Hamburg. Mit steigenden Temperaturen müsste die Waldgrenze eigentlich nach oben klettern. Doch ein Berghang lässt Forscher rätseln

Das kleine Dorf Beding schmiegt sich in rund 3700 Meter Höhe an einen Berghang. Wir befinden uns im Rolwaling-Tal – etwa 100 Kilometer östlich der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu. Hier, in der Bergwelt des Himalaja, schreitet der Klimawandel schneller voran als im globalen Mittel: Laut Messungen und Trendberechnungen ist die durchschnittliche Lufttemperatur von 1991 bis 2012 in dieser Höhe um 1,5 Grad Celsius gestiegen. Während in anderen Bergregionen die Waldgrenze mit den steigenden Temperaturen weiter nach oben klettert, ändert sie sich im Rolwaling nicht. Das erscheint paradox, denn für Bäume gibt es nun auch hier in höheren Lagen eine ausreichend lange Vegetationsperiode. Doch warum ist die Waldgrenze so stabil?

Meine Kollegin Birgit Bürzle und ich erforschen das Phänomen. In einem fächerübergreifenden Projekt untersuchen wir vom Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit die Waldgrenze rund um Beding. Der Wald endet dort in einem Krummholzgürtel: Wegen der kurzen Vegetationsperiode und niedrigen Temperaturen wachsen die Bäume als geducktes Krummholz. Während in den Alpen die Latschenkiefer die Krummholzzone prägt, dominieren rund um Beding robuste Rhododen­dronbüsche. Sie sind zwei bis drei Meter hoch und bilden ein undurchdringliches Dickicht.

Die naturbelassene Baumgrenze bietet optimale Bedingungen für unsere Untersuchung. Denn weltweit gibt es nur noch wenige solcher unberührter Übergangsbereiche zwischen zwei verschiedenen Ökosystemen. In den Alpen etwa sind sie kaum noch zu finden. Da Menschen dort in den hohen Lagen Bäume gerodet haben und zuvor als Almen genutzte Flächen vom Wald zurückerobert werden, vermischen sich die Effekte, die durch den Klimawandel oder die Eingriffe des Menschen entstanden sind. Der Nordhang bei Beding dagegen wurde nicht verändert, weil er Buddhisten als heilig gilt.

Hier haben wir die Vegetation auf vier verschiedenen Höhenstufen untersucht – sowohl auf der Ebene des Rhododendrongürtels sowie in den Bereichen unmittelbar darüber und darunter. Ich habe die Bäume gezählt und kartiert und dafür unter anderem ihre Höhe, den Durchmesser der Stämme und der Baumkronen ermittelt und Holzproben entnommen. Neben den Rhododendren wachsen hier Birke, Tanne, Esche, Ahorn und Wacholder.

Meine Kollegin hat darüber hinaus alle Pflanzengesellschaften untersucht. Dazu zählen neben den Bäumen und ihrem Jungwuchs alle Sträucher, Kräuter und Gräser. Im gesamten Untersuchungsgebiet fand sie über 100 Arten. Doch sie stellte fest, dass im Krummholzgürtel lediglich zwölf Arten in der Krautschicht wachsen. Es scheint so gut wie unmöglich, dass sich hier neue Arten ansiedeln.

Unsere Studien zeigen, dass die Zusammensetzung der Vegetation und die Position der Waldgrenze nicht nur von der Temperatur, sondern auch vom Nährstoffangebot und der Topografie abhängen. Darüber hinaus schaffen die immergrünen Rhododendren unwirtliche Bedingungen für andere Pflanzen. Da sie dicht wachsen, ist es am Boden dunkel. Und selbst wenn ein Pflänzchen keimt, können seine Wurzeln kaum durch das schwer zersetzbare Laub in die Erde dringen. Es gibt Hinweise, dass die Blätter außerdem toxische Stoffe an den Boden abgeben, die das Wachstum hemmen. So riegeln die Rhododendren ihren Lebensraum gegen andere Arten ab. Gleichzeitig bilden sie eine Barriere, die verhindert, dass die Pflanzen aus dem Übergangsbereich der Waldgrenze nach oben wandern. Diese Hürde können auch Samen nicht überwinden. Der Effekt ist so stark, dass er trotz Klimawandels den Anstieg der Waldgrenze bisher verhindert.