Durch Zufall stieß Piero Angela in einem Notizblock des italienischen Meisters auf eine verborgene Zeichnung. Es könnte ein Selbstbildnis Leonardos sein.

Papier war während der Renaissance so wertvoll, dass es oft mehrfach verwendet wurde. So schrieb Leonardo da Vinci seinen Codex über den Vogelflug in ein altes Skizzen-Heft. Fast 500 Jahre nach seinem Tod brachte der italienische Wissenschaftsjournalist Piero Angela zwischen den Zeilen des Manuskripts ein mutmaßliches Selbstporträt des Genies ans Tageslicht.

Bei den Vorbereitungen für eine Serie über die Renaissance stieß Angela in Leonardos Studie über den Vogelflug "zufällig" auf eine Rötelzeichnung unter der fein ziselierten Schrift. "Als ich die rote Nase zwischen den Zeilen sah, begriff ich sofort, dass ich das Bildnis wieder zum Vorschein bringen konnte", erzählt der Journalist, den in Italien jedes Kind kennt. Das Porträt stellt einen Mann mit hellen Augen, den für die Renaissance typischen langen Haaren und leichtem Bartwuchs dar. "Zwischen den Zeilen sticht nur die Nase hervor, und die Zeichnung ist so stark vom Text in schwarzer Tinte verdeckt, dass sie kaum beachtet wurde", berichtet Angela begeistert über seinen Fund, denn bislang gibt es nur ein einziges anerkanntes Selbstbildnis von Leonardo.

Um seine Annahme zu beweisen, ließ Angela das Bild in der Grafik-Abteilung des italienischen Fernsehens RAI digitalisieren. Wochenlang verbrachte Giovanni Stillitano damit, die schwarzen Linien der Schrift zu entfernen, die die rote Zeichnung überlagerten. Indem er die frei gewordenen Stellen mit der hellen Farbe des Untergrunds füllte, arbeitete er die Porträtzeichnung hervor. Daraufhin verband er an den Stellen, an denen sie unterbrochen waren, die Rötellinien miteinander, bis das Bild eines jungen Mannes zum Vorschein kam. Die Rekonstruktion ähnelte verblüffend dem einzigen Selbstporträt Leonardos. Die Rötelzeichnung in der Biblioteca Reale in Turin stellt ihn jedoch als alten Mann dar.

Das mutmaßliche neue Selbstbildnis stammt aus einem Codex des Jahres 1505. Wissenschaftler schätzen die darin enthaltenen Zeichnungen jedoch auf die Zeit zwischen 1482 und 1499, als Leonardo am Hof des Herzogs von Mailand, Lodovico il Moro, tätig war.

Nachdem die Zeichnung von der überlagernden Schrift befreit war, wurde das Porträt einem künstlichen Alterungsprozess unterzogen. Per digitaler Morphing-Technik wurde der jüngere mutmaßliche Leonardo des Vogelflug-Codex in einen alten Mann verwandelt. Umgekehrt verjüngten die Bildtechniker das gesicherte Selbstporträt von Leonardo aus seinen späten Jahren. Beide Tests erwiesen eine große Ähnlichkeit.

Der römische Gesichtschirurg Giuseppe Leopozzi bestätigte das Ergebnis des künstlichen Alterungsprozesses, zog aber Polizeiexperten hinzu, die die biometrischen Daten beider Bilder verglichen. "Die Übereinstimmungen lassen auf Kompatibilität schließen", heißt es in de Sprache der Spezialeinheit, die für Phantombilder zuständig ist.