Pflanzen: Das Geheimnis liegt in einem von 25 000 Genen. Blumen haben eine innere Uhr. Diese haben Molekularbiologen jetzt entschlüsselt und damit auch den Mechanismus, der Pflanzen den richtigen Zeitpunkt zum Blühen verrät.

Die meisten botanischen Frühlingsboten sind noch im "Winterschlaf". Aber woher wissen Pflanzen, wann es Zeit zum Blühen ist? Diesem Geheimnis sind Biologen seit langem auf der Spur. Mit den Methoden der Molekularbiologie entschlüsseln sie allmählich, wie die innere Uhr der Pflanzen funktioniert.

Wichtige Wecksignale für im Boden schlummernde Gewächse sind Licht und Temperatur. Wenn die Sonne im Frühling kräftiger scheint, dringt ihre Strahlung auch in die oberste Bodenschicht. Zusammen mit steigenden Temperaturen ist das für Zwiebeln und andere unterirdische Pflanzenteile ein Zeichen dafür, daß die Wachstumszeit beginnt. Allerdings fängt nicht jedes Gewächs, das seine Blätter aus dem Boden geschoben hat, gleich an zu blühen. Vielmehr beschränken die meisten Pflanzenarten ihre Blüte auf eine bestimmte Zeit im Jahr.

"Das Blühen einzuleiten ist eine der wichtigsten Entscheidungen, die Pflanzen treffen müssen", sagt Philip Wigge vom Pflanzenforschungszentrum John Innes Centre im britischen Norwich. Eine Fehlentscheidung kann den Fortpflanzungserfolg für die ganze Saison gefährden. Sind Frühlingsblumen und Obstbäume zu früh dran, zerstört vielleicht der Frost die empfindlichen Blüten. Warten sie zu lange, ist die Konkurrenz anderer Arten womöglich schneller und verschafft sich dadurch einen Vorteil.

Außerdem gilt es, sich mit den eigenen Artgenossen abzustimmen. Schließlich müssen die Blüten eines Kirschbaums mit den Pollen eines anderen Kirschbaums bestäubt werden. Irgendwie müssen Pflanzen also bestimmen, in welcher Zeit des Jahres sie sich gerade befinden.

Schon in den 1930er Jahren haben Botaniker entdeckt, daß Tabakpflanzen Sommer und Winter anhand der Tageslänge unterscheiden. Später zeigte sich, daß der Wechsel von Helligkeit und Dunkelheit bei Pflanzen nicht nur die Blüte, sondern auch andere saisonabhängige Prozesse steuert: Kartoffeln etwa erkennen, wann sie Knollen bilden müssen, Obstbäume merken, wann es Zeit ist, ihre Knospen in die Winterruhe zu schicken. Rasch war klar, daß die Pflanzen Lichtunterschiede mit ihren Blättern wahrnehmen. Wie das aber funktioniert und wie die Pflanze diese Information in entsprechende Reaktionen umsetzt, konnte niemand recht erklären. Nun haben Molekularbiologen damit begonnen, die Gene und Proteine zu analysieren, die an diesem Prozeß beteiligt sind.

Wissenschaftler um George Coupland vom Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung in Köln etwa ziehen in ihren Labors zahllose Exemplare der Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) heran. Dieses unscheinbare Gewächs mit dem relativ einfachen Erbgut ist eines der Lieblings-Forschungsobjekte von Molekularbiologen. Normalerweise blüht die Pflanze im Frühling, wenn die Tage länger werden. Doch mit einem einfachen Trick kann man sie daran hindern: Die Kölner Forscher brauchten nur eines der etwa 25 000 Arabidopsis-Gene auszuschalten: Ohne dieses Gen namens "Constans" kann die Pflanze nicht mehr zwischen langen und kurzen Tagen unterscheiden und bildet keine Blüten.

Im Normalfall schaltet die Pflanze das Gen jeden Tag etwa zwölf Stunden nach Tagesanbruch ein. Die Zellen beginnen daraufhin mit der Produktion des zugehörigen Proteins, die bis zum nächsten Morgen läuft. Das frisch gebildete Eiweiß wird allerdings rasch wieder abgebaut, wenn es nicht von zwei lichtempfindlichen Molekülen (Cryptochrom und Phytochrom A) geschützt wird. Solange blaues und dunkelrotes Licht auf diese "inneren Augen" der Zelle fällt, sind die beiden Beschützer aktiv. Sobald es aber dunkel wird, setzen die Abbauprozesse ein. Wenn es zwölf Stunden nach Tagesanbruch schon wieder Nacht ist, bleibt kein Constans-Protein in der Zelle zurück. An längeren Tagen aber reichert es sich an. Das ist für die Pflanze das Signal, mit dem Blühen anzufangen.

Doch noch steckt die Information in den Blättern. Wirken muß sie aber an den Enden der Zweige oder Stengel, wo die Blüten entstehen. "Seit Jahrzehnten rätseln Biologen, wie das Signal dorthin kommt", sagt Detlef Weigel vom Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen. Er und seine Kollegen haben kürzlich mit Philip Wigge vom John Innes Centre einen vielversprechenden Kandidaten für den Botenstoff entdeckt: ein Protein, dessen Bauanleitung in einem Gen namens "Flowering Locus T" (FT) steckt. Sobald die Ackerschmalwand das Signal zum Blühen bekommt, aktiviert sie in ihren Blättern dieses Gen.

Das daraufhin hergestellte FT-Protein wirkt an den Spitzen von Ästen oder Stengeln. Dort bindet es sich an ein zweites Protein namens FD. Beide zusammen bewirken dann, daß sich unspezialisierte Stammzellen zu Blüten entwickeln. Wie aber kommt das FT-Protein an die Sproßspitzen? Die Antwort liefern Spezialisten der Schwedischen Universität für Agrarwissenschaften in Ume: Sie entdeckten, daß eine Abschrift des FT-Gens von den Blättern an die richtige Stelle wandert.

"Wir haben das FT-Gen auch in anderen Pflanzen wie Pappeln oder Reis gefunden", sagt Detlef Weigel. Die Tübinger Forscher vermuten, daß die Blütezeit bei vielen Arten ähnlich gesteuert wird. Weigel: "Wir hoffen, daß wir diese komplizierten Prozesse in etwa zehn Jahren genau verstanden haben." Dann könne man vielleicht sogar an den Genen ablesen, ob es sich um eine früh oder eine spät blühende Variante der gleichen Pflanzenart handelt.

Das könnte bei der Züchtung von Nutzpflanzen helfen, damit diese sich auch außerhalb ihrer bisherigen Verbreitungsgebiete anbauen lassen. Mais zum Beispiel stammt aus Mittelamerika und findet sich dank langer Züchtungsbemühungen inzwischen auch mit den Lichtverhältnissen weiter im Norden ab. In Deutschland gedeiht er gerade noch, weiter nördlich jedoch nicht: Dort kann die Pflanze ihre innere Uhr nicht mehr mit der Tageslänge in Übereinstimmung bringen - sie blüht gar nicht oder zu spät.