über die zahlreichen Unfälle" und läßt wissen, daß man "keine Kompromisse eingehen werde". Grünes Licht für den Start der "Discovery" soll es demnach nur geben, wenn "alle Systeme perfekt funktionieren".

Experten sind sich darin einig, daß fast alle Nasa-Pannen der letzten Monate einzig und allein auf menschliches Versagen zurückzuführen waren.

Moshe Farjoun, der Mitautor des Buches "Organization at the Limit", eine Analyse des "Columbia"-Unglücks, bei dem sieben Astronauten starben, als der Shuttle beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre explodierte, glaubt, daß die Nasa-Arbeiter "eingerostet sind, weil sie seit Anfang 2003 nur zwei Missionen vorbereitet haben".

Früher flog die Raumfähre nicht selten sechs- oder siebenmal pro Jahr. Farjoun: "Es ist so, als ob man joggen will, wenn man lange Zeit nichts getan hat."

Der pensionierte Nasa-Beamte Robert Sieck, der verantwortlich war für eine ganze Reihe von Shuttle-Starts, glaubt. "wachsende Frustration" als eine der Ursachen für die zahlreichen Unfälle erkannt zu haben. Sieck: "Das Team gibt sich große Mühe, daß alles startklar ist und dann wird der Start plötzlich abgeblasen. Das sorgt natürlich für Frustration, die dann wiederum zu Fehlern führt."

Trotzdem ist man bei der Nasa optimistisch, daß diesmal alles klappt und es am 1. Juli wirklich heißt "take off". Charles Daniel, der dem Beraterstab angehört, der die Sicherheit der Nasa nach dem "Columbia"-Unglück im Februar 2002 unter die Lupe nahm, ist zuversichtlich, daß sich seither vieles zum Guten gewandelt hat.

Was die Unfälle dieses Jahr angeht, meint der Techniker: "Ich wäre sehr viel besorgter, wenn die Leute nicht sagen würden, daß es Pannen gegeben hat."

Den deutschen Astronauten Thomas Reiter haben die vielen Probleme nicht aus der Ruhe gebracht. Er ist zuversichtlich. Diesmal hat er nur ein "One-Way-Ticket" mit der Discovery, weil er in der Internationalen Raumstation für einen sechsmonatigen Forschungsaufenthalt abgesetzt wird.

Der Weltraumveteran weiter: "Ich freue mich schon wieder sehr auf diesen unvergleichlichen Blick auf die Erde, wenn ich aus dem Fenster des Shuttles schaue."