Verbraucherschutz: Mehr Kontrolle für Schadstoffe. Ein Großteil der 100 000 auf dem Markt befindlichen Chemikalien soll auf ihre Risiken getestet werden. Heute berät der Ministerrat die neue EU-Verordnung “Reach“.

Eine ungewöhnliche Allianz: Tierschützer und Vertreter der Chemieindustrie ziehen an einem Strang, wenn es um die geplante Chemikalien-Verordnung Reach der EU geht. Beide Parteien kritisieren ein starkes Anwachsen der Tierversuche, die eine aus ethischen, die andere aus Kostengründen. Heute berät der EU-Ministerrat die geplante Verordnung, die das europäische Chemikalienrecht neu ausrichtet und nach Expertenaussagen die kommenden 20 Jahre prägen wird.

Schon das "Weißbuch EU-Chemikalienpolitik", das die EU-Kommission im Jahr 2001 vorlegte, zeigte eine neue Sichtweise auf die Chemie: Orientierte man sich zuvor eher an "Schwarzbüchern", listete also ausdrücklich gefährliche oder verbotene Stoffe auf, so geht es nun darum, langfristig nur ungefährliche Stoffe zuzulassen, die bildhaft ins "Weißbuch" kommen. Und das soll nicht nur für neuere, seit 1981 auf den Markt eingeführte synthetische Substanzen, sondern auch für sogenannte Altstoffe gelten. Sie machen geschätzte 100 000 Industriechemikalien aus - eine Herkulesaufgabe.

Sie spiegelt eine zweite Entwicklung wider: Die menschliche Gesundheit wird kaum noch durch Schadstoffe aus Schornsteinen oder Abflußrohren attackiert, sondern vielmehr durch allgegenwärtige Allerweltschemikalien: Flammschutzmittel in Elektronikgeräten und Polstermöbeln, Weichmacher in Kunststoffen, Duftstoffe wie die künstlichen Moschusverbindungen, Lösemittel wie Formaldehyd und Benzol, Fluorchemikalien in Antihaftbeschichtungen, Teppichen oder Möbeln und vieles mehr.

Reach steht für die Registrierung, Evaluierung (Bewertung) und Autorisierung (Zulassung) von Chemikalien. Dafür soll eine neue EU-Behörde in Helsinki geschaffen werden. Das komplizierte Regelwerk ersetzt etwa 40 zum Teil widersprüchliche Einzelgesetze; sein Entwurf ist 1300 Seiten stark. Die erste Version präsentierte die EU-Kommission im Oktober 2003. Er begrenzte bereits die Zahl der zu prüfenden Altchemikalien auf 30 000 Substanzen - all jene Stoffe, von denen mehr als eine Tonne pro Jahr hergestellt wird.

Seit dem ersten Entwurf gibt es ein zähes Ringen zwischen der in Deutschland starken Chemieindustrie, den Politikern, Verbraucher- und Umweltverbänden. Der am 17. November vom EU-Parlament gebilligte Gesetzesentwurf hat die Prüfpflichten weiter eingeschränkt. Für die knapp 20 000 Substanzen mit einer Jahresproduktionsmenge zwischen einer und zehn Tonnen gelten geringere Sicherheitsanforderungen, so daß das recht strenge Registrierungsverfahren wohl "nur" auf etwa 12 000 Stoffe angewendet werden wird.

Die Umweltverbände BUND und Greenpeace kritisieren die Entwicklung als Kniefall der EU vor der Industrie, an dem deutsche Politiker einen hohen Anteil haben. "Bis heute wurden die meisten Chemikalien kaum auf ihre Risiken getestet. Reach soll diesen unhaltbaren Zustand beenden und darf deshalb nicht weiter abgeschwächt werden", warnt auch Prof. Heyo Eckel, Vorsitzender des Ausschusses "Gesundheit und Umwelt" der Bundesärztekammer, und ergänzt: "Auch in kleinen Mengen hergestellte Stoffe können ein hohes Gesundheitsrisiko darstellen."

Auch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) sieht Defizite im Verbraucherschutz, die dringend beseitigt werden müssen. Es fehle eine systematische Erfassung und Dokumentation aller verfügbaren Informationen zu den am Markt befindlichen Chemikalien. Und daß Stoffe, von denen weniger als eine Tonne pro Jahr hergestellt werden, generell von der Informationspflicht ausgenommen sind, sei wissenschaftlich nicht zu begründen.

Grundsätzlich begrüßt das BfR das Gesetzesprojekt, da dadurch "die Belastung der Verbraucher durch Chemiekalien und Chemieprodukte immer mehr Beachtung findet". Dagegen haben auch Tierschützer nichts einzuwenden - wenn die notwendigen Tests ohne Tierversuche durchgeführt werden. Nach Angaben des BfR werden für Reach voraussichtlich mehrere Millionen Tiere sterben müssen. Das Bundesinstitut spricht sich für tierversuchsfreie Methoden, zum Beispiel an Zellkulturen, aus und fordert: "Reach muß als Chance, aber auch als Verpflichtung für einen umfassenden Einsatz von Alternativmethoden zu Tierversuchen begriffen werden."

Tatsächlich hat das EU-Parlament am 17. November den Tierschutz gestärkt: So muß die Industrie vorhandene Daten austauschen, um doppelte Tierversuche zu vermeiden. Ein Teil der Registrierungsgebühren für eine Chemikalie soll in die Erforschung von alternativen Testmethoden fließen. Und Kosmetika sollen von Reach ausgenommen werden, um das dort bereits beschlossene Tierversuchsverbot nicht zu gefährden.

Während manche Tierschützer den erreichten Kompromiß begrüßen, bleibt die Chemieindustrie bei ihrer Kritik, sieht sogar Investitionen gefährdet. Womöglich werden die EU-Minister ihr heute noch weiter entgegenkommen. Dabei dürfte Deutschland eine treibende Kraft sein. Denn CDU und SPD haben im Koalitionsvertrag vereinbart, daß die Herstellung von Chemikalien durch Reach nicht verteuert werden dürfe.

Reach im Internet www.reach-info.de