Technologie: Die Erforschung der kleinsten Teilchen bietet ungeahnte Möglichkeiten wie die Entwicklung neuer Materialien. Welche Risiken birgt diese Miniaturwelt? Darüber diskutierten Experten in Berlin.

Technologische Entwicklungen in der Miniaturwelt der Nanoteilchen sind ein Schlüssel zu neuartigen Werk- und Baustoffen, zu schillernden Farben, zu zielgenau wirkenden Medikamenten und vielem mehr. "Wir können ganz neue Funktionen und Effekte erreichen", betonte Dr. Frank von Buch von der Volkswagen AG auf einer Fachtagung in Berlin. Doch die fast unbegreiflichen Möglichkeiten, die diese Technik bietet, werfen auch Fragen nach unbekannten Risiken auf. Diese würden bislang nicht ausreichend erforscht, betonte Prof. Paul Borm, Toxikologe an der Zuyd University Heerlen (Niederlande) und der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Unter dem Titel "Nanotechnologie - kleine große Zukunft" diskutierten kürzlich etwa 100 Fachleute, vornehmlich aus Industrie und Institutionen des Bundes, die Chancen und Risiken. Die Technologie arbeitet im Größenbereich von einem bis 100 Nanometern. Ein Nanometer ist ein 10-9 Meter, also ein millionstel Millimeter und damit unvorstellbar klein. Ein Vergleich: Das deutsche Straßennetz, auf einem Fingernagel untergebracht, ergäbe in der Nanowelt immer noch eine relativ grobe Struktur.

Zwar werden Nanoteilchen, zum Beispiel Farbpigmente, seit Jahrhunderten vom Menschen genutzt. Doch erst bildgebende Instrumente wie das Rasterelektronenmikroskop ermöglichen es, die Strukturen zu betrachten, und machten sie der Forschung und Entwicklung zugänglich.

Die Chancen der Zwergenwelt ("nanos", griechisch: Zwerg) sind offensichtlich: Unter Einsatz von Nanoteilchen lassen sich etwa biegsame Keramiken herstellen oder selbstreinigende Oberflächen. Andere geben Verbundstrukturen eine unerreichte Festigkeit, bilden die Basis von hochwirksamen Medikamenten oder für Speichertechniken.

Der Nano-Weltmarkt umfaßte 2001 etwa 54 Milliarden Euro; für 2010 werden 220 Milliarden Euro vorhergesagt. Allein in Deutschland beschäftigen sich 450 Unternehmen mit Nanotechnik. "Wir brauchen sie zur Sicherung des Standortes Deutschlands durch technologische Führerschaft", betont von Buch, sieht aber auch "noch offene Fragen, darunter die sichere Handhabung entlang der Prozeßkette".

Neben der Verfahrenstechnik wird Risikoforschung gebraucht. "Die Oberfläche der Nanopartikel ist sehr groß. Dies ist ein Gefährdungspotential", urteilt der Toxikologe Borm. "Die Partikel können im Körper Eiweiße binden und sind für das Immunsystem nur schwer zu erkennen." Die Risikoforschung beschränke sich bislang auf Verbrennungsrückstände wie Feinstaub aus Dieselpartikeln und decke nur ein geringes chemisches Spektrum ab. Bei den absichtlich produzierten Nanoteilchen seien nur solche untersucht worden, die seit Jahrzehnten bekannt sind wie Titanoxid- oder Eisenoxid-Moleküle.

Borm arbeitet im medizinischen Anwendungsbereich der Nanotechnologie. "Bei einer Hüftgelenk-Beschichtung werden bei jeder Bewegung eine Million Nanopartikel freigesetzt. Dies scheint kein Problem zu sein, der Patient fühlt sich wohl. Weder hier noch für Medikamente, die mit Nanopartikeln arbeiten, können mir Mediziner erklären, wo die Partikel bleiben."

Die heutigen toxikologischen Prüfverfahren orientieren sich an der Menge - frei nach Paracelsus: Die Dosis macht das Gift. Auf der Nanoebene versage dieses Kriterium, so Borm. So würden Nanotubes, winzige Röhrchen, für ungefährlich gehalten, weil sie als Kunststoffe angesehen werden. In den USA gibt es erste Erkenntnisse, welche Nanotubes als sicher und welche als weniger sicher gelten. Borm: "Doch mit dem Amtsantritt von George W. Bush wurden alle Toxikologen aus der Forschungsförderung zur Nanotechnologie herausgeworfen."

Borm fordert eine bessere Zusammenarbeit der Disziplinen zwischen Forschern, Herstellern und Anwendern. Nur dann könne die Nanotechnologie, deren Anwendung oftmals auch von ökologischem oder gesundheitlichem Nutzen ist, auf breite gesellschaftliche Akzeptanz stoßen.

Das Publikum der Berliner Tagung verstand die versteckte Warnung. "Wenn wir sagen: ,Das Material hat vollkommen neue Eigenschaften', dann können wir auf Fragen nach möglichen Risiken nicht antworten: ,Da wird schon nichts sein'", sagte Dr. Heinrich Reitz von BASF. In England werde der Risikoaspekt stärker beachtet als in Deutschland.