Berlin. Forscher haben die Auswirkungen für die Menschheit untersucht

Am 15. Februar rast ein Meteoroid mit unglaublicher Geschwindigkeit auf Tscheljabinsk zu. 30 Kilometer über der russischen Millionenstadt explodiert er. Die Gesteinsgeschosse und die Druckwelle hinterlassen dramatische Schäden: 7000 Gebäude in sechs Städten im Ural werden demoliert, viele arg zerstört. Zerplatzte Fensterscheiben und umherfliegende Trümmerteile verletzen gut 1500 Menschen. Nach späteren Berechnungen explodierte der Himmelskörper mit einer Energie von 500 bis 600 Kilotonnen TNT – dies entspricht dem 30- bis 40-Fachen der Hiroshima-Atombombe.

Meteoroide (Meteoriten genannt, sobald sie den Erdboden erreichen) sind Trümmer des Sonnensystems. Der Brocken war wahrscheinlich bei einer früheren Kollision im All aus einem Asteroiden unbekannter Größe herausgeschlagen worden. Bei dem Zwischenfall in Russland handelte sich um den größten bekannten Einschlag seit fast 100 Jahren. Und dennoch entging Tscheljabinsk nur knapp einer Katastrophe: Forschern zufolge hätte das Geschoss die Metropole in Schutt und Asche gelegt, wäre es etwas steiler auf die Erde gestürzt.

Die Gefahr aus dem All war lange Zeit nicht allzu ernst genommen worden. Nach der Beinahe-Katastrophe sehen die Forscher nun genauer auf die Himmelskörper, von denen Millionen durch den Weltraum schwirren – die allermeisten aber weit entfernt von der Erde. Wissenschaftler der Universität Southampton in Großbritannien haben nun untersucht, welcher Effekt von einschlagenden Asteroiden die gravierendsten Folgen, also die meisten Opfer, für die Menschen hätte. Die Studie im Journal „Geophysical Research Letters“ analysiert die Verteilung der möglichen Opfer nach sieben wahrscheinlich auftretenden Effekten: Tsunamis, fliegende Trümmer, Schockwellen, Hitze, Erdbeben, Winde und Kraterbildung.

Ergebnis: Bei Einschlägen ins Meer führen Tsunamis naturgemäß zu den meisten Opfern. Insgesamt gesehen gehe davon jedoch keine so große Gefahr aus wie von Einschlägen auf der Erde. Besonders gefährlich seien bei letzteren atmosphärische Druckwellen, die sich mit Überschallgeschwindigkeit ausbreiten, und dabei entstehende starke Winde. Sie seien für über 60 Prozent der Todesopfer bei Einschlägen von Asteroiden bis 400 Meter Durchmesser verantwortlich. Die Wellen, die durch den steigenden Druck in der Atmosphäre entstehen, und Windstöße, die die Druckunterschiede ausgleichen, könnten Menschen durch die Luft schleudern und Gebäude einstürzen lassen. Der Wind könne die Geschwindigkeit von Orkanen überschreiten.

In ihrem Computermodell ließen die Forscher 50.000 Asteroiden mit 15 bis 400 Meter Durchmesser – die am wahrscheinlichsten auftretenden Größen – auf die Erde treffen. Die Ergebnisse könnten Krisenmanagern bei der Vorbereitung auf einen drohenden kosmischen Einschlag helfen, kommentiert Studienleiter Clemens Rumpf. Bei kleineren Einschlägen könne die Bevölkerung Schutz, etwa in Kellern, suchen, bei größeren Asteroiden seien Evakuierungen unumgänglich. Ein Asteroid mit rund 60 Metern Durchmesser trifft laut Rumpf im Schnitt etwa alle 1500 Jahre auf die Erde, ein rund 400 Meter breiter alle 100.000 Jahre. „Die Wahrscheinlichkeit eines Asteroideneinschlags ist wirklich gering. Aber die Konsequenzen können unvorstellbar sein“, sagt Rumpf.

Bei den deutlich kleineren Asteroiden oder deren Trümmern ist die Wahrscheinlichkeit wesentlich größer. Das Problem: Solche kleinen Körper seien zahlreich, oft nicht sichtbar und deshalb schwer zu beobachten, sagt Kai Wünnemann vom Naturkundemuseum in Berlin. Doch wie Tscheljabinsk zeigte, dürfe auch diese Gefahr nicht unterschätzt werden. Genaue Vorhersagen, wann der nächste Körper Kurs auf die Erde nehme, seien unrealistisch. In den nächsten zehn Jahren könne ein solches Ereignis aber durchaus wieder passieren.

Bei großen Asteroiden, die auch mal zehn Kilometer Durchmesser erreichen und dann als „global killer“ (globale Zerstörer) bezeichnet werden, sei das zum Glück äußerst selten. Der Asteroid, der vor rund 65 Millionen Jahren den Dinosauriern den Garaus machte, war so einer. Alle 100 Millionen Jahre etwa trete im Durchschnitt ein solch zerstörerisches Ereignis auf.

Sollte ein solcher Brocken in seiner Flugbahn wieder Kurs auf die Erde nehmen, gibt es für die Europäische Weltraumagentur Esa nur zwei Möglichkeiten: ablenken oder zerstören. Es gebe viele Vorschläge, von Sonnenspiegeln bis zu Wasserstoffbomben. Technisch oder finanziell umsetzbar sind die meisten davon allerdings nicht. Realistischer sei der Einsatz von Einschlagprojektilen zur Bahnablenkung. Kinetischer Impaktor oder einfach „Prellbock“ nennt Wünnemann die Objekte, die einem Asteroiden auf dem Weg zur Erde aktiv in den Weg gesetzt werden sollen. Die gemeinsame „Aida“-Mission von Esa und Nasa, die der Asteroidenabwehr gilt, soll hierüber Erkenntnisse bringen.

Nächste Annäherung für 2027 vorhergesagt

Der Asteroid „2014 JO25“ sei Mitte April vergleichsweise dicht an der Erde vorbeigeflogen, teilte die US-Raumfahrtbehörde Nasa mit. Die konnte eine Kollision mit dem 650-Meter-Kleinplaneten aber schon früh ausschließen. Die Entfernung betrug rund 1,8 Millionen Kilometer oder die 4,6-fache Erde-Mond-Distanz. Die nächste Annäherung eines vergleichbaren Asteroiden ist von der Nasa für 2027 vorhergesagt. „1999 AN10“ wird dann in 380.000 Kilometern Entfernung an der Erde vorbeirauschen. Genauso dicht, wie der Mond von der Erde entfernt ist. Das sei zwar nah, erklärt Wünnemann. Aber: „Alles, was vorbeifliegt, ist nicht gefährlich.“

Um das Thema weiter in den Fokus zu rücken, hat die Vollversammlung der Vereinten Nationen im vergangenen Jahr den 30. Juni zum Welt-Asteroidentag ausgerufen. Das Datum markiert den Jahrestag des größten Asteroideneinschlags der jüngeren Geschichte: Am 30. Juni 1908 hatte ein Treffer in der Tunguska-Region in Sibirien rund 2000 Quadratkilometer unbewohntes Gebiet verwüstet. Der Asteroid hatte nach Forscherschätzung einen Durchmesser von 30 bis 40 Metern.