Bei einem Bandscheibenvorfall scheuen Patienten oft lange Behandlungen, lassen sich lieber operieren. Dabei birgt so ein Eingriff viele Risiken.

Berlin. Eigentlich legt sich der Deutsche nur sehr ungern unters Messer. Wenn es allerdings um schmerzhafte Bandscheibenvorfälle geht, hat er meist wenig Geduld für Spritzentherapie und Rückentraining. Allein in den Jahren 2004 bis 2009 haben die Bandscheibenoperationen um 43 Prozent zugenommen. Job und Familie dulden meist keinen Verzug. Statt sich Monate bis Jahre herumzuquälen, entscheiden sich Betroffene zunehmend für eine risikobehaftete Operation - auch wenn diese nicht einmal wirkliche Vorteile bringt. Auch der zukünftige Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie, Prof. Bernd Kladny, sagt: "Langfristig sind die statistisch erfassten Ergebnisse bei Bandscheibenpatienten mit und ohne Operation gleich." Eine Operation sei oft erst notwendig, wenn etwa die Blasenfunktion gestört ist oder Lähmungen auftreten, sagten Experten beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, der zurzeit in Berlin stattfindet.

Die Diagnose von Bandscheibenvorfällen kann teilweise schwierig sein. Denn nicht jeder im Kernspintomogramm sichtbare Befund muss auch zu schweren Schmerzen führen. Wegweisend sind da schon eher die Symptome. "Missempfindungen und Taubheitsgefühle in bestimmten Körperregionen, aber auch Muskelschwäche in Armen und Beinen können auf einen Bandscheibenvorfall hindeuten. In solchen Fällen sollten Patienten ihre Beschwerden dringend beim Arzt abklären lassen", warnt Kladny. Tatsächlich sind solche neurologischen Ausfallerscheinungen ein relativ klares Kriterium für eine Operation. Ist die Blasen- oder Darmfunktion gestört, muss die OP sogar sehr schnell erfolgen - sonst droht eine bleibende Inkontinenz.

Schwerer fällt die Entscheidung bei einem deutlichen Bandscheibenvorfall, der aber nur geringe Beschwerden macht. "Ein im MRT sichtbarer Bandscheibenvorfall verleitet natürlich gerne zu einer Operation. Aber wir wissen auch, dass sich diese Vorfälle durch Schrumpfungsprozesse nach einiger Zeit wieder verkleinern", sagt Professor Norbert Haas, Leiter der Orthopädie und Unfallchirurgie der Berliner Charité. "In solchen Fällen bessern sich die Beschwerden ganz von alleine, auch ohne Therapie."

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Die Stabilität der Bandscheibe ist auch genetisch bedingt

Trotzdem entscheiden sich viele Patienten lieber für eine Operation. Denn die Alternativtherapie mit regelmäßigen Schmerzspritzen und Rückentraining kostet viel Zeit und Mühe. Bei seiner Entscheidung darf der Betroffene allerdings nicht vergessen, dass auch die sicherste Operation mit Risiken behaftet ist: Bei einem kleinen Teil der Operierten kommt es zu Infektionen, Vernarbungen oder Instabilitäten, die zu erheblichen Folgebeschwerden führen können. Und die sind dann weniger einfach zu behandeln.

Um unnötige Bandscheibenoperationen zu vermeiden, empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie (DGNC) ein Dreistufenverfahren zur Entscheidungsfindung. Zunächst untersucht der Arzt den Patienten auf Rücken- und Beinschmerzen und prüft, ob Empfindungsstörungen oder Lähmungen vorliegen. Im zweiten Schritt wird mithilfe von Computertomogramm oder Kernspinaufnahmen geklärt, ob ein Bandscheibenvorfall die Ursache für die Beschwerden ist. "In einem dritten Schritt leitet der Arzt ein Therapiekonzept ab. Dabei gilt: Rückenschmerzen allein erfordern keine OP, Lähmungen sprechen jedoch dafür. Liegt der Fall dazwischen, sollten Ärzte die Entscheidung gemeinsam mit dem Patienten treffen", sagte Prof. Jürgen Meixenberger, Vorsitzender der DGNC.

Die Abwägung einer Operation stellt sich allerdings nur bei schleichenden Nervenverletzungen, wie sie im Rahmen von Bandscheibenvorfällen auftreten. Dagegen ist bei akuten Verletzungen höchste Eile geboten. Wenn ein gebrochener Wirbelkörper auf das Rückenmark drückt, muss dieses schnellstmöglich wieder entlastet werden. "Je früher operiert wird, desto größer ist die Chance, dass sich sogar bereits bestehende neurologische Schäden zumindest teilweise wieder zurückbilden", sagt Haas.

Vorbeugende Maßnahmen zur Vermeidung von Bandscheibenvorfällen sind allerdings nur begrenzt möglich. Prof. Haas erklärt, warum auch schon junge und aktive Menschen kaputte Bandscheiben haben können: "Die Stabilität und Festigkeit der Bandscheibe ist zu einem gewissen Anteil genetisch vorgegeben." Allerdings können körperliche Aktivitäten, die mit starken Erschütterungen der Wirbelsäule einhergehen, das Risiko für einen Bandscheibenvorfall erhöhen." Gewisse Sportarten wie zum Beispiel Reiten oder Kunstturnen sollten daher von Patienten mit Rückenbeschwerden eher gemieden werden.

Doch nicht immer muss hinter den Rückenschmerzen gleich ein Bandscheibenvorfall stecken. 70 bis 85 Prozent aller Menschen bekommen irgendwann Rückenbeschwerden und leiden dann meist ihr ganzes Leben an den immer wiederkehrenden Schmerzen. "Das häufigste Rückenleiden ist der banale Rückenschmerz, für den meist keine Ursache gefunden wird. Eine genauere Abklärung ist allerdings auch gar nicht notwendig, da dieser Schmerz in der Regel von selbst wieder verschwindet", erläutert Kladny. Aus diesem Grund werden solche Rückenschmerzen in der Regel nur mit Schmerzmitteln und Entzündungshemmern therapiert.

Daneben ist besonders eines wichtig: die regelmäßige Bewegung. Denn entgegen der allgemeinen Annahme, dass man sich bei Schmerzen schonen müsse, führt Bettruhe bei unspezifischen Rückenschmerzen sogar zu einer Verschlimmerung der Beschwerden. Denn je weniger sich die Betroffenen bewegen, umso mehr Rumpf- und Rückenmuskulatur wird abgebaut. Das führt auf Dauer dazu, dass sie selbst Alltagsbelastungen nicht mehr gewachsen sind und dann immer leichter Schmerzen entwickeln.

Kladny mahnt: "Die Aufgabe der Ärzte ist es, Betroffene vor diesem Teufelskreis der Inaktivität zu schützen. Die wichtigste Maßnahme zur Vorbeugung und Therapie von Rückenschmerzen ist daher Bewegung." Dabei ist noch nicht einmal ein gezieltes Rückentraining notwendig. Ob Schwimmen oder Waldspaziergang - jede Art der Bewegung hilft, den quälenden Schmerzen vorzubeugen.