Bilanz: 50 Jahre GKSS - Von Monsterwellen bis zu Kunststoffen mit Gedächtnis. Zunächst befaßten sich die Forscher am Geesthachter Elbhang bei Tesperhude mit der Nutzung von Kernenergie in der Schiffahrt. Heute entwickeln sie vor allem High-Tech-Werkstoffe, machen Küstenforschung.

Als "Gesellschaft für Kernenergieverwertung in Schiffbau und Schiffahrt" (GKSS) wurde Ende April 1956 die erste deutsche Großforschungseinrichtung nach dem Krieg aus der Taufe gehoben. Der Themenbereich, der der heutigen GKSS Forschungszentrum Geesthacht GmbH ihren Namen gab, ist längst Geschichte: Die 750 Mitarbeiter betreiben hauptsächlich Material- und Küstenforschung. Heute abend feiert die GKSS zusammen mit mehr als 1000 geladenen Gästen in der Fischauktionshalle ihren 50. Geburtstag.

Gründe zum Feiern gibt es aus Sicht von Prof. Wolfgang Kaysser, Wissenschaftlicher Geschäftsführer der GKSS, genug. Die größten Erfolge des Zentrums sind für ihn Forschungen, die wirtschaftliche Innovationen hervorbrachten. Zum Beispiel die Entwicklung spezifischer Membranen auf Kunststoffbasis: Mit ihnen läßt sich Benzin aus Dämpfen zurückgewinnen, die Dialyse-Technik in Krankenhäusern verbessern und sogar Strom produzieren, mit Hilfe des osmotischen Gefälles zwischen Süß- und Salzwasser.

"Zudem haben wir die dritte Generation von Hochtemperatur-Werkstoffen entwickelt, die Titanaluminide", sagt Kaysser. Die neuartigen metallischen Leichtbauwerkstoffe eignen sich besonders für den Karosserie-, Motoren- und Turbinenbau. Noch mehr Potential hat Magnesium, es hat die geringste Dichte aller metallischen Strukturwerkstoffe - die GKSS will ihre Forschungen in der Magnesiumtechnologie 2007 im Innovationszentrum "Magic" vereinen.

Eine Spezialität des Forschungszentrums ist die regenerative Medizin, die vor allem an dem 1999 gegründeten Tochter-Standort in Teltow bei Berlin entwickelt wird. Hier entstanden unter anderem "Kunststoffe mit Gedächtnis", zum Beispiel Nahtmaterial, das sich selbst verknotet. Kaysser: "Dem Kunststoff wurde zuvor beigebracht ,du bist ein Knoten'. Nach dem Vernähen genügt eine Stimulation mit Licht oder Wärme, damit sich der Kunststoff zum Knoten formt. Derzeit entwickeln wir einen chirurgischen Faden, der seine Spannung mit der Zeit verändert."

In den Körper implantierte Spezialkunststoffe mit einer besonderen Oberfläche sollen in naher Zukunft als Wuchsflächen für (Stamm-)Zellen dienen. So könnte zum Beispiel Haut direkt am Patienten nachwachsen. Die Kunststoffe werden vom Körper abgebaut, wenn sie ihren jeweiligen "Job" erledigt haben.

Eine der größten technischen Errungenschaften der GKSS stammt aus der Anfangszeit: Die Entwicklung des Nuklearantriebs für Schiffe. 1964 war es soweit: Das Forschungsschiff "Otto Hahn" lief in Kiel vom Stapel - nach einigen Erprobungsfahrten startete 1968 die erste Fahrt mit Reaktorantrieb. Es folgten 58 Forschungsreisen und 73 Frachtfahrten. Während seiner zehnjährigen Betriebszeit legte das Schiff fast 650 000 Seemeilen (1,2 Millionen Kilometer) zurück. Doch der Betrieb war nicht wirtschaftlich, und das Schiff ging 1979 außer Betrieb.

Dagegen arbeitet der Forschungsreaktor FRG-1 noch heute. Er wurde 1958 auf dem GKSS-Gelände am Geesthang unweit des Kernkraftwerks Krümmel errichtet. Doch während das KKW gut 1300 Megawatt (MW) Leistung hat, beträgt sie beim Forschungsreaktor nur fünf MW. "Mit ihm produzieren wir Neutronen, mit denen wir Werkstoffe bestrahlen - Sie können sich das ähnlich wie Röntgen vorstellen. Die Informationen über das Innere von Materialien helfen uns zum Beispiel, kleine Risse zu entdecken und deren Ursache auszumerzen", erklärt Kaysser.

Der FRG-1 ist eines der Aushängeschilder des Forschungszentrums, das jährlich auch 250 Gastforscher aus aller Welt nutzen. Doch der Betrieb des Forschungsreaktors ist sehr teuer, er erfordert ähnliche Sicherheitsvorkehrungen wie bei einem Kernkraftwerk. Es sei absehbar, daß der Neutronenerzeuger im Laufe der kommenden zehn Jahre stillgelegt wird, prognostiziert Kaysser. Bereits heute unterhalte die GKSS Forschungsplattformen an dem leistungsfähigeren Reaktor der Technischen Universität München in Garching und am Deutschen Elektronen-Synchrotron (Desy) in Hamburg.

Mit dem Desy arbeitet die GKSS besonders intensiv zusammen, denn beide Institutionen sind Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, der 15 deutsche Forschungszentren angehören.

Seit Anfang der 90er Jahre steht der Geesthachter Forschungsreaktor unter Verdacht, womöglich die Ursache für die gehäuften Leukämie-Erkrankungen bei Kindern in der Elbmarsch zu sein. Bürgerinitiativen und atomkritische Wissenschaftler sprechen von einem Brand auf dem GKSS-Gelände, der sich im September 1986 ereignet haben soll. Damals habe das benachbarte Kernkraftwerk erhöhte Radioaktivität in der Außenluft gemessen.

"Es hat keinen Brand gegeben, und es hat hier keine Freisetzung von radioaktivem Material gegeben", entgegnet Kaysser. Die GKSS sei sehr an der Aufklärung interessiert, "wir sind immer offen mit Informationen umgegangen und tun dies immer noch".

Gerade im 1974 eingerichteten Bereich Umweltforschung hat sich die GKSS einen Namen gemacht, und immer war und ist High Tech im Einsatz: In leistungsfähigen Analyselaboren fahnden Wissenschaftler nach Schadstoffen, schwerpunktmäßig in den Mündungsbereichen von Elbe und Weser. Als mobiles Labor wurde 1983 das Forschungsschiff "Ludwig Prandtl" gebaut, das auch im Flachwasser fahren kann.

Inzwischen sind weitere "Argusaugen" im Einsatz, um die chemisch-physikalische Qualität der Küstengewässer zu beobachten. Ein Meßinstrument an Bord des Umweltsatelliten Envisat liefert eine Fülle von Daten. Eine Geesthachter Erfindung ist die "Ferry Box": Ein Kasten, der mit der Englandfähre zwischen Cuxhaven und Harwich pendelt und dabei automatisch und regelmäßig Wasserproben nimmt.

Zur GKSS-Küstenforschung gehört auch die Berechnung von Seegangshöhen inklusive der Warnung vor sogenannten Monsterwellen und die Beantwortung der Frage, welche Folgen der Klimawandel auf den Küstenraum haben wird. So helfen Berechnungen zur Sturmflutentwicklung den Wasserbauern, die Deichhöhen von morgen festzulegen.

Die Küstenforscher werden dabei sein, wenn heute in der Fischauktionshalle "Eine Zeitreise in die Zukunft" startet. Allerdings besteht die Gefahr, daß ihnen Kollegen der Verfahrenstechnik ein wenig die Show stehlen werden: Sie entwickelten ein neuartiges Schweißverfahren, das Reibrührschweißen. Dabei werden zwei Metallteile durch einen rotierenden Stift erwärmt, miteinander verrührt und so dauerhaft verbunden.

Wie gut die Technik funktioniert, wollen die Kollegen vom Institut für Werkstofforschung demonstrieren, indem sie eine weiße mit einer braunen Schokoladentafel verschweißen. Das Forschungszentrum wird sich heute abend also auch stofflich von seiner Schokoladenseite zeigen.

Tag der offenen Tür im August: Sonnabend, 26.8., auf dem Gelände, Max-Planck-Straße 1 (Abzweig an der B 5 Richtung Lauenburg)