St. Louis. Studie: Juckreiz ist so ansteckend wie Gähnen. Empathie hat damit nichts zu tun

Juckreiz ist sozial ansteckend – nicht nur für Menschen und Affen, sondern auch für Mäuse. Beim Anblick sich kratzender Artgenossen fangen auch sie binnen Sekunden an, sich zu kratzen. Das Verhalten zeige aber keine Einfühlsamkeit, sondern sei fest im Gehirn verankert, berichten Forscher im Fachblatt „Science“. Sie identifizierten sowohl die verantwortliche Hirnregion als auch einen einzelnen Botenstoff, der diese Art Kratzen steuert. „Juckreiz ist hochansteckend“, sagt Studienleiter Zhou-Feng Chen von der Washington University in St. Louis. „Manchmal reicht es schon, das Wort ‚Kratzen‘ zu erwähnen, und jemand fängt damit an.“ Das Team um Chen zeigte, dass neben Primaten auch Mäuse diesem Drang erliegen und zwar sogar, wenn sie die anderen Mäuse während des Versuchs lediglich auf einem Bildschirm sahen.

Die Wissenschaftler vermuten, dass hinter dem Verhalten das Hirnareal Nucleus suprachiasmaticus (SCN) steckt, das zum Hypothalamus gehört. Bisher wusste man, dass das Areal am Tag-Nacht-Rhythmus der Tiere beteiligt ist. Beim Anblick von Kratzen schüttete der SCN der Mäuse die Substanz GRP (Gastrin Releasing Peptide) aus. Der Botenstoff war schon dafür bekannt, Juckreiz-Signale von der Haut zum Rückenmark zu übermitteln.

Blockierten die Forscher GRP oder dessen Rezeptor an den Nervenzellen, so kratzten sich die Tiere nach dem Anblick von Artgenossen nicht mehr. Das galt aber nur für sozial ansteckenden Juckreiz. Bekamen sie den Stoff Histamin, das Juckreiz auslöst, kratzten sie sich weiterhin ganz normal.

Chen folgert für die Ursache des sozialen Kratzens: „Es handelt sich um ein angeborenes Verhalten und einen Instinkt. Ein einzelner Stoff und ein einzelner Rezeptor reichen dafür aus.“ Er glaubt, dies sei auf den Menschen übertragbar und gelte auch für das Gähnen: „Denken Sie daran, wenn Sie das nächste Mal als Reaktion auf jemand anders gähnen oder sich kratzen: Das ist weder eine Wahl noch eine psychologische Reaktion, sondern in Ihrem Gehirn vorprogrammiert.“